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Altmodische Auswahl Die Kandidaten-Kür der Nobelpreisträger

Bei der Kür der Nobelpreisträger geht es sehr traditionell zu: Vorschläge für Kandidaten werden handschriftlich eingereicht - und im streng geheimen "Roten Buch" gesammelt. Im Oktober werden dann die Preisträger ausgewählt.

Stand: 01.08.2022 | Archiv

Es erinnert in seiner Prozedur und in der Kompliziertheit seiner Abläufe an eine Hochzeitszeremonie in gut betuchten Kreisen: Nobelpreisträger wird man nicht auf Zuruf oder weil die Akademie in Stockholm das so übers Jahr beschlossen hat. Beim Nobelpreis pflegt man Traditionen, und das sehr bewusst.

Wer einen Nobelpreis erhält, entscheidet nicht die Nobelstiftung (Nobel Foundation). Nach dem Willen Alfred Nobels sind damit verschiedene Institutionen beauftragt:

  • Physik, Chemie und Wirtschaft: Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften
  • Physiologie oder Medizin: Karolinska-Institut in Schweden
  • Literatur: Schwedische Akademie
  • Frieden: Norwegisches Nobel-Komitee (fünf Personen, vom norwegischen Parlament ernannt)

Was macht Forscher zu Nobelpreisträgern?

Harte Arbeit oder Zufall

Alexander Fleming vor einem Mikroskop

Alle Nobelpreisträger sind kluge Köpfe. Doch ob sie den Preis tatsächlich zuerkannt bekommen, darüber entscheidet manchmal der Zufall. So wie im Fall des schottischen Nobelpreisträgers Alexander Fleming, der seinem unaufgeräumten Schreibtisch und einer gewissen Schludrigkeit die Entdeckung des bakterientötenden Penizillins verdankte. Eine große Portion Glück gehört also dazu.

Jugendpreis oder Lebenswerk

Erfahrungsgemäß hat ein Wissenschaftler mindestens zehn Jahre harte Arbeit hinter sich, bevor er die eine, wegweisende Entdeckung macht. Damit ist auch klar, dass der Nobelpreis in der Regel nicht an Jungforscher vergeben wird. Aber auch fürs Lebenswerk wird der Preis nicht automatisch vergeben, sagt Astrid Gräslund, Ständige Sekretärin im Nobel-Komitee für das Fach Chemie. Wichtig sei der eine "Türöffner", eine bahnbrechende Entdeckung, die wirklich die Welt verändert hat. Den ersten Physik-Nobelpreis für einen solchen "Türöffner" bekam Wilhelm Conrad Röntgen 1901 bei seiner Entdeckung der Röntgen-Strahlen.

Glück oder Genie

Das Attribut Genialität wird immer wieder dem Physiker Albert Einstein zugeschrieben. Aber nicht nur er war genial. Manche Forscher waren soziale Genies wie der Däne Niels Bohr, der gut darin war, Wissenschaftler zu einem Thema zusammenzubringen und zum Durchhalten anzutreiben. Große Entdeckungen sind auch heute häufig Gemeinschaftsarbeit. Einsame Genies sind seltener geworden. Früher waren sie unter den theoretischen Physikern anzutreffen, wie beispielsweise Erwin Schrödinger, der sich 1933 den Physik-Nobelpreis mit Paul Dirac teilte.

Rechte Zeit - rechter Ort

Dann ist es noch wichtig, wer seine zukunftsweisende Idee zuerst veröffentlicht. Das mussten deutsche Wissenschaftler feststellen, als 2002 der Japaner Koichi Tanaka den Chemie-Nobelpreis erhielt. In der wissenschaftlichen Welt war man der Meinung, dass die deutschen Forscher eine bessere Methode entwickelt hätten. Aber: Koichi Tanaka hatte seine Idee eindeutig früher veröffentlicht. Wer einen Nobelpreis bekommen will, muss seine Erkenntnisse möglichst schnell veröffentlichen, sonst zählt die großartigste Entdeckung nichts.

