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Eismumie Ötzi Ötzi sah anders aus als wir bisher dachten

Einer neuen Genomanalyse zufolge sah Ötzi anders aus als wir bisher dachten. Die Eismumie hatte zudem gebrochene Rippen und Narben: Wurde er vor 5.300 Jahren ermordet?

Stand: 17.08.2023 15:27 Uhr

Am 19. September 1991 entdeckten zwei Wanderer am Similaun-Gletscher in den Ötztaler Alpen zwischen Italien und Österreich eine Leiche, die zur Sensation wurde: den rund 5.300 Jahre alten Ötzi. Forscher haben die Mumie aus dem Eis seither umfangreich untersucht und viel über Ötzi herausgefunden, den zu Lebzeiten diverse Leiden plagten. Ursache seines Todes war aber wohl etwas ganz anderes.

Starb Ötzi durch einen Mord aus Heimtücke?

Eine stark blutende Wunde - hervorgerufen durch einen Pfeil - hat Ötzi wohl getötet.

Noch immer versuchen Forscher, Ötzis genaue Todesursache zu klären. Mittlerweile weiß man: Er starb ganz offensichtlich keines natürlichen Todes. Ötzi hatte gebrochene Rippen und in seiner linken Schulter steckte noch eine Pfeilspitze, die ihn von hinten getroffen hat. An dieser Wunde könnte Ötzi verblutet sein. Kriminalhauptkommissar Alexander Horn, Profiler am Münchner Polizeipräsidium, hat zwei Jahre lang an der Fallanalyse gearbeitet und ist sich sicher: "Es war Mord aus Heimtücke!" Seiner Meinung nach war dem Mord wenige Tage zuvor ein erster Angriff vorausgegangen. Den konnte Ötzi jedoch mehr oder weniger erfolgreich abwehren.

Nach der Messerattacke auf Ötzi kam der Pfeil

In seinen letzten Tagen hat sich Ötzi längere Zeit in den Hochalpen aufgehalten, war dann ab- und wieder aufgestiegen. Darauf lässt sein Darminhalt samt mit der Nahrung aufgenommener Pollen verschiedener Vegetationszonen schließen. In dieser Zeit muss sich Ötzi eine Schnittwunde an der Hand zugezogen haben. Sie ist ein bis drei Tage älter als die Schulterwunde. Stammt die Handverletzung von einem Messerkampf im Tal, bei dem Ötzi sich gewehrt hat? Das ist zumindest für den Fallanalytiker Alexander Horn eine mögliche Erklärung. Danach ist Ötzi wohl wieder ins Gebirge aufgestiegen und hat sich sorglos zu einer letzten Mahlzeit niedergelassen - höchstens eine Stunde vor seinem Tod. Der Pfeil traf den Ahnungslosen hinterrücks.

"Mit hoher Wahrscheinlichkeit war der Täter der Kontrahent aus der Messerattacke. Als offenbar unterlegener Gegner wollte er sich wohl auf keine direkte Konfrontation mehr einlassen und tötete deshalb Ötzi aus dem Hinterhalt mit einer Fernwaffe!"

Kriminalhauptkommissar und Fallanalytiker Alexander Horn, Leiter der Dienststelle Operative Fallanalyse am Münchner Polizeipräsidium

Mit diesem weiteren Angriff hatte Ötzi wohl nicht gerechnet. Darauf verweist laut Alexander Horn seine Ausrüstung. Er hatte einen Bogen dabei, der allerdings nicht gespannt war, obwohl er das Werkzeug dafür bei sich hatte.

Wem war Ötzi im Weg?

Einen Raubmord schließen sowohl Fallanalytiker Horn als auch Forscher aus. Zumindest hatte Ötzi noch seine - seinerzeit seltene und daher wertvolle - Kupferaxt bei sich. "Es ist wahrscheinlich, dass der Mord an Ötzi ähnlich banal ablief wie andere Morde heutzutage auch", sagt Alexander Horn. Neid, Zurückweisung oder Kränkung könnten ein Motiv gewesen sein. Für Walter Leitner, Archäologe aus Innsbruck, könnte der etwa 45 Jahre alte Ötzi zum Beispiel ein Dorf-Chef gewesen sein, den eine jüngere Generation loswerden wollte.

