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Intelligente Raben Raffinierte und lernfähige schwarze Vögel

Das haben wir schon früh gelernt: Raben gelten als hinterhältig, diebisch und gemein. Doch der schwarze Vogel hat seinen schlechten Ruf zu Unrecht: Forscher haben herausgefunden, dass Rabenvögel ausgesprochen schlau und lernfähig sind.

Stand: 21.12.2022

Rabenvögel gelten als besonders intelligent: Sie lernen schnell und benutzen Werkzeuge zielgerichtet. Ein Grund dafür, warum die Vögel so schlau sind, könnte in ihrer langen Kindheit liegen. Denn manche Rabenvögel bleiben sehr lange bei ihren Eltern - und haben so viel Zeit, in beschützem Rahmen auch komplexe Dinge zu lernen.

Lange Kindheit - schlauer Nachwuchs

Forscher des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte kamen zu diesem Schluss, nachdem sie zahlreiche Studien zu Rabenvögeln ausgewertet hatten. Zwei Arten haben die Forscher dabei selbst untersucht: Unglückshäher in Schweden bleiben manchmal bis zu vier Jahre lang im Familienverbund, bis sie selbst brüten. So lernen sie, Raubfeinde schnell zu entdecken und auch gut versteckte Nahrung zu finden. Die Vögel, die als Jungtiere lange unter den Fittichen der Eltern bleiben, leben laut der Studie länger und haben zudem einen größeren Fortpflanzungserfolg.

Spielerisch lernen bei den Geradschnabelkrähen

Geradschnabelkrähen in Neukaledonien müssen auch noch eine ganze Weile bei den Eltern bleiben, bis sie die komplizierte Technik erlernen, die sie brauchen, um ihre Beute zu erjagen. Diese Krähen sind dafür bekannt, Werkzeuge herzustellen, mit denen sie Maden aus engen Röhren angeln können. Das lernt man nicht von heute auf morgen: Ein Jahr lang füttern die Eltern ihren Nachwuchs, während der zuguckt, mit den Werkzeugen spielt und sich langsam die Technik abschaut. Manche Jungvögel bleiben drei Jahre lang bei den Eltern.

Begreifen versteckter Zusammenhänge durch abstraktes Denken

Raben begreifen auch versteckte Zusammenhänge. Das war bislang nur bei Menschen bekannt. "Stellen Sie sich vor, Sie blicken von oben auf einen Wald hinab und sehen, wie sich die Äste und Blätter eines Baumes bewegen, obwohl kein Wind weht", schreiben Alex Taylor von der University of Auckland in Neuseeland und seine Kollegen. Der Mensch verstehe instinktiv, dass es eine für ihn nicht sichtbare Ursache für dieses Phänomen geben müsse - zum Beispiel einen Affen, der sich durch die Baumkronen schwingt und sie bewegt. Ähnlich abstraktes Denken war von den Rabenvögeln in einem Experiment gefordert: Sie begriffen den Zusammenhang zwischen einem Stock, der sich scheinbar von selbst bewegt und einem Menschen, der kurz darauf ein Versteck in der Nähe des Stocks verlässt. In freier Wildbahn kann ihnen solch abstraktes Denken einen großen Überlebensvorteil verschaffen.

Ähnlich wie bei Primaten

Deutsche Forscher haben erkannt, dass sich im Gehirn von Raben ähnliche Muster wie bei Primaten abspielen, wenn sie schwierige Entscheidungen treffen. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Lena Veit und Andreas Nieder von der Universität Tübingen haben die Raben Bilderrätsel machen lassen: Den Tieren wurde auf einem Bildschirm ein Bild gezeigt. Anschließend wurden ihnen zwei verschiedene Bilder vorgehalten, eines davon hatten sie gerade eben schon gesehen. Je nach Aufgabe mussten sie mit dem Schnabel entweder auf das zuvor eingeprägte Bild zeigen - oder genau auf das andere. Trafen sie die richtige Entscheidung, gab es Futter zur Belohnung. Nach einer Trainingsphase lag die Trefferquote bei annähernd hundert Prozent. "Das erfordert höchste Konzentration und eine geistige Flexibilität, die bei Weitem nicht alle Tierarten aufbringen können und die selbst für Menschen eine Herausforderung ist", berichten die Forscher. Außerdem stellten die Wissenschaftler fest, dass je nach Aufgabe andere Nervenzellen im Vogelgehirn aktiv waren, je nachdem, ob die Raben das zuvor eingeprägte Bild oder das andere auswählen sollten. Dies sei eine verblüffende Ähnlichkeit zu Primaten.

