Die Gletscherschmelze in Grönland. In den Höhenlagen des grönländischen Eisschilds war das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts das wärmste seit 1000 Jahren.
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In den Höhenlagen des grönländischen Eisschilds war das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts das wärmste seit 1000 Jahren.

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Heutige Klimakrise und frühere Wärmephasen nicht vergleichbar

Weil es in der Erdgeschichte bereits sehr warme Phasen mit hoher CO2-Konzentration gab, könne der Klimawandel nicht menschengemacht sein. Das behaupten einige User im Netz. Doch die Argumentation ist falsch. Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Darum geht's:

  • In der Erdgeschichte gab es Zeiten, in denen es sehr warm und die CO2-Konzentration in der Atmosphäre hoch war. Deswegen behaupten manche, das spreche gegen den menschengemachten Klimawandel.
  • Experten sagen: Diese Ereignisse in der Vergangenheit lassen sich nicht mit den heutigen Ereignissen vergleichen - denn für die aktuelle Klimaerwärmung ist vor allem das Verbrennen fossiler Energieträger wie Kohle, Erdöl und Gas verantwortlich.
  • Außerdem erwärmt sich die Erde deutlich schneller als in der Vergangenheit. Frühere Temperaturanstiege entwickelten sich über Jahrtausende oder Millionen von Jahren. Lebewesen hatten dadurch die Möglichkeit, sich an das Klima anzupassen. Das ist heute nicht mehr der Fall.

Die Pole schmelzen, der Meeresspiegel steigt an, Temperaturextreme nehmen zu und extreme Wetterereignisse wie Starkregen ebenfalls. Die Vereinten Nationen warnen sogar davor, dass ganze Regionen auf der Erde unbewohnbar werden könnten. Das alles sind Folgen der Klimaveränderung, die durch Treibhausgase angetrieben wird. Das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid (CO2) wird vor allem durch das Verbrennen fossiler Energieträger verursacht. Der Klimawandel ist menschengemacht, das ist wissenschaftlicher Konsens, wie man im Bericht des Weltklimarats von 2023 nachlesen kann.

Immer wieder zweifeln Einzelne die Verantwortung der Menschen an der Klimakrise an. In Telegram-Posts, Online-Artikeln und auch per Mail an den #Faktenfuchs bringen Userinnen und User wiederholt ein Argument: Weil es in der Erdgeschichte schon einmal warm gewesen sei und sich damals mehr CO2 in der Atmosphäre befunden habe als heute, könne der Klimawandel nicht menschengemacht sein.

Ein User stellt die Frage, warum die Erde vor 50 Millionen Jahren "nicht den Hitzetod starb", die CO2-Konzentration in der Atmosphäre habe rund 400 Prozent über der heutigen gelegen. Ein anderer weist auf eisfreie Pole in der Erdgeschichte hin. Funktioniert dieser Vergleich mit der Erdgeschichte? Nein, denn dahinter steckt ein Logikfehler, sagen Experten.

Was sagt das Klima vor Millionen von Jahren über heute aus?

Vor 55 Millionen Jahren gab es gewaltige Mengen an CO2 in der Atmosphäre und es war sehr warm, sagt Mojib Latif im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Er ist Meteorologe, Ozeanograph und Klimaforscher am GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel. Die Durchschnittstemperaturen stiegen laut dem Kieler Helmholtz Zentrum innerhalb weniger tausend Jahre um bis zu sechs Grad an. Das sorgte für ein globales Artensterben. Warum sich das Klima damals so stark veränderte, wird noch erforscht. Hintergrund könnte Vulkanismus gewesen sein, wie Studien von 2016 und 2017 zeigen, genau weiß man das noch nicht.

Es stimmt, dass der CO2-Gehalt in der Erdatmosphäre damals deutlich höher war als heute: Im Februar 2023 lag er laut dem Dashboard der US-amerikanischen Behörde "Global Monitoring Laboratory" bei 419,77 ppm. (Abgerufen am 19. Mai) "ppm" steht für "parts per million", der Wert zeigt also, wie viele CO2-Teilchen pro einer Million Teilchen in der Atmosphäre sind. Vor 55 Millionen Jahren betrug die CO2-Konzentration zwischen 1.400 ppm und 4.000 ppm. Die höhere CO2-Konzentration in dieser Phase der Erdgeschichte führte zu einer Erwärmung und auch die Pole waren vermutlich eisfrei, so Latif.

Entscheidend ist aber: Diese Klima-Veränderungen haben sich über Jahrtausende entwickelt. Latif sagt mit Blick auf den aktuellen Klimawandel: "Das, was wir gerade erleben, ist quasi ein Wimpernschlag. Wir reden jetzt über Jahrzehnte."