Weitere Erkenntnisse zu Ötzis Tod

Allerdings könnte auch ein schweres Schädel-Hirn-Trauma tödlich gewesen sein: Im hinteren Teil des Großhirns fanden Wissenschaftler zwei dunkel verfärbte Stellen. Durch einen Schlag auf Ötzis Stirn scheint sein Gehirn an den Hinterkopf geprallt zu sein, was zu Blutergüssen geführt hat, die als dunkle Flecken zu erkennen sind. Unklar ist aber, ob die Verletzungen durch einen Sturz oder einen Schlag auf den Kopf entstanden sind. Sicher ist jedoch, dass Ötzi keines natürlichen Todes starb, sondern entweder aufgrund des Blutverlustes durch die Pfeilverletzung oder der Folgen des Schädel-Hirn-Traumas.

Ötzis letzte Stunden

Letzte Mahlzeit

Ötzi wurde wahrscheinlich bei einer Rast getötet, etwa eine halbe bis zwei Stunden, nachdem er noch Steinbockfleisch, Äpfel und Getreide gegessen hatte. Genauere Analysen seines Mageninhalts deuten darauf hin, dass es sich beim Steinbockfleisch um eine Art steinzeitlichen Südtiroler Speck gehandelt haben muss. "Getrocknetes und rohes Fleisch behält seine Fasern, so wie wir sie in Ötzis Magen gefunden haben", sagt der Mumienspezialist Albert Zink. Da Ötzis Bogen nicht einsatzfähig war, müsse es sich um getrocknetes Fleisch gehandelt haben. Ein rohes Stück wäre auch zu schnell verdorben.

Letzte Rast

Warum Ötzi in rund 3.200 Metern Rast gemacht hat, und warum er getötet wurde, bleibt zwar weiter im Dunkeln - aber eines scheint klar, sagt Albert Zink, Leiter des EURAC-Instituts für Mumien und den Iceman: "Er hat sich sicher gefühlt, gerastet und ein ausgiebiges Mahl eingenommen. Bei dieser Rast ist er überrascht, erschossen und liegen gelassen worden."

Unterwegs im Frühjahr oder Sommer

Gestorben ist Ötzi im Frühjahr - Forscher aus Innsbruck haben in seinem Magen und Darm Pollen der Hopfenbuche gefunden. Lange war angenommen worden, dass Ötzi im Herbst in einer schneefreien Schlucht starb. Wahrscheinlicher ist einer aktuellen Studie zufolge aber, dass er im Frühling oder Sommer auf Schnee und Eis zu Tode gekommen ist.

Rätselhafte DNA-Spuren an Ötzi

War Ötzi vor seinem Tod in einen Kampf verwickelt?

Dass sich Ötzi vor seinem Tod einen Kampf geliefert haben könnte, darauf weisen auch die Erkenntnisse des australischen Molekularbiologe Thomas Loy hin: Er fand an Ötzi und seiner Ausrüstung DNA aus dem Blut von vier verschiedenen Menschen - und keines davon stammte von Ötzi selbst. Möglicherweise sind es also Blutspuren seiner Verfolger. Es kann aber auch sein, dass die DNA erst vor wenigen Jahren bei Ötzis Bergung oder danach an ihm, seinen Werkzeugen und seiner Kleidung haften blieb. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Studie aus dem Jahr 2022 von Wissenschaftlern aus Norwegen, der Schweiz und Österreich, an der auch die Gletscherforscherin Andrea Fischer mitgewirkt hat. Demnach stammen die Schäden an Ausrüstung und Werkzeugen nicht von einem Kampf, sondern sind im Laufe der Zeit natürlich entstanden. Denn ähnliche Schäden wurden auch auf anderen Artefakten gefunden, die nichts mit Ötzi zu tun haben, aber etwa gleichalt sind.

"Er hat einen üblen Geruch verbreitet und war ledrig. Das war für mich der stärkste Eindruck."

Anton Koler, ehemaliger Polizist, war bei Ötzis Bergung dabei

Spektakulärer Fund in den Ötztaler Alpen

Unterschätzte Entdeckung

Gefunden wurde Ötzi vom Nürnberger Ehepaar Helmut und Erika Simon am 19. September 1991. Beim Abstieg aus den Ötztaler Alpen, auf italienischem Boden, rund 92 Meter von der Grenze zu Österreich entfernt, machten die beiden in rund 3.200 Metern Höhe einen grausigen Fund: Eine braune Leiche ragte aus dem Eis. Deren Bedeutung wurde anfangs allerdings unterschätzt. Die Simons selbst dachten, sie wären auf einen erfrorenen Bergsteiger oder Skitourengeher gestoßen.

