Google-Schriftzug und Radiergummi als Symbolbild  für den Löschungsantrag für Google-Suchergebnisse.
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2014 verpflichtete das EuGH Google unter bestimmten Umständen Suchergebnisse zu löschen.

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Das Internet vergisst doch – Zehn Jahre EuGH-Urteil

Im Jahr 2014 fällte der EuGH ein wegweisendes Urteil. Die Richter verpflichteten Google unter bestimmten Umständen Suchergebnisse zu löschen. Dieses sogenannte "Recht auf Vergessenwerden" wird inzwischen stark genutzt.

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Dieses Urteil ließ aufhorchen: am 13. Mai 2014 versetzte das oberste europäische Gericht dem mächtigen US-Konzern Google den sprichwörtlichen Tritt gegen das Schienbein, also dahin, wo es wehtut. Zuvor noch hatte der damalige Unternehmens-Boss Eric Schmidt über Googles Allmacht schwadroniert: "Wir wissen, wo du bist. Wir wissen, wo du warst. Wir wissen mehr oder weniger, worüber du nachdenkst." [externer Link]

Vieles von dem, was Google von einem wusste, konnte die ganze Welt nachlesen oder anschauen. Auch alte Haftstrafen, die längst abgesessen waren, oder Jugendsünden, die man blöderweise auf Facebook dokumentiert hatte, oder diffamierende Fake-Videos. Wer etwas Unschönes über sich im Netz fand und es löschen lassen wollte, biss sich bei Google fast immer die Zähne aus. Die Suchmaschine und ihre Ergebnisse waren nahezu unantastbar. Nicht mehr nach 2014.

EuGH beschloss Wendepunkt

Die Richter des Europäischen Gerichtshofs hatten den konkreten Fall eines spanischen Staatsbürgers vorliegen. Der wollte, dass eine viele Jahre alte Anzeige in einer Tageszeitung zur Zwangsversteigerung seines Grundstücks aus dem Internet verschwindet. Der Mann wünschte einfach, die alte Geschichte hinter sich zu lassen und wollte deshalb nicht mehr, dass man durch die Eingabe seines Namens bei Google noch immer sehen konnte, dass er einst in Zahlungsschwierigkeiten gewesen war.

Dieses Recht gestand der EuGH dem Mann zu [externer Link] und verpflichtete Google dazu, die entsprechenden Seiten aus der Ergebnis-Liste zu entfernen. Das Urteil hatte Folgen. Ganz generell bedeutete es, dass Google für seine Suchergebnisse seitdem Verantwortung trägt und dass es Einzelpersonen unterstützen muss, wenn diese aus dem Netz sozusagen verschwinden wollen. Voraussetzung: Es gibt gute Gründe dafür und die Antragsteller sind keine berühmten Persönlichkeiten – deren Recht auf Privatsphäre ist deutlich eingeschränkt.

Ende der Meinungsfreiheit im Internet?

Das Urteil aus dem Jahr 2014 hatte – so erfreulich es für den klagenden Spanier war – den schalen Beigeschmack der Zensur. Verlage sahen das Ende der Pressefreiheit kommen. Und ganz generell wurde befürchtet, dass es mit der Meinungsfreiheit im Internet zu Ende gehen könnte. Allerdings hat sich in den folgenden Jahren gezeigt, dass diese Sorgen weitgehend unbegründet waren. Der EuGH hatte nie ein pauschales Recht auf Vergessenwerden angemahnt. Was es geben sollte, war ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Und dass das auch gegen die wirtschaftlichen Interessen von mächtigen Großkonzernen durchgesetzt werden kann – dafür sorgte ein paar Jahre später die Europäische Datenschutzgrundverordnung.

Chancen auf Löschung stehen fifty-fifty

Es gab Bedenken, dass Google nun jeder Löschanfrage nachgibt, [externer Link] weil das angeblich einfacher ist, als genau zu prüfen, ob die Gründe für einen Antrag wirklich triftig sind. So scheint es aber in der Realität nicht zu laufen, wie Zahlen zu den Löschanträgen zeigen. Der Internetsicherheitsdienstleister Surfshark führt solche Statistiken [externer Link] . Demnach fordern jährlich rund 150.000 europäische User ihr Recht auf Vergessenwerden bei den Suchmaschinen Google und Bing ein. Die Zahl schwankte in den letzten Jahren etwas um diesen Wert herum. 2022 stammte dabei die Hälfte dieser Anträge aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Google entschied in 56 Prozent aller Fälle positiv und löschte, bei Bing waren es 50 Prozent. Es sieht also nicht nach dem befürchteten pauschalen Löschen aus, bei dem jedem Antrag ungeprüft stattgegeben wird.

