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Literarische und nicht-literarische Texte Bestimme die Textsorte

Von: Prof. Dr. Volker Frederking

Stand: 17.03.2020

Symbol | Bild: Angela Smets/BR

Herbert Zimmermann: Radioreportage vom Endspiel in Bern am 4. Juli 1954
"Sechs Minuten noch im Wankdorf-Stadion in Bern, keiner wankt, der Regen prasselt unaufhörlich hernieder, es ist schwer, aber die Zuschauer, sie harren nicht [sic!] aus. Wie könnten sie auch – eine Fußball-Weltmeisterschaft ist alle vier Jahre und wann sieht man ein solches Endspiel, so ausgeglichen, so packend. Jetzt Deutschland am linken Flügel durch Schäfer. Schäfers Zuspiel zu Morlock wird von den Ungarn abgewehrt – und Bozsik, immer wieder Bozsik, der rechte Läufer der Ungarn am Ball. Er hat den Ball – verloren diesmal, gegen Schäfer. Schäfer nach innen geflankt. Kopfball – abgewehrt. Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!" Unmittelbar nach dem Schlusspfiff: "Aus, aus, aus,-- aus !! -- Das Spiel ist aus ! -- Deutschland ist Weltmeister …"

Friedrich Christian Delius: Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde. Erzählung. Reinbek 1994 (Auszug)
"Plötzlich sagte er . . . noch zehn Minuten . . . jetzt zählten die Sekunden, und das Tempo, das Hin und Her steigerte  sich wieder, die Reporterstimme überschlug sich, und wieder Hidegkuti, und wieder Fritz, und wieder ein Eckball für Deutschland . . . unser Fritz läuft an, halten Sie die Daumen zu Hause! Halten Sie sie, und wenn Sie sie vor Schmerz zerdrücken, jetzt ist es egal, drücken Sie! . . . und wieder nichts, und wieder Eckel, und wieder Hidegkuti, und wieder Puschkasch, und wieder Hidegkuti, und wieder Todt, und wieder Kotschitsch und Puschkasch, und . . . Kopfabwehr von Liebrich, immer wieder Liebrich . . . und wieder Applaus, und Rahn und Ottmar, Fritz und wieder Schäfer, Morlock, Zakarias, und wieder Puschkasch, und wieder Eckel, und Freistoß, und wieder Gefahr, und wieder Kotschitsch, aber Turek, und die deutsche Angriffsmaschine, und wieder Lorant und . . . sechs Minuten noch, keiner wankt, der Regen prasselt unaufhörlich hernieder, es ist schwer, aber die Zuschauer, sie harten aus, wann sieht man ein solches Endspiel,  so ausgeglichen, so packend . . . Ich harrte aus, ich ertrug die Spannung nicht mehr, das Ergebnis war mir fast egal, Hauptsache, die Strapazen des Spiels in ein paar Minuten vorbei. . . Schäfer: nach innen geflankt, Kopfball, abgewehrt, aus dem Hintergrund müßte Rahn schießen, Rahn schießt! Tor! Tor! Tor! Tor! Tor für Deutschland!

Während die schreiende, elektrisierte Stimme fast das Radio auseinanderriß, das versteckte Metall in dem Kasten von den Torschreien vibrierte und der Stoffbezug vor dem Lautsprecher zitterte, während das Gerät in allen Fugen knisterte und der Reporter schwieg wie erschossen, drangen aus dem Hintergrund Schreie, von Händeklatschen und Jubel unterstrichen, aus dem Berner Stadion an mein Ohr, und ich riß, obwohl ich noch nichts begriff, eher hilflos als triumphierend die Arme hoch und rief leiser, als ich wollte: 'Tor!', leise, weil ich meine Freude noch nicht spürte, sondern nur den Reflex auf die Schreie aus dem vibrierenden Kasten, ehe der Reporter wieder zur Sprache fand: . . . drei zu zwei führt Deutschland, Minuten vor Spielende! Halten Sie mich für verrückt, halten Sie mich für übergeschnappt!"

1. Welcher Textsorte ist Text 1 zuzuordnen, welcher Text 2?

2. Begründe deine Antwort.

1. Text 1 ist ein Sachtext, Text 2 ist ein literarischer Text.

2. Text 1 ist ein Sachtext, weil er die schriftliche Fassung einer Radioreportage über ein Fußballspiel - das Endspiel in Bern 1954 - darstellt. Zwar werden – anders als bei rein informatorischen Sachtexten – auch Emotionen verarbeitet und hervorgerufen. Dennoch ist das primäre Ziel die Information und damit die Darstellung von Wirklichem – garniert mit Gefühl, Spannung und Leidenschaft.

Text 2 ist ein literarischer Text – obwohl in ihm viele Passagen aus der schriftlichen Niederschrift der Radioreportage über das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft in Bern 1954 wörtlich enthalten sind. Zum einen ist der Text der Erzählung "Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde" von Friedrich Christian Delius entnommen. Zum anderen enthält der Text typische Merkmale einer Erzählung: Der Ich-Erzähler lässt den Leser unmittelbar Anteil nehmen an seinen Gefühlen und Gedanken – unterbrochen von beziehungsweise mit Bezug auf die Auszüge aus der Radioreportage.