Datierungsfehler

Dem Extrembergsteiger Reinhold Messner schwante hingegen früh: "Mit dem Manndl stimmt was net." Da hatte er Recht, das geschätzte Alter der Mumie passte nicht: Anfangs mutmaßten Forscher der Universität Innsbruck, der gut erhaltene Ötzi sei höchstens 100 Jahre tot. Dann wurde er dem Mittelalter zugerechnet, bis er schließlich in die Kupferzeit datiert wurde: Ötzi lebte vor mehr als 5.000 Jahren!

"Frozen Fritz"

"Frozen Fritz", wie er im angelsächsischen Raum genannt wird, wurde zur Weltsensation: Noch nie wurden leicht vergängliche Teile wie Fell, Holz und eben ein kompletter Leichnam gefunden, die über einen so langen Zeitraum so gut konserviert waren. Damit das so bleibt, liegt Ötzi seit 1998 bei minus 6 Grad Celsius und einer Luftfeuchtigkeit von 98 Prozent im Archäologischen Museum in Bozen.

Streit um Finderlohn

Obwohl ihr Fund derart spektakulär war, jährlich zehntausende Besucher ins Museum lockt, Wissenschaftler weltweit beflügelte und sogar dazu führte, dass die Kupferzeit um 1.000 Jahre früher datiert wurde, musste das Nürnberger Ehepaar Simon jahrelang um einen Finderlohn kämpfen: Als die Anwälte sich mit der Region Südtirol auf die Summe von 175.000 Euro einigten, war Helmut Simon bereits tot: 2004 kam er in den Salzburger Alpen um, bei einem Bergunfall.

"Ich bin praktisch beinahe über ihn gestolpert. Die Auffindung war nicht so schlimm, denn er lag ja mit dem Gesicht nach unten. Es haben ja nur der Kopf und der Rücken herausgeschaut. Dann hat mein Mann ein Bild gemacht. Wir haben dem Hüttenwirt Bescheid gesagt und sonst gar nichts gemacht. Wir sind abgestiegen und haben am nächsten Tag erfahren, dass ein Bergsteiger gefunden worden ist."

So erinnert sich Erika Simon an ihre Entdeckung am 19. September 1991

Ötzis lange Krankenakte

Der Gletschermann Ötzi 1998 im Museum von Bozen.

Seit seiner Entdeckung wird Ötzi umfassend untersucht. Seine Krankenakte ist lang: Die Lungen waren schwarz - wohl vom Rauch offener Feuer. Ötzi hatte Würmer, Durchfall, Zahnprobleme, Arthritis und Gefäßverkalkung im Herzbereich, der Halsschlagader und der Schädelbasis. Die Arteriosklerose ist überraschend, denn Ötzi hatte wohl keine überwiegend sitzende Lebensweise - man geht davon aus, dass seine genetische Veranlagung für Herz-Kreislauf-Probleme der Auslöser dafür war. Darüber hinaus hatte er eine Laktoseintoleranz, gebrochene Rippen und diverse Narben. In seinen Haaren wurden Hirschlausfliegen gefunden, in seiner Kleidung zwei Menschenflöhe. Der schlechte Zustand seiner Fingernägel lässt auf Steinzeitstress schließen.

Ötzi schleppte außerdem den Magenkeim Helicobacter pylori mit sich herum. Es sei sogar eine aggressive Variante des Bakteriums gewesen, das Magengeschwüre und Magenkrebs verursachen kann, berichtet ein Forscherteam. Der in seiner DNA des Mageninhalts gefundene Stamm ähnele Varianten, die heute in Mittel- und Südasien kursieren. Laut der Wissenschaftler ist entweder die Besiedlungsgeschichte Europas komplexer als angenommen oder Ötzi kein typischer Bewohner der Gegend.

Ötzi und seine Zahnprobleme

Parodontitis

Im April 2013 förderten Forscher ein bis dahin unbekanntes Leiden zutage: Ötzi hatte schlechte Zähne. Sein Gebiss war ein Sammelsurium aus abgenutzten und abgestorbenen Beißerchen, ihn plagten Parodontitis und Karies. Mithilfe computertomografischer Aufnahmen hat der Zahnarzt Roger Seiler vom Zentrum für Evolutionäre Medizin der Universität Zürich (UZH) Ötzis Zähne untersucht.

