40

Chemie-Nobelpreis 2020 Entdeckung der Genschere CRISPR ausgezeichnet

Der Chemie-Nobelpreis 2020 geht an die Französin Emmanuelle Charpentier und die US-Amerikanerin Jennifer Doudna. Sie sind die Entdeckerinnen der Genschere Crispr/Cas9 und revolutionierten damit das Bearbeiten von Genen.

Von: Tanja Fieber

Stand: 07.10.2020 | Archiv

Crispr-Erfinderinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier - Genome Editing | Bild: picture-alliance/dpa

Mit der Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier (*1968) und der Biochemikerin Jennifer Doudna (*1964) erhielt erstmals ein rein weibliches Team den Chemie-Nobelpreis. Die Bedeutung ihrer Entdeckung kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Mit der Genschere CRISPR-Cas9 können Gene gezielt bearbeitet - das heißt entfernt, eingefügt und verändert - werden. Diese Methode des Genome Editing ist "preiswerter und effizienter als alle bisher bekannten Techniken. Es muss nur eine RNA verändert werden", sagt Claes Gustafsson vom Nobelpreiskomitee. Die Genschere stellten die Forscherinnen im August 2013 im Fachmagazin "Science" vor.

CRISPR-Cas9 ist ein mächtiges Werkzeug

Die Methode hat mehrere Vorteile: Sie arbeitet schnell, ist extrem preiswert, sehr einfach in der Handhabung und dazu vielfältig einsetzbar.

"Für jeden, der irgendetwas von Genom Engineering wusste, war Crispr der Startschuss. Crispr ist DAS Werkzeug für Biologen, unabhängig vom Organismus, an dem sie arbeiten. Weil es in jedem Organismus zu arbeiten scheint und einen fast jedes Gen umarbeiten lässt."

Kevin Esvelt, Massachusetts Institute of Technology (MIT), in der Doku 'Unnatural Selection' (Folge 3)

So funktioniert die Genschere CRISPR-Cas9

YouTube-Vorschau - es werden keine Daten von YouTube geladen.

Gen-editing mit CRISPR/Cas9 (english subtitles) | Bild: MaxPlanckSociety (via YouTube)

Gen-editing mit CRISPR/Cas9 (english subtitles)

CRISPR-Cas9 ist ein gefährliches Werkzeug

Die Genschere CRISPR ist ein "Werkzeugkasten mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, der vollkommen neue Möglichkeiten eröffnet", sagt Claes Gustafsson. Doch das großartige Werkzeug kann in den falschen Händen auch gefährlich sein. Der Einsatz von CRISPR "sollte reguliert und es sollte ihm ein Rahmen vorgegeben werden", Claes Gustafsson.

Genmanipulierte Babys - der Fall He Jiankui

Was passiert, wenn ethische oder moralische Bedenken außer Acht gelassen werden, zeigte ein Fall Ende 2018. Der chinesische Wissenschaftler He Jiankui manipulierte angeblich mit der Genschere CRISPR die Gene von Babys und ließ ein Zwillingspärchen austragen. Ein Tabubruch, der weltweit für einen Aufschrei unter Genforschern und Medizin-Ethikern sorgte. Ziel der Versuche war es angeblich, die Kinder gegen das HI-Virus immun zu machen. Die chinesische Regierung verurteilte Jiankui schließlich zu drei Jahren Haft. Der russische Forscher und Biologe Denis Rebrikov könnte der zweite Forscher werden, der Kinder genmanipuliert und sie austragen lässt - wenn er die Genehmigung bekommt.

Deutscher Ethikrat für CRISPR-Moratorium

Emmanuelle Charpentier sprach sich anlässlich des Falls in China gegen Manipulationen des menschlichen Erbguts aus. Der Deutsche Ethikrat drängt auf eine verbindliche internationale Vereinbarung zum Einsatz von CRISPR.

"Ich denke, wenn man eine starke Technologie hat wie CRISPR-Cas9, dann werden ethische Fragen wieder gestellt, die wir uns auch früher schon gestellt haben. Es ist also eine gute Gelegenheit, über alle ethischen Fragen rund um die Manipulationen von Genen zu reden. Vielleicht kann man sogar die Regeln international vereinheitlichen. In Europa gibt es in der Regel aber dafür mehr Konsens."

Emmanuelle Charpentier

CRISPR weitergedreht: der "Gene Drive" beschleunigt Vererbung

Kevin Esvelt, Evolutionsingenieur am Broad Institute of Massachusetts Institute of Technology (MIT), hat CRISPR weiterentwickelt und ist einer der Erfinder des "Gene Drive", mit dem im Turbomodus Genveränderungen in Organismen eingeschleust und in weniger Generationen als sonst verbreitet werden können. Ein Werkzeug, das noch mächtiger und noch gefährlicher als die Genschere CRISPR ist, denn der Eingriff ist nicht umkehrbar: Beim "Gene Drive" wird sowohl die Veränderung als auch das Werkzeug, mit dem die Veränderung vorgenommen wurde, in Lebewesen geschleust.

