- Als "Abenteuer Landarztpraxis" bezeichnet Iris Roos ihre neue Aufgabe schmunzelnd. Ein Abenteuer, das sie bewusst eingegangen ist. 44 Jahre ist sie alt und hat drei Kinder. In den vergangenen Jahren hat sie ihren Facharzt gemacht und eine Zeit lang gemeinsam mit ihrem Mann als Ärztin in Südafrika gearbeitet. Auch Erfahrungen als Ärztin im Krankenhaus hat sie schon gesammelt. Nach alldem war für sie jetzt der Zeitpunkt gekommen - für dieses "Abenteuer". Jetzt habe sie den entsprechenden "Background" und fühle sich auch bereit dafür, einem älteren Patienten zu sagen - "das machen wir jetzt". Jetzt habe sie das Selbstbewusstsein, um den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen.
"Win-Win"-Situation für Vorgänger und neue Chefin
- Vor drei Monaten hat sie die Hausarztpraxis von Klemens Kügel in Höchstädt übernommen. Der hat hier 33 Jahre lang als Einzelkämpfer gearbeitet, hat seine Arbeit geliebt und es wäre nichts schlimmer für ihn gewesen, als zuzusperren, ohne eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger zu haben. Allerdings wusste er schon, dass Iris Roos schon länger Interesse hatte, die Praxis zu übernehmen. Darauf hat er also gewartet, um jetzt, mit 73 Jahren, die Praxis zu übergeben und ist überzeugt: Es war die richtige Entscheidung und Iris Roos die richtige Wahl: "Dass die Praxis so gut läuft – das freut mich riesig. Ich wusste ja nicht, wie die Leute die neue Kollegin annehmen. Aber das funktioniert super, die hat einen tollen Start hingelegt. Also es geht so weiter, wie ich aufgehört habe."
- Ganz aufgehört hat er allerdings nicht. Das hätte er auch nicht so einfach gekonnt, sagt Kügel und schmunzelt. Jetzt ist er noch etwa zehn Stunden die Woche da, hilft in der Sprechstunde aus, oder übernimmt den ein oder anderen Hausbesuch. Damit hat er Iris Roos die Entscheidung für die Selbstständigkeit auch etwas erleichtert: Sie weiß, sie hat einen kompetenten, erfahrenen Ansprechpartner, der ihr bei bürokratischen Dingen oder bei der Personalführung helfen kann, der aber auch viele Patienten bereits über Jahre kennt und sie auch da mit Wissen unterstützen kann.
Bürokratie und Technikprobleme schrecken Iris Roos nicht ab
- Gleiches gilt für das Praxisteam: Die medizinisch technische Assistentin Eva Königsbauer-Lacher hat schon als Azubi vor über 30 Jahren in der Praxis von Klemens Kügel angefangen. Sie kennt die Abläufe, nach vielen Jahren auch die meisten Patienten, und ist froh, dass sie ihre Arbeitsstelle behalten konnte und gleichzeitig die neue Chefin mit ihrem Wissen unterstützen kann. "Das war ein Glücksfall für uns", sagt sie.
- Da klingelt schon wieder das Telefon, ein Patient möchte einen Termin, es geht Schlag auf Schlag. Ja, es sei schon anstrengend, sagt Roos. Sie spricht von "Auf und Abs", die Bürokratie, Technikprobleme, es gebe eben schon viel "um die Medizin herum", womit man sich als angestellter Arzt nicht herumärgern müsse. Dennoch ist sie überzeugt, die Entscheidung war richtig. In der Praxis hat sie einiges verändert. Hat renoviert, eine Homepage erstellt, und die Ärztin kommuniziert mit Patienten jetzt auch per Mail. Darüber freut sich ein älterer Herr, der sein Handy zückt und die Mail samt angehängtem Behandlungsplan zeigt. "Da konnte ich mich einlesen und vorbereiten, jetzt bin ich nur noch hier, um die Einweisung fürs Krankenhaus abzuholen", sagt er zufrieden. Die junge Ärztin, die gefalle ihm sehr gut.