Kieferknochen angegriffen

Dreidimensionale Rekonstruktionen von Ötzis Gebiss und seiner Mundhöhle zeigten: Vor allem an den hinteren Backenzähnen lagen die Zahnhälse frei und es war sogar der Kieferknochen schon angegriffen. Hierfür könnte seine genetische Veranlagung verantwortlich gewesen sein: Parodontitis geht oft mit Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems einher - und Ötzi litt auch unter Arterienverkalkung.

Ernährung

Eine weitere Ursache für Ötzis schlechte Zähne sehen die Forscher der UZH in seiner stärkehaltigen Ernährung. In der Jungsteinzeit wurde vermehrt Ackerbau betrieben, Brot und Getreidebrei etablierten sich auf dem Speisezettel. Doch der in der Nahrung enthaltene Abrieb der Mahlsteine, der auch in seinem Darm nachgewiesen werden konnte, hat Ötzis Zähne abgeschliffen und seine Karies begünstigt. Einige seiner Zähne waren aber auch unfallbedingt beschädigt: Ein Frontzahn ist vermutlich nach einem Schlag abgestorben. Ein Backenzahn hat seinen Höcker wahrscheinlich durch das Beißen auf etwas zu Hartes, vielleicht ein Steinchen im Essen, verloren.

DNA-Untersuchung

Forscher der Europäischen Akademie EURAC in Bozen und der Universität Wien haben bei Ötzi DNA-Erbgut "nichtmenschlichens" Ursprungs analysiert. Ihre Ergebnisse stellten sie im Juli 2014 vor. Die Erbgutspuren stammen größtenteils von Bakterien, die Ötzis Beckenknochen zu Lebzeiten besiedelten. In der DNA-Probe fanden die Forscher sehr viele Bakterien des Typs "Treponema denticola". Dabei handelt es sich um einen Erreger, der unter anderem für die Entstehung von Zahnfleischentzündungen verantwortlich ist. Diese Bakterien haben sich wahrscheinlich über den Blutstrom aus dem Mund bis in den Beckenknochen verbreitet. Bereits im Vorjahr waren bei der Gletschermumie Zahnprobleme festgestellt worden. Die DNA-Untersuchung bestätigt dies.

Wie Ötzi aussah und woher die Eismumie stammte

Eine Nachbildung von Ötzi 2013 im Museum von Herxheim (Rheinland-Pfalz). Mittlerweile geht man davon aus, dass Ötzi kaum Haare hatte.

Humangenetiker hatten im Herbst 2011 aus einem ein Zentimeter großen Knochenstück genügend DNA gewonnen, um das gesamte Erbgut der Eismumie zu entschlüsseln. Bisher ging man davon aus, dass Ötzi relativ helle Haut und dichtes Haar hatte. Deshalb ist Ötzi in Nachbildungen auch mit heller Haut und dichtem, langem Haar dargestellt. Diese Annahmen konnten mithilfe einer erneuten Genomanalyse widerlegt werden. Das Ergebnis veröffentlichten Forscher aus Deutschland, Italien und der Schweiz im August 2023 im Fachblatt "Cell Genomics".

Braune Haare und helle Haut - so sah Ötzi wohl nicht aus. Eine erneute Genomanalyse legt nahe, dass er dunklere Haut und eine Glatze hatte.

"Genetisch sieht er so aus, als seien seine Vorfahren direkt aus Anatolien gekommen", erläutert Ko-Autor Johannes Krause, Direktor am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Demnach hatte der Mann aus dem Eis wesentlich dunklere Haut als heutige Südeuropäer. Dies gehe den Forschern zufolge nicht darauf zurück, dass Ötzi jahrtausendelang im Eis gelegen hatte und dabei nachdunkelte. Dass am Kopf der Mumie kaum Haare gefunden wurden, hängt offenbar auch nicht damit zusammen, dass Ötzi so lange im Eis verbracht hatte. Stattdessen neigte Ötzi wohl genetisch bedingt stark zu Haarausfall und hatte wahrscheinlich sogar eine Glatze.