Fürs Vergessenwerden gibt es Hürden

Nach dem Urteil des EuGH von 2014 wurde das Recht auf Löschen von anderen Gerichten weiter ausdifferenziert, unter anderem vom deutschen Bundesgerichtshof. Dabei haben sich ein paar Grundsätze herausgeschält, wie Florian Glatzner, Referent beim Verbraucherzentrale Bundesverband erklärt. So sind Inhalte von sogenannten Qualitätsmedien besonders geschützt. Wer also gegen den Bericht einer renommierten Zeitung oder auch eines öffentlich-rechtlichen Hörfunk- oder TV-Senders vorgeht, wird es schwerer haben. Zudem lassen sich ältere Inhalte leichter löschen, als aktuelle Veröffentlichungen. Und je berühmter jemand ist, desto genauer wird geprüft. Laut Glatzner gibt es einen ganzen Katalog an Prüfkriterien, den ein Suchmaschinen-Betreiber abarbeitet, bevor eine Entscheidung getroffen wird.

Antragsteller müssen sich gut vorbereiten

Wer etwas über sich aus dem Internet verschwinden lassen will, kann das direkt über ein Formular, das etwa die Suchmaschinenbetreiber Google [externer Link] oder Microsoft für Bing per Link [externer Link] bereitstellen. In den Formularen wird auch nach den genauen Gründen gefragt, warum etwas gelöscht werden soll. Mit einer laxen Formulierung à la "weil es mich stört", wird man dabei nicht durchkommen. Es geht darum, zu erklären, warum man sich in seinem Recht auf Privatsphäre verletzt fühlt. Wenn man der Überzeugung ist, dass Unwahrheiten über die eigene Person berichtet werden, gilt es auch das genau zu begründen.

Wenn Google oder Microsoft den Antrag am Ende ablehnt, muss man sich nicht geschlagen geben. Möglich ist, sich mit dem Anliegen an den Datenschutzbeauftragten zu wenden, in Bayern an das Landesamt für Datenschutzaufsicht in Ansbach [externer Link] – kommt auch diese Stelle mit dem Löschantrag nicht durch, bleibt am Ende der Weg vor Gericht – was dann aber einen langen Atem erfordert.

Ist man als Normalbürger überhaupt betroffen?

Die meisten Menschen werden eher nicht darüber nachdenken, ob sie einen Antrag bei Google oder Bing stellen sollen. Als unbescholtene, nicht berühmte Person taucht man in den Suchergebnissen eher selten auf. Und falls doch, sind viele der Einträge ja mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zu beanstanden.

Aber das Recht auf Löschen, wie es in der Datenschutzgrundverordnung geregelt ist, reicht weiter. Ein Beispiel: man kauft ein Medikament bei einer Onlineapotheke und teilt seine Adresse für Versand und Rechnung mit. Später bekommt man von dieser Apotheke – oder womöglich sogar von einem ganz anderen Unternehmen – Werbung zugeschickt. Das darf nicht sein, denn die Firmen sind laut europäischem Datenschutz dazu verpflichtet, Daten wieder zu löschen, wenn sie den ursprünglichen Zweck erfüllt haben. Jede weitere Nutzung bedarf der Zustimmung.

Meist reicht aber eine Mail an das Unternehmen, von dem man die Werbung bekommt. Die Firmen wissen inzwischen genau, dass es teuer werden kann, wenn sie Werbung ohne Genehmigung verschicken. Die Datenschutzgrundverordnung sieht in solchen Fällen drastische Strafen vor.

Recht auf Vergessenwerden gilt nur für Europa

Ganz generell hat die Datenschutzgrundverordnung geografische Grenzen und damit auch das Recht auf gelöscht werden. Kommt man etwa mit seinem Antrag bei Google durch, dann wird die Suchmaschine diese Ergebnisse zwar in Europa nicht mehr anzeigen. In den USA etwa lässt sich dagegen weiterhin darauf zugreifen können, wie der VZBV-Experte Florian Glatzner bestätigt. Das schränkt den Schutz der Privatsphäre natürlich ein. Immerhin aber hat der europäische Datenschutz auch bei US-Konzerne das Bewusstsein geschärft. Microsoft zum Beispiel hat bereits öffentlich erklärt, dass es sich weltweit an die Datenschutzgrundverordnung halten will. Dass man etwa in Deutschland und Frankreich so stark auf dem Recht auf Vergessenwerden beharrt, wirkt also womöglich auch über Europa hinaus.

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