Ärztemangel in ganz Bayern
- Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (externer Link) sind 472 Hausarztsitze nicht besetzt (Stand Januar 24). Bald die Hälfte aller praktizierenden Hausärzte ist über 60, viele sind auf der Suche nach einem Nachfolger. Das Problem wird sich also wohl noch verschärfen. Auch weil die Bevölkerung immer älter wird. Und weil sich die Gesundheitsversorgung ändern muss. Das zumindest raten Experten wie Klaus Schulenburg vom Bayerischen Landkreistag, wenn es um die Zukunft der Krankenhäuser geht. Mehr Behandlungen könnten und sollten ambulant gemacht werden. Er nennt Länder wie Norwegen, dort würden etwa Leistenbrüche fast immer ambulant behandelt werden. In Deutschland müssten die Patienten dafür fast immer ins Krankenhaus. Für Behandlungen in Arztpraxen muss es allerdings genügend Haus- und Fachärzte geben, gerade auf dem Land. Doch auch bei den Fachärzten fehlen Nachfolger, Kinderärzte gibt es inzwischen ebenfalls viel zu wenige.
Vom Kind bis Senior: Die Arbeit als Hausarzt ist abwechslungsreich
- Das macht sich auch in der Praxis von Iris Roos bemerkbar. Ihre nächste Patientin ist die sechs Jahre alte Lena. Ihre Mutter ist froh, dass sie mit ihrer kleinen Tochter in die Hausarztpraxis kommen kann: "Es geht einfach schneller. Beim Kinderarzt komme ich ja nicht mal am Telefon durch", sagt sie. Iris Roos hingegen, selbst Mutter von zwei Kindern, freut sich über das große Altersspektrum ihrer Patienten. Das sei das Schöne am Beruf des Hausarztes, man wisse nie, wer als Nächstes mit welchem Problem komme. Von einer Impfung bis hin zu der Naht einer Wunde, von Grippe über Magen-Darm bis eine Bindehautentzündung, noch dazu die unterschiedlichsten Menschen, für Abwechslung ist immer gesorgt.
Patienten froh über neue Ärztin
- An diesem Vormittag hat sie auch einige Vorsorgeuntersuchungen eingeplant. Das gefalle ihr am besten, sagt sie, wenn sie die Patienten auch einmal gesund sehe. Der 35-Jährige, bei dem sie gerade einen Ultraschall am Bauch macht, ist auch kerngesund, die Blutwerte passen ebenfalls. Dann wirft sie allerdings noch einen Blick in seinen Impfpass und ihr fällt auf, dass er seit über 20 Jahren nicht gegen Tetanus geimpft wurde. "Haben wir doch noch was gefunden", sagt die Ärztin lachend und holt eine Spritze mit dem Impfstoff. Die verabreicht sie dann so schnell, dass der Patient ganz verwundert aufblickt und fragt: "War's das schon? Hat gar nicht weh getan". Überhaupt sei er sehr froh, dass die Ärztin die Praxis übernommen habe, sonst finde man ja kaum mehr einen Hausarzt, der noch Patienten aufnehme.
Auch als Landarzt ist ein freier Nachmittag drin
- Iris Roos hat hier ihren Platz gefunden. Wie schön die Arbeit in einer Hausarztpraxis auf dem Land sein kann, will sie auch anderen vermitteln. Das sei auch der Grund, warum sie zum Interview bereit war: Sie möchte die Arbeit in der Landarztpraxis attraktiv machen: "Ich muss nicht in München wohnen. Es ist auch auf dem Land schön. Und die Patienten sind sehr dankbar." Mit ihrer Familie wohnt sie ein paar Kilometer von Höchstädt entfernt im kleinen Dorf Unterglauheim. Dort leben auch ihre Eltern, die sie unterstützen, ihr kleinster Sohn ist erst zwei Jahre alt. Nach der Sprechstunde heute aber wird sie selber für ihre Kinder da sein: Es ist Mittwoch, da schließt die Praxis mittags. Dank des ärztlichen Bereitschaftsdienstes und der Notaufnahme wisse sie, dass die Patienten im Notfall einen Ansprechpartner haben. Das sei eine große Erleichterung zu früher.
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