Ötzis Vorfahren stammten aus Anatolien

Den Ergebnissen der Genomanalyse zufolge reicht die Ahnenlinie von Ötzi direkt zurück zu jenen ersten Bauern, die vor etwa 8.000 bis 9.000 Jahren aus dem Nahen Osten nach Europa kamen: Das Genom von Ötzi stammt zu mehr als 91 Prozent von anatolischen Zuwanderern. Diese frühen Ackerbauern kamen ab vor etwa 9.000 Jahren aus dem Nahen Osten. Sie brachten auch die bis dahin unbekannte Landwirtschaft nach Europa. Die restlichen knapp neun Prozent des Genoms stammen demnach von europäischen Wildbeutern, also Jägern und Sammlern. Weil Ötzi aus einer relativ isolierten Bevölkerung in den Alpen stammt, gehen die Wissenschaftler davon aus, dass er nur wenig im Kontakt zu anderen europäischen Gruppen stand.

Weitere spannende Erkenntnisse aus Ötzis Blut und DNA

Ötzis mütterlicher Familienzweig wahrscheinlich ausgestorben

Nach einem Abgleich von Ötzis Erbgut mit dem von mehr als 1.000 Menschen, haben Forscher der Europäischen Akademie Bozen (Eurac) herausgefunden, dass die mütterliche Familienlinie des Gletschermanns höchstwahrscheinlich ausgestorben ist. Dazu hatten die Wissenschaftler die DNA aus den Mitochondrien, den sogenannten Energiekraftwerken der Zelle, untersucht. "Die mitochondriale DNA erzählt uns, gemeinsam mit dem Y-Chromosom, die genetische Geschichte des Menschen", so die Biologin und Mitautorin der Studie Valentina Coia. Die mitochondriale DNA verändere sich nur sehr langsam und werde nur von Müttern weitergegeben.

Abstammung von Ötzis Mutter

Einen Grund für das Aussterben zeigte ein Vergleich des Erbguts von Ötzi mit dem anderer Funde aus der Jungsteinzeit. Demnach kam die mütterliche Linie zu dieser Zeit wahrscheinlich nur im Alpenraum vor. Die Mutter habe einer kleinen, lokalen Alpenbevölkerung angehört, schreibt das Team in seiner im Journal "Scientific Reports" 2016 veröffentlichten Studie. Die genetische Linie von Ötzis Vater hingegen war in der Jungsteinzeit in ganz Europa verbreitet und findet sich noch heute.

Männliche Verwandte von Ötzi gefunden

Eine DNA-Analyse von mehr als 3.000 Männern in Tirol brachte im Oktober 2013 zutage: In Österreich leben noch Verwandte von Ötzi. 19 tiroler Männer tragen auf ihrem Y-Chromosom Erbinformationen, die wie ein vergilbtes Foto in einem alten Familienalbum an den Vorfahren aus der Eiszeit erinnern. Die Verwandtschaft zu Ötzi ist allerdings nicht allzu nah: Der letzte gemeinsame Vorfahr von Ötzi und den 19 heute lebenden Tirolern ist selbst schon seit rund 10.000 Jahren Geschichte. Ötzi selbst lebte vor etwa 5.000 Jahren, könnte also bestenfalls als eine Art Ururur...urgroßonkel der lebenden Verwandten bezeichnet werden.

Zufallsfund

Die Studie, bei der die Verwandtschaft zu Ötzi herauskam, hatte eigentlich ein ganz anderes Ziel: In Zusammenarbeit mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck auf der Spur der Besiedlung Tirols - der Blutspur, gewissermaßen. Mehr als 3.700 männliche Probanden haben für die "Tirolstudie" ihr Blut gespendet. Zusätzlich gaben die Spender an, wo sie selbst geboren wurden und ihre männlichen Vorfahren herkamen. Die Forscher wollen herausfinden, wie die Täler Tirols nach der letzten Eiszeit wieder besiedelt wurden.

Man(n) verrät's

Untersucht wurden in dieser Studie nur die Y-Chromosomen, daher wurden nur Männer getestet. Das Y-Chromosom wird nahezu unverändert von Vätern an ihre Söhne weitergegeben. Mutationen vollziehen sich extrem langsam. Daher geben die Y-Chromosomen Auskunft über die genetischen Eigenschaften der Ur-Väter.

Blutspuren entdeckt

Eduard Egarter-Vigl (l) und Albert Zink

2012 haben deutsche und italienische Forscher zum ersten Mal rote Blutkörperchen an der 5.300 Jahre alten Mumie entdeckt. "Dass nach so langer Zeit noch Blutkörperchen erhalten sind, war für uns eine riesige Überraschung", sagte Albert Zink. Er leitet das Institut für Mumien und den Iceman der Europäischen Akademie Bozen (EURAC).