Wenn User also aus der Tatsache, dass die Erde in der Vergangenheit schon einmal eisfrei war, schlussfolgern, dass der Klimawandel nicht menschengemacht sei, dann greift das zu kurz. "Man vergleicht hier Äpfel mit Birnen", sagt Latif. Das Klimaproblem wäre laut ihm kein Problem, wenn es sich über viele Jahrtausende entwickeln würde. Dann könnte sich die Natur anpassen. "Aber das ist eben gerade nicht der Fall - und das ist der größte Unterschied."

Es gab schon immer Klimaveränderungen - nur geht es jetzt deutlich schneller

Michael Joachimski ist Geologe am GeoZentrum Nordbayern der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen. Er sagt im Interview mit dem #Faktenfuchs, es habe noch ein weiteres bedeutendes klimatisches Ereignis in der Erdgeschichte gegeben - vor 252 Millionen Jahren. "Da gab es eine massive Klimaerwärmung, wahrscheinlich bedingt durch eines der größten vulkanischen Ereignisse in Sibirien." Es kam zu einer Erhöhung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre und einer bedeutenden globalen Erwärmung. 92 Prozent aller auf der Erde lebenden Arten starben aus, wahrscheinlich aufgrund der Erwärmung und begleitender Prozesse, sagt Joachimski.

Können wir diese vergangenen Ereignisse mit heute vergleichen? Vulkanismus spiele für die aktuelle Klimaerwärmung keine Rolle, sagt Joachimski. Man könne aber sicherlich davon lernen, wie massive Klimaveränderungen auch in der Vergangenheit zu katastrophalen Ereignissen wie Artensterben geführt hätten. Doch auch hier spiele der Zeitraum der Veränderung eine Rolle, so Joachimski: Man müsse bei der CO2-Veränderung in der Atmosphäre berücksichtigen, dass die natürlichen Prozesse langsamer abliefen. Aufgrund des menschlichen Einflusses laufe das heute wesentlich schneller.

Warum ist die Erde damals keinen "Hitzetod" gestorben?

Auf die Frage, warum die Erde damals nicht den "Hitzetod" gestorben sei, hat Mojib Latif, Klimaforscher am Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel, eine klare Antwort: "Die Erde wird es überleben, egal, was wir tun. Darum geht es nicht. Aber es geht eben um die Natur - und wir sind ja Teil der Natur. Und wir werden uns nur ganz, ganz schwer anpassen können."

Ihm ist wichtig: Man dürfe nicht den Fehler machen, das Leben vor Millionen von Jahren mit dem Leben von heute zu vergleichen. "Es gibt ja so etwas wie die Evolution. Das heißt, das Leben entwickelt sich allmählich weiter und passt sich an die Umweltbedingungen an." Das Leben auf der Erde sei heute ein ganz anderes.

Welchen Einfluss haben Erdumlaufbahn und Neigung der Erdachse auf das Klima?

Wenn man in der Erdgeschichte etwas näher an die Gegenwart heran rückt - also mit Blick auf die letzten eine Million Jahre und somit auf die jüngsten Faktoren für eine natürliche Erderwärmung - dann waren vor allen Dingen die sogenannten Milanković-Zyklen für den Wechsel von Wärme- und Kälteperioden verantwortlich. Dazu gehörten eine veränderte Bahn der Erde um die Sonne, eine veränderte Neigung der Erdachse und eine veränderte Orientierung der Erdachse im Raum, sagt Mojib Latif. Mehr dazu, warum sich diese Faktoren verändern, hat das Max Planck Institut für Marine Mikrobiologie hier zusammengefasst.

Nur: Auch hier spiele das Tempo der Veränderungen wieder eine Rolle. Das sei eine ganz andere Geschwindigkeit als bei der Klimaerwärmung, die wir heute sehen. Laut Latif verändern sich diese oben genannten Faktoren über einen Zeitraum von 20.000 bis 100.000 Jahren - bei der aktuellen Klimaveränderung spricht man von Jahrzehnten. "Das heißt, das kann man überhaupt nicht vergleichen", sagt Latif. "Das, was wir jetzt sehen, hat eine ganz andere Geschwindigkeit, die wir zum Beispiel beim CO2-Gehalt in der Atmosphäre noch nicht gesehen haben."

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Der CO2-Anstieg in den vergangenen 800.000 Jahren.

