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Systemische Therapie Das Beziehungsnetz im Fokus

Die Systemische Psychotherapie legt den Fokus auf das System und die Interaktionen der Mitglieder untereinander. Neben dem Patienten wird bei der Behandlung das Umfeld mit einbezogen. Denn bei der Entstehung einer psychischen Erkrankung spielen soziale Faktoren eine wichtige Rolle.

Von: Elke Hardegger

Stand: 05.10.2020

In einem Spinnennetz sind alle Fäden miteinander verbunden.  | Bild: picture-alliance/dpa/CHROMORANGE/Stephan Mentzner

Seit dem 1. Juli 2020 zählt die Systemische Therapie zu den vier Psychotherapien, die über gesetzliche Krankenkassen abgerechnet werden können. Die wissenschaftliche Anerkennung der Systematischen Therapie erfolgte bereits vor zwölf Jahren durch den "Wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie". Somit erhielt nun nach 33 Jahren ein neues Verfahren eine Kassenzulassung. Zuletzt wurde im Jahr 1987 die Verhaltenstherapie aufgenommen.

Persönlichkeit stärken durch neue Formen der Interaktion

Die Systemische Therapie bezieht alle Mitglieder in die Behandlung ein.

Die Systemische Therapie legt ihren Fokus auf die sozialen Beziehungen des Patienten. Die Interaktionen innerhalb der Familie oder des sozialen Umfelds sind Auslöser psychischer Erkrankungen. Mit der Grundannahme, dass sie das System aufrechterhalten, aber die Psyche belasten. Deshalb wird in der Systemischen Therapie versucht, systemfördernde Verhaltensweisen, Muster und Bewertungen zu hinterfragen, umzuwandeln und neue Lösungsansätze zu entwickeln.

Die Wahrnehmung und das Verhalten des Einzelnen und des Gesamtsystems soll durch die Systemische Therapie erweitert werden. In die Behandlung können nahestehende Personen einbezogen werden, wie Familie oder Lebenspartner. Dies wird auch als Mehrpersonen-Setting bezeichnet. Der Blick auf das gesamte Beziehungssystem kann helfen, schwierige und belastende Interaktionen in einem geschützten Rahmen neu zu definieren. Man nutzt die wertvolle Ressource der unmittelbaren Umwelt und bezieht Angehörige mit in die Therapie ein.

Systemische Therapie als Kassenleistung nur für Erwachsene

Die Regelversorgung für eine Systemische Therapie ist nur für Erwachsene zugelassen. Für Kinder und Jugendliche ist dieses Verfahren als ambulante Therapie noch nicht möglich. "Es darf nicht sein, dass den Kindern und Jugendlichen etwas vorenthalten wird, was den Erwachsenen bereits zugänglich gemacht wurde“, betont Dr. Filip Caby, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF). Eine Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) steht noch aus. Bereits im November 2019 wurde eine Stellungnahme angekündigt. Eine Entscheidung sollte innerhalb von zwei Jahren vorliegen.

Ursachen für das psychische Leiden liegen in der Interaktion

Wie alle Psychotherapien findet auch die Systemische Therapie über Kommunikation statt. Sie wird jedoch nicht Gedanken und Gefühle oder biologische Prozesse unmittelbar beeinflussen. Aber sie kann helfen, diese auf positive Weise anzuregen. Generell werden in der Systemischen Therapie soziale oder psychische Auffälligkeiten nicht als "krank" bezeichnet, sondern als Reaktion auf Probleme oder Anforderungen gesehen. Das unterscheidet sie von anderen Psychotherapien.

Die Systemische Therapie verfolgt eher einen lösungsorientierten Ansatz und hat das ganze Beziehungssystem im Blick, orientiert sich aber weniger an einer sogenannten Störung. Probleme werden nicht als Störungen einzelner Personen gesehen, sondern sie sind Ausdruck der Interaktion zwischen den Mitgliedern eines Systems. Neben der Familie werden auch die Arbeitswelt und weitere soziale Beziehungssysteme in den Blickwinkel der Therapie aufgenommen.

Psychische Erkrankungen sind sehr komplex

Die Systemische Therapie entwickelte sich zunächst in den 1950er-Jahren in den USA und zehn Jahre später in Europa, hauptsächlich in Deutschland und in Italien. Im Mittelpunkt stand die Erkenntnis, dass auffälliges Verhalten nicht nur als Ausdruck seelischer Konflikte zu verstehen ist, sondern als Reaktion auf die Umweltbedingungen, auf das soziale Umfeld. Zunehmend erweiterte sich der therapeutische Blick von dem Einzelnen und seinen Beziehungen auf die Familie und das gesamte relevante Umfeld. Bekannte Wegbereiter in den USA waren Paul Watzlawick und Virginia Satir, in Deutschland Horst-Eberhard Richter und Helm Stierlin. Anstoß war die zunehmende Ohnmacht von Therapeuten bei der Behandlung von psychotischen Patienten. Trotz erfolgreicher Therapie stieg ihre Rückfallquote, denn im Alltag und in der Familie verstärkten sich die seelischen Probleme wieder.

Systematische Therapeuten geben Anregungen für neue Interaktionen

Die ersten Wegbereiter der Systemischen Therapie stellten auch fest, dass ein einseitiges Ursachen-Wirkungsmodel eine psychische Erkrankung nicht ausreichend erklären kann. Deshalb entwickelten sie Methoden mit dem Ziel, das System aus dem Gleichgewicht zu bringen und neue Organisationsprozesse anzuregen. Der Therapeut oder die Therapeutin erhalten in der systemischen Therapie eine andere Rolle als in einer analytischen Psychotherapie. Sie diagnostizieren nicht das Problem und wissen die Lösung, sondern sie sehen und respektieren das gesamte komplexe System der Familie oder eines anderen relevanten Beziehungsgeflechts. Ihre Aufgabe ist es Anstöße zu geben, damit sich neue gesunde Interaktionen entwickeln können, in denen die Mitglieder weniger leiden.


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