Nutzen für die Gerichtsmedizin

"Es gab bislang keine Erkenntnisse darüber, wie lange Blut erhalten bleibt - geschweige denn, wie menschliche Blutkörperchen aus der Kupferzeit aussehen", so Zink. Die Wissenschaftler erhoffen sich von der Blutprobe neue Erkenntnisse für die moderne Gerichtsmedizin und darüber, wie sich Blutspuren mit der Zeit verändern. Laut Zink ist es bisher kaum möglich, bei Tatortuntersuchungen das exakte Alter einer Blutspur zu bestimmen.

Bär für den Kopf - Ziege fürs Bein

Ötzis Beinkleid aus Ziegenleder

Im August 2016 haben Wissenschaftler vom Forschungsinstitut EURAC in Bozen das Geheimnis von Ötzis Kleidung gelüftet. Mittels genetischer Untersuchungen konnten sie die Tierarten bestimmen, aus denen seine Kleidungsstücke hergestellt wurden. Demnach ist Ötzis Mütze aus Braunbärenfell und sein Pfeilköcher aus Rehleder - bisher gingen Forscher von Gämse aus. Aus der Verarbeitung von Wildtieren schließen die Forscher, dass Ötzi auch jagte und nicht nur mit der Viehhaltung beschäftigt war.

Ötzis Kleidung stammte von fünf Tieren.

Außerdem ergaben die genetischen Analysen, dass sein Mantel aus einer Kombination aus Ziegen- und Schafhaut gefertigt wurde und Ötzis "Leggings" sich aus Ziegenleder zusammensetzten. Der Lendenschurz scheint dagegen eher aus Schafsleder zu sein. Bei den Schnürriemen seiner Schuhe ergaben die Untersuchungen, dass sie nicht - wie bisher angenommen - vom Bären, sondern vom Rind stammen.

So war Ötzi unterwegs

Bogensehne aus Tierfasern

Kordel (l.) und Bogensehne aus Tierfasern (r.)

Bei Ötzi wurde eine Schnur gefunden. Lange wussten Forscher nicht, welche Funktion sie erfüllte. Eine Anfang Dezember 2019 veröffentlichte Studie kommt durch den Vergleich zwischen Pfeilen und Bögen aus der Jungsteinzeit und Ötzis Ausrüstung zu dem Schluss, dass die Schnur eine Bogensehne aus Tierfasern ist. Von welchem Tier sie stammen, konnte nicht ermittelt werden. Da die Schnur aufgrund ihres Materials belastbar ist, kann sie als Sehne für einen Bogen eingesetzt werden. In seinem Köcher hatte Ötzi noch eine weitere Schnur, die als Ersatz gedient haben könnte. Ungewöhnlich ist, dass Ötzi einen noch nicht fertig geschnitzten Langbogen im Hochgebirge bei sich trug. Von seinen 14 Pfeilen im Köcher waren nur zwei einsatzbereit.

Das hatte Ötzi dabei

Neben den Bogensehnen trug Ötzi eine Axt mit Kupferklinge bei sich, einen Rehleder-Köcher, 14 Pfeile, einen Bogen und diverse Werkzeuge, darunter eine Ahle zum Löcherstechen, einen Bohrer, einen Dolch mit kurzer Klinge und Feuersteine. Derart ausgerüstet konnte er einst Klingen schärfen, Pfeile schnitzen, sich um seine Kleidung kümmern, Feuer machen und jagen. Analysen zeigten, dass die Feuersteine von der sogenannten Trientner Plattform stammen, einem Gebiet zwischen Trentino und Veneto.

Ausrüstung nicht in bestem Zustand

Ein internationales Forscherteam untersuchte Ötzis Werkzeuge und vermeldete im Juni 2018, dass fast alle seine Geräte an den Kanten starke Abnutzungsspuren aufwiesen. So waren zum Beispiel sein Bohrer und sein Retoucheur zum Bearbeiten von Feuerstein stark abgearbeitet. Bei seinem Dolch war sogar die Spitze abgebrochen. Ötzi habe seine Sachen aber durchaus pfleglich behandelt: Zwei Geräte waren frisch nachgeschärft, obwohl sie "beinahe am Ende ihrer Verwendbarkeit angekommen" waren, schreiben die Wissenschaftler. Die Forscher schlussfolgern, dass er in seinen letzten Tagen keinen Zugang mehr zu neuem Material hatte.