Ein Testlauf mit dem Gene Drive wurde erstmals an Malaria-Mücken in Burkina Faso ausprobiert. Es laufen auch Verhandlungen, damit die Ratten-Plage in Neuseeland zu bekämpfen. Die Tiere erlegen in großer Zahl einheimische Vögel und sind eine Gefahr für den Bestand. Das MIT hat ein Patent auf Esvelts "Gene Drive" angemeldet, um Missbrauch der Technik zu verhindern. Monsanto, der Produzent von Saatgut und Unkrautvernichtungsmitteln, hatte schon die Fühler ausgestreckt und kann mit einem Patentschutz nicht auf die Technik zugreifen.

Genschere (noch) kein Mittel gegen das neue Coronavirus

CRISPR-Cas9 ist zwar kein Hilfsmittel gegen das Coronavirus SARS-CoV-2, aber ein indirektes, sagt Emmanuelle Charpentier auf Nachfrage bei der Nobelpreisverkündung am 7. Oktober 2020. Der Werkzeugbaukasten hilft dabei zu erkennen, wie sich ein Virus vervielfältigt und wie es Menschen krank macht. Das sind zwei Schlüsselinformationen, um Viren bekämpfen zu können.

Deutsche Preisträger und Preisträgerinnen

Chronik: Chemie-Preisträger der vergangenen Jahre

  • 2019:  John B. Goodenough (USA), M. Stanley Whittingham (UK) und Akira Yoshino (Japan) für ihre Forschung zu Lithium-Ionen-Batterien
  • 2018: Frances Arnold, George Smith (beide USA) und der Brite Sir Gregory Winter für ihre Entwicklung von Enzymen und Viren im Einsatz umweltfreundlicher Chemikalien oder Medikamente
  • 2017: Jacques Dubochet (Schweiz), Joachim Frank (USA) und Richard Henderson (Großbritannien) für die Entwicklung der Kryo-Elektronenmikroskopie
  • 2016: Jean-Pierre Sauvage (Frankreich), Sir James Fraser Stoddart (Großbritannien) und Bernard L. Feringa (Niederlande) für die Entwicklng extrem kleiner molekularer Maschinen, die wie künstliche Muskeln funktionieren
  • 2015: Tomas Lindahl (Schweden), Paul Modrich (USA) und Aziz Sancar (USA/Türkei) für ihre Untersuchungen zu den Werkzeugen, mit deren Hilfe Zellen DNA reparieren
  • 2014: Stefan Hell (Deutschland), Eric Betzig und William Moerner (beide USA) für ihre Entwicklungen in der hochauflösenden Lichtmikroskopie
  • 2013: Martin Karplus, Michael Levitt und Arieh Warshel (alle USA) für ihre Entwicklung von Computer-Modellen komplexer chemischer Systeme
  • 2012: Robert J. Lefkowitz (USA) und Brian K. Kobilka (USA) für die Entdeckung der Wirkungsweise G-Protein-gekoppelter Rezeptoren in Zellen
  • 2011: Dan Shechtman (Israel) für die Entdeckung der Quasikristalle
  • 2010: Richard F. Heck (USA), Ei-ichi Negishi  (Japan) und Akira Suzuki (Japan) für die Verbindung von Kohlenstoffatomen zu komplexen Molekülen
  • 2009: Venkatraman Ramakrishnan (USA), Thomas A. Steitz (USA) und Ada E. Jonath (Israel) für die Forschung zur Erbinformation in den Proteinen
  • 2008: Der in den USA forschende Japaner Osamu Shimomura und die beiden US-Amerikaner Martin Chalfie und Roger Tsien für die Entdeckung des grün fluoreszierenden Proteins GFP
  • 2007: Gerhard Ertl (Deutschland) für seine Arbeiten zu chemischen Prozessen auf festen Oberflächen. Damit habe er die Grundlagen für die moderne Oberflächenchemie geschaffen
  • 2006: Roger D. Kornberg (USA) für die Erforschung, wie die Zelle aus dem Bauplan in den Genen fertige Proteine herstellt
  • 2005: Yves Chauvin (Frankreich), Robert H. Grubbs (USA) und Richard R. Schrock (USA) für die Entwicklung neuer Reaktionswege in der organischen Chemie, unter anderem zur Produktion von Plastik und Arzneien
  • 2004: Aaron Ciechanover und Avram Hershko (beide Israel) sowie Irwin Rose (USA) für die Entdeckung eines lebenswichtigen Prozesses zum Abbau von Proteinen im Körper
  • 2003: Peter Agre (USA) und Roderick MacKinnon (USA) für die Erforschung von Ionen- und Wasserkanälen der Körperzellen.
  • 2002: John B. Fenn (USA), Koichi Tanaka (Japan) und Kurt Wüthrich (Schweiz) für ihre Methoden zum Vermessen von biologischen Molekülen
  • 2001: William S. Knowles (USA), Barry Sharpless (USA) und Ryoji Noyori (Japan) für die Beschreibung neuer Katalysatoren

40