Handschriftliche Empfehlungen

Die erste Verleihung der Nobelpreise 1901

Zu Beginn jeden Jahres - und das seit 1901 - gehen von der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften Einladungen an bis zu 3.000 wissenschaftliche Einrichtungen in den naturwissenschaftlichen Fächern Medizin, Physik und Chemie. Bis zum 31. Januar sind diese aufgerufen, ihre Vorschläge für den Nobelpreis nach Stockholm zu schicken. Die Formulare müssen handschriftlich ausgefüllt und mit kurzer Begründung versehen per Post zurückgeschickt werden. E-Mails werden nicht angenommen.

Das Rote Buch der Kandidaten

Was zur Folge hat, dass auch nur tatsächlich rund 500 der Angeschriebenen antworten und ihre Vorschläge einschicken. Gesammelt werden die Empfehlungen in einem gebundenen und sehr geheimen Roten Buch. Einige hundert Kandidaten sind dort vertreten, "aber natürlich tauchen die meisten Namen ja immer wieder auf", berichtete Prof. Astrid Gräslund, damals "Ständige Sekretärin" beim Chemie-Komitee in Stockholm, vor einigen Jahren.

Konflikte im Komitee

Astrid Gräslund, ehemals "Ständige Sekretärin" im Nobel-Komitee für das Fach Chemie.

Einige Mitglieder im Chemie-Komitee wählen zusammen im Frühjahr zwanzig bis dreißig Namen für den engeren Kandidatenkreis aus. Für sie werden weltweit Fachgutachten eingeholt. Nach den Sommerferien wird diese Liste dann weiter zusammengestrichen. Da es im Komitee unterschiedliche Vorlieben gibt, kommt es auch immer wieder zu Konflikten. Manche Komiteemitglieder vergeben gerne einen Preis für Grundlagenforschung, andere lieber für angewandte Forschung.

Der ersehnte Anruf

Warten vor dem Telefon

Kurz vor der offiziellen Verkündung informieren die Nobelpreis-Juroren die Preisträger per Telefon. Größen aus der Wissenschaft sitzen dann vor ihrem Telefon und hoffen, dass es klingelt. Viele Forscher liegen aber auch im Bett, wenn der Anruf kommt, denn zahlreiche Preisträger leben in die USA. Dort schlafen die meisten Menschen noch, wenn die schwedische Jury ihre Entscheidung bekanntgibt.

Falsch verbunden

"Wir haben auch schon mal die falsche Nummer gehabt", erzählt Astrid Gräslund, "Ständige Sekretärin" der Chemie-Jury. Den richtigen Namen des falschen Preisträgers will sie nicht preisgeben: "Ich nenne ihn mal Smith. Der sagte dann: Wieso Professor Smith und Nobelpreis bekommen? Ich bin nur Mister Smith." Da habe man den Irrtum bei der Telefonnummer erkannt und nach einer diskreten Entschuldigung aufgelegt.

Drei Tage zu spät

Vergeblich war auch der Anruf beim frisch gekürten Preisträger Ralph Steinman im Jahr 2011. Der Immunologe war drei Tage vor der Bekanntgabe gestorben, doch in Stockholm wusste niemand davon. Erst nach langem Hin und Her wurde entschieden, dass der Preis trotz anderslautender Regeln posthum an Steinman ging.

Schutz vor schlechten Scherzen

Manche Angerufenen haben schon vermutet, statt der Nobelpreis-Juroren wären Witzbolde mit schwedischem Akzent am Apparat, die sie auf den Arm nehmen wollten. Für diesen Fall haben die Juroren vorgesorgt, sagt Gräslund: "Wir sind mehrere rund ums Telefon mit Lautsprecher. Da ist eigentlich immer jemand dabei, den der Preisträger persönlich kennt."

Männlich, grau sucht geeignete Preisträger

Anfang Oktober wird dann von den über hundert und meist ergrauten, männlichen Mitgliedern der Wissenschaftsakademie die Entscheidung für die Preisträger gefällt. In der über hundertjährigen Geschichte des Nobelpreises ist es wohl erst einmal vorgekommen, dass die Akademie beispielsweise im Bereich Chemie den Vorschlag des Komitees nicht angenommen hat.

"Man wird schon sehr zuvorkommend behandelt, wenn man auf Kongressen auftaucht."

Astrid Grälsund, ehemals Ständige Sekretärin beim Komitee des Chemie-Nobelpreises

Sendungen zum Nobelpreis und zur Auswahl der Nobelpreisträger


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