Ein anderes Forscherteam um Gletscherforscherin Andrea Fischer von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) vermutet in einer neuen Studie von 2022, dass die Schäden an der Ausrüstung auf natürliche Prozesse an der Fundstelle zurückzuführen sind. "Schnee wiegt pro Kubikmeter rund 300 Kilogramm, Eis sogar bis zu einer Tonne. Da wirken also enorm große Kräfte auf die Artefakte, die unter dem Eis begraben sind", so Fischer. 

Ötzis Kupferbeil aus der Toskana

Die chemische Zusammensetzung des Axtmetalls deutet darauf hin, dass es in Mittelitalien gewonnen wurde: aus südtoskanischem Erz. Ob das Kupferbeil fertig in die Alpenregion geliefert wurde oder das Rohmetall erst vor Ort, im heutigen Südtirol, bearbeitet wurde, ist unklar. Vielleicht hat Ötzi das Rohmaterial auch selbst aus dem Süden geholt. War er selbst Händler? Oder stammte er gar aus der Toskana? Die Entdeckung spricht jedenfalls dafür, dass es vor mehr als 5.000 Jahren Handelsbeziehungen von den Ötztaler Alpen bis mindestens in die Toskana gegeben haben könnte.

Strapse und Fellumhang

Seine Garderobe bestand aus einer Bärenfellmütze, einem Umhang aus Ziegen- und Schafshaut, Schuhen aus Rinderleder mit Heu als Isoliermaterial, einem Lendenschurz aus Schafsleder und ganz besonderen Beinkleidern: Leggings aus Ziegenfell, die mit Strapsen am Gürtel befestigt wurden.

Ausgerüstet gegen Darmparasiten

Sogar Arzneimittel hatte der Mann aus der Kupferzeit dabei: Kugeln aus Baumpilzen sollten wohl seine Darmparasiten bekämpfen.

Steinalter Mann

Rund 45 Jahre wurde er alt, steinalt für damalige Verhältnisse. Rund 1,60 Meter soll er groß und durchaus muskulös gewesen sein.

Doubles für Ötzi

Ötzis Kopie aus Harz.

Übrigens: Seit April 2016 gibt es nicht mehr nur den einen Ötzi, sondern auch noch drei perfekte Doubles: Das Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen (oft auch als Ötzi-Museum bezeichnet) nutzte für die Ötzi-Rekonstruktionen bereits bestehende computertomografische Aufnahmen. Anhand dieser Daten formte ein 3D-Drucker die Mumie Schicht für Schicht aus Harz nach. Nach dem Aushärten wurde die Kopie von einem amerikanischen Paläokünstler fertig modelliert und bemalt.

Ötzi-Doubles gehen auf Wanderschaft

Mithilfe der Daten aus dem Computertomografen formte ein 3 D-Drucker die Ötzi-Kopie aus Harz.

Insgesamt wurden drei Ötzi-Kopien angefertigt: Eine ist für das Ötzi-Museum selbst und wird mit einer Wanderausstellung ab 2017 durch die USA und Kanada touren. Zwei Harz-Ötzis wurden für die Niederlassungen des Cold Spring Harbour DNA Learning Centers in New York, das an der Rekonstruktion beteiligt war, produziert. Sie sollen Schülern das Thema Genetik und die Geschichte der Menschheit näherbringen.

Ötzi und seine vielen Namen

Angelehnt an den Fundort heißt die Gletscherleiche entweder "Mann vom Tisenjoch" oder "Mumie/Eismann/Mann vom Similaun". Der offizielle Name lautet "Mann aus dem Eis". Eingebürgert hat sich "Ötzi": Der Wiener Reporter Karl Wendl hat den Spitznamen 1991 geprägt: "Diese ausgetrocknete, grässlich anzusehende Leiche muss positiver, lieblicher werden, um daraus eine gute Story zu machen." Also kreierte Wendl aus "Yeti" und "Ötztal" den "Ötzi". "Iceman" oder "Frozen Fritz" wurde er im angelsächsischen Raum getauft.

