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Wozu brauchen wir Literatur? Bestimme die Motive fürs Lesen und Schreiben von Literatur

Von: Prof. Dr. Volker Frederking

Stand: 02.06.2021

Symbol | Bild: Angela Smets/BR

"Die Poesie ist eine Möglichkeit, über Dinge zu sprechen, über die man eigentlich nicht sprechen kann. […] In den Gedichten ist mein Privates gut aufgehoben. Sie zu schreiben, entlastet mich. Das ist nicht aufdringlich. Das bleibt diskret. Ich bin gern unauffällig." (Hans Magnus Enzensberger: Interview in der ZEIT vom 20.01.1995)

"Schreiben ist für mich eine Notwehr gegenüber der eigenen Existenz, gegen das, was man sonst nicht verkraftet." (Max Frisch: Interview im SPIEGEL vom 29.01.1968)

"Indem ich private Erfahrungen literarisch geformt zur Sprache bringe, rücke ich sie von mir ab, mache sie allgemein, öffentlich. Und das ist nur dann eine Herausforderung für mich, wenn ich an Grenzen gehe, also dahin, wo es schmerzt. Ich erfahre das Schreiben gerade dieser Bücher zunehmend als Befreiung. Beim Tagebuchschreiben kann man Ähnliches erleben." (Ulla Hahn: "Das Schreiben ist eine Befreiung", in: Kölner Stadtanzeiger, 02.10.2014)

"Seine Begierde zu lesen war nun unersättlich. [...]. Durch das Lesen war ihm nun auf einmal eine neue Welt eröffnet, in deren Genuß er sich für all das Unangenehme in seiner wirklichen Welt einigermaßen entschädigen konnte. Wenn nun rund um ihn her nichts als Lärmen und Schelten und häusliche Zwietracht herrschte oder er sich vergeblich nach einem Gespielen umsah, so eilte er hin zu seinem Buche." (Karl Philipp Moritz: Anton Reiser, 1885. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 73206)

"Manchmal, o glücklicher Augenblick, bist du in ein Buch so vertieft, daß du in ihm versinkst - du bist gar nicht mehr da. Herz und Lunge arbeiten, dein Körper verrichtet gleichmäßig seine innere Fabrikarbeit - du fühlst ihn nicht. Du fühlst dich nicht. Nichts weißt du von der Welt um dich herum, du hörst nichts, du siehst nichts, du liest. Du bist im Banne eines Buches." (Kurt Tucholsky (unter dem Pseudonym Kaspar Hauser): Moment beim Lesen, in: Die Weltbühne, 12.04.1932, Nr. 15, S. 573)

"Lesen ist für mich sozusagen immer und unabhängig vom Inhalt der Eintritt in eine Gegenwelt [...]. [...] Ich verspüre beim intensiven Lesen ein leichtes Abheben vom Boden, das sich steigern kann bis zum Gefühl der Schwerelosigkeit; ich komme in einen Rauschzustand, den ich genieße." (Peter Bichsel: Der Leser. Das Erzählen. Frankfurt a. M. 1997. S. 33)

Die Motive zum Schreiben und zum Lesen von Literatur sind ganz unterschiedlich, wie die oben aufgeführten Beispiele verdeutlichen. Stell dir vor, du wärst Redakteur und solltest die Äußerungen für die Anmoderation in einer Radiosendung jeweils kurz charakterisieren. Ein Praktikant hat dir dafür eine Vorschlagsliste erstellt. Such dir aus den aufgelisteten Begriffen bzw. Motiven für die Texte jeweils zwei passende aus.

Schreiben Taucht auf in dem Text von ...
als Befreiung
um die Welt zu verändern
um Unaussprechliches auszudrücken
um eine Erkenntnis mitzuteilen
um andere zu erfreuen und zu unterhalten
zur Selbstentlastung
zur Verarbeitung existenzieller Herausforderungen
um sich Subjektiv-Persönliches von außen betrachten zu können
LesenTaucht auf in dem Text von ...
als Flucht aus schlechter Wirklichkeit
um das Leben besser zu verstehen
aus Langeweile
um in eine Gegenwelt einzutauchen
als Erfahrung einer neuen Welt
um sich selbst besser zu verstehen
als Rauschzustand
als Zustand der Entrückung
SchreibenTaucht auf in dem Text von ...
als BefreiungHahn
um die Welt zu verändern
um Unaussprechliches auszudrückenEnzensberger
um eine Erkenntnis mitzuteilen
um andere zu erfreuen und zu unterhalten
zur SelbstentlastungEnzensberger + Frisch
zur Verarbeitung existenzieller HerausforderungenFrisch
um sich Subjektiv-Persönliches von außen betrachten zu könnenHahn
LesenTaucht auf in dem Text von ...
als Flucht aus schlechter WirklichkeitMoritz (in Anton Reiser)
um das Leben besser zu verstehen
aus Langeweile
um in eine Gegenwelt einzutauchenBichsel
als Erfahrung einer neuen WeltMoritz (in Anton Reiser)
um sich selbst besser zu verstehen
als RauschzustandTucholsky + Bichsel
als Zustand der Entrückung Tucholsky