Forscher sind sich einig: Der gegenwärtige Klimawandel wird durch Menschen verursacht

Der Grund für die gegenwärtige hohe CO2-Konzentration und die rasche Erderwärmung ist eindeutig der menschliche Einfluss, das bestätigen nahezu alle Klimawissenschaftler (zum Beispiel hier, hier oder hier), und das bestätigt auch Mojib Latif. "Das CO2 entsteht dadurch, dass wir zum Beispiel Kohle verbrennen oder Öl. Diese fossilen Brennmaterialien haben sich über Jahrmillionen entwickelt. Wenn wir sie jetzt auch über Jahrmillionen verbrennen würden, wäre das überhaupt kein Problem." Dann könnten sich Mensch und Natur anpassen, so Latif. Das passiere aber eben nicht: "Wir verbrennen etwas, das sich über Jahrmillionen entwickelt hat, innerhalb weniger Jahrzehnte. Dadurch kommt die Natur und der Mensch unter einen unglaublichen Anpassungsdruck."

💡 Woher wissen Klimawissenschaftler, wie das Klima vor Millionen von Jahren war?

Klimawissenschaftler haben verschiedene Mittel und “Klimaarchive”, die ihnen erlauben, Aussagen über Temperatur und CO2-Konzentration während eines bestimmten Zeitraums zu treffen.

Baumringe: Anhand von Baumringen können Wissenschaftler abschätzen, wie das Klima an einem Ort in den letzten Jahrtausenden war. Nimmt man Bäume von verschiedenen Orten, könne man so auch ein globales Bild bekommen, sagt Latif.

Eiskernbohrungen: Um den CO2-Gehalt in der Atmosphäre während der letzten 800.000 Jahre zu bestimmen, machen Forscher Eiskernbohrungen in der Antarktis oder in Grönland. Die im Eis eingeschlossenen Bläschen repräsentieren die Gaszusammensetzung der Atmosphäre zu der Zeit, als das Eis gebildet wurde, erklärt Michael Joachimski.

Fossile Blätter: Will man Aussagen über die CO2-Konzentration in der Atmosphäre in noch älterer Vergangenheit treffen, können Pflanzenfossilien helfen. Von der Größe der Blattöffnungen auf den Blättern von fossilen Pflanzen - den sogenannten Stomata - lässt sich ableiten, wie hoch der CO2-Gehalt zu diesem Zeitpunkt war. War die CO2-Konzentration hoch, dann verkleinert die Pflanze diese Blattöffnungen, um sich vor Wasserverlust zu schützen; ist die CO2-Konzentration niedrig, muss sie die Blattöffnungen vergrößern, um genügend CO2 für die Photosynthese zu bekommen. Änderungen in der Größe der Blattöffnungen fossil überlieferter Blätter der gleichen Pflanzenart können somit auf Änderungen der CO2-Konzentration schließen lassen, sagt Joachimski.

Sedimentablagerungern im Ozean: Fossile Korallen, Muscheln oder Zähne von Fischen können Aufschluss über die Meerwassertemperatur auf der Erde vor hunderten Millionen von Jahren geben - dank stabiler Sauerstoffisotope. Isotope sind Atome, die sich dadurch unterscheiden, dass sie im Atomkern eine unterschiedliche Anzahl an Neutronen haben und deshalb unterschiedlich schwer sind, erklärt Michael Joachimski. In Abhängigkeit der Temperatur werden die stabilen Sauerstoffisotope z.B. von Muscheln bei der Schalenbildung eingebaut. Misst man die Zusammensetzung der Sauerstoffisotope in gut erhaltenen fossilen Schalen, könne man die Wassertemperatur im Ozean in der Vergangenheit rekonstruieren.

Fazit

In der Erdgeschichte gab es bereits Zeiträume, in denen es sehr warm war und in denen die CO2-Konzentration in der Atmosphäre deutlich über der heutigen lag. Anders als von Usern behauptet, kann diese Tatsache allerdings nicht als Beweis gegen den menschengemachten Klimawandel dienen. Denn damals veränderte sich das Klima viel langsamer. Klimawissenschaftler sprechen von Veränderungen über Jahrtausende. Im Falle des heutigen Klimawandels handelt es sich um Jahrzehnte.

Grund für die aktuelle Klimaerwärmung ist nachgewiesenermaßen der Mensch, da sind sich nahezu alle Klimawissenschaftler einig. Auch die Aussage, die Erde sei damals ja auch keinen "Hitzetod" gestorben, ist zu kurz gegriffen: Laut Experten wird die Erde die Temperaturerhöhung überleben - egal, was wir tun. Die Lebewesen auf der Erde aber werden sich nur schwer an die veränderten klimatischen Bedingungen anpassen können.

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