Ötzis Sprache in der Steinzeit

Doch wie haben Ötzi und seine Zeitgenossen selbst gesprochen? Man kann eine Sprache nur rekonstruieren, wenn man auch schriftliche Zeugnisse hat, die es zu dieser Zeit noch nicht gab. Der Schweizer Sprachwissenschaftler Chasper Pult ist Experte für die rätoromanische Sprache, also die Sprache, die heute noch an der Fundstelle in den Ostalpen gesprochen wird. Heutzutage sprechen die Menschen in der Region germanische und romanische Sprachen - zum Beispiel das Rätoromanische. Das Romanische kam mit den Römern in die Alpen.

Vorher wurde dort Rätisch gesprochen. Das Rätische ist eine eigenständige Sprache, die nicht keltisch ist, soviel weiß man heute. Dazu mutmaßt Mumienforscher Albert Zink vom EURAC in Bozen: Möglicherweise war das Rätische eine vor-indoeuropäische Sprache aus der Zeit von vor 4.000 Jahren, die vielleicht dem Baskischen ähnlich war, weil das Baskische die älteste Sprache Europas ist. Eines ist aber wohl klar: Der Kölner Sprachwissenschaftler Bernd Heine ist überzeugt, dass Ötzi und seine Zeitgenossen eine richtige Grammatik hatten und "normal" sprechen konnten.

Ötzi birgt noch viele Geheimnisse

Der Rucksack von Ötzi (l.) neben einem modernen Rucksack.

Mittlerweile können Wissenschaftler tief in Ötzis Inneres hineinschauen. Trotzdem sind noch viele Rätsel offen: Was bedeuten seine 61 Tätowierungen - die vielen bis zu vier Zentimeter langen, parallelen Linien und die zwei Kreuze? Könnten sie tatsächlich einer Art Akupunktur gedient haben? Und wer hat ihn wohl schließlich umgebracht?

Eisfreie Alpen-Gipfel zu Ötzis Zeiten?

Wie Eiskernbohrungen an der Weißseespitze im Tiroler Kaunertal zeigen, waren die Gipfel der Alpen in den vergangenen 10.000 Jahren schon einmal eisfrei. Vor etwa 5.900 Jahren, also zu Ötzis Lebzeiten, kühlte das Klima dann langsam wieder ab und Gletscher wuchsen. Ötzi wurde nahe der Weißseespitze gefunden.

"Wir wissen zum Beispiel durch vom sich zurückziehenden Eis freigelegte Bäume, die datiert werden konnten, sowie aus anderen Klimaarchiven, dass es vor etwa 6.000 Jahren ein sogenanntes Klimaoptimum gab. Unsere neuesten Eiskernbohrungen legen nahe, dass damals auch hochgelegene Gipfel in den Ostalpen eisfrei waren."

Pascal Bohleber, Gebirgsforscher an der Universität Venedig, Italien, und Studien-Autor

Wahrscheinlich wurde die Überquerung der Alpen durch die Klima-Abkühlung für die Menschen damals gefährlicher. Ob auch Ötzi davon betroffen war, kann man heute nicht mehr herausfinden. Das Eis, in dem Ötzi konserviert war, wurde nie datiert und ist heute nicht mehr vorhanden. Eine Studie von Forschenden aus Norwegen, Österreich und der Schweiz von 2022 legt allerdings nahe, dass Ötzi Zeuge der letzten Warmzeit im Alpenraum war. Die Temperaturen waren wohl ähnlich wie heute, die Erkenntnisse sind für unser Verständnis vom menschengemachten Klimawandel daher essenziell.

Fundort der Leiche nicht Ötzis Sterbeort

Zwar ist das Eis nicht mehr vorhanden, die Forschenden konnten die Eismengen an der Fundstelle von Ötzi aber rekonstruieren. Die Ergebnisse liefern eine Erklärung dafür, wie die Eismumie so lange so gut konserviert werden konnte: Bisher wurde angenommen, der Eismann sei im Herbst in einer schneefreien Schlucht auf dem Pass erfroren und sein Körper danach von Schnee bedeckt worden. Glaziologin Andrea Fischer und ihre Kollegen fanden jedoch heraus, dass Ötzi im Frühling oder Sommer auf Eis und Schnee gestorben war. Erst nach der Schmelze sei sein Körper samt Habseligkeiten in die Rinne gerutscht, in der er schließlich 1991 gefunden wurde. In den folgenden 1.500 Jahren wurden er und seine Artefakte immer wieder durch Schmelzprozesse freigelegt - allerdings immer nur so kurz, dass die Überreste so gut erhalten bleiben konnten.

Sendungen über die Eismumie Ötzi:


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