Raben sind Meister der Planung

Wissenschaftler aus Schweden haben untersucht, wie gut Raben planen können. Die Raben schafften es, einen Stein in den Schnabel zu nehmen und ihn in ein kleines Eisenrohr fallen zu lassen. Weil das Rohr zu einem speziellen Apparat führte, der dafür eine Belohnung ausspuckte. Der Zoologe Mathias Osvath ist sich sicher, dass die Vögel diese Aufgabe durch Überlegen meisterten. Sie hätten verstanden, dass ihnen der Stein als Werkzeug für ein künftiges Ereignis nutzen wird. Und zwar teilweise innerhalb von einer Viertelstunde! Und sogar 17 Stunden später wussten sie laut Osvath noch, welches Werkzeug bei der Maschine zum Erfolg führt. Und das, obwohl die Raben auch die Wahl hatten, eine kleine Belohnung sofort zu bekommen. Osvath ist sich sicher, dass die Vögel gelernt haben, dass sie mit dem Stein später eine größere Belohnung bekommen. Um so langfristig zu planen, müssen die Tiere viele verschiedene Fähigkeiten verknüpfen. Osvath schlussfolgerte, dass Raben mindestens genauso gut planen können wie Menschenaffen.

"Sie müssen dafür Hilfsmittel nutzen und schlussfolgern. Sie müssen verstehen, dass ein Werkzeug oder ein Stein zu etwas hinführt. Sie brauchen ein bestimmtes Gedächtnis, um sich an eine vorherige Situation zu erinnern. Und sie brauchen hemmende Fähigkeiten, um sich selbst zu beherrschen."

Mathias Osvath, Zoologe, Lund Universität, Schweden

Die Intelligenz der Rabenvögel

Petzer

Gesichtserkennung

Raben erkennen Gesichter – und identifizieren so zum Beispiel noch fünf Jahre nach einer Fangaktion "böse" Menschen. Auch Raben, die das Ganze nur beobachtet hatten, hatten später Angst vor diesen Gesichtern. Doch nicht nur das: Petzen können die Vögel auch. Unbeteiligten Raben stecken sie, vor wem die sich in Acht nehmen müssen.

Nahrung

Nussknacker

Der britische Verhaltensforscher Nathan Emery erforschte japanische Krähen, die Nüsse auf die Straße werfen, um die Leckerbissen von darüber rollenden Autos knacken zu lassen. Damit nicht genug: Sie werfen ihre Nüsse gezielt auf Zebrastreifen oder vor Ampeln und ernten ihre Beute, wenn die Autos anhalten.

Werkzeuge

Werkzeuggebrauch

Bei der Nahrungssuche können sich die Vögel auch Werkzeuge zunutze machen - und sogar drei verschiedene zielgerichtet nacheinander einsetzen: Das fanden Forscher der Universität Oxford 2009 heraus, indem sie Nahrung in einem Loch versteckten. Nur mit einem speziellen Werkzeug konnte der Leckerbissen herausgefischt werden. Doch um dieses zu bekommen, mussten die Vögel erst zwei andere Werkzeuge nutzen. Einige Krähen schafften diese Aufgabe schon beim ersten Versuch. Dieses sequenzielle Nutzen von Werkzeugen gilt eigentlich als Zeichen menschlicher Intelligenz.

Im Dezember 2014 berichtete eine britische Forschergruppe über Neukaledonien-Krähen, die Rechts- oder Linksschnäbler sind. Ob sie ihr Werkzeug, beispielsweise ein Stöckchen zum Stochern nach Käferlarven, lieber nach rechts oder links aus dem Schnabel ragen lassen, hänge von ihrem Sehvermögen ab. Die Forscher um Alex Kacelnik von der Universität Oxford entdeckten, dass die Vögel ein sehr weites Sichtfeld haben. Dieses diene dazu, mit einem Auge ein Objekt noch jenseits der Schnabelspitze sehen zu können. Sieht eine Krähe auf dem rechten Auge besser, hält sie die Stöckchenspitze auf der linken Schnabelseite - und umgekehrt, also immer im Blickfeld des besseren Auges.

Im Jahr 2018 berichteten Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für Ornithologie von Krähen, die aus mehreren Elementen Werkzeuge herstellen können. Das war bis dahin nur von Menschen und Menschenaffen bekannt. Ohne vorher geübt zu haben, steckten die Krähen in den Versuchen verschieden lange, hohle Stäbchen ineinander, um an ein entfernt liegendes Stück Futter zu gelangen.

Tricks

Steinwurf

Britische Forscher setzten Saatkrähen einen schmalen, hohen Becher vor, in dem ein Wachswurm schwamm - allerdings so tief, dass sie ihn nicht kriegen konnten. Neben den Becher legten die Forscher kleine Steine. Um an den Wurm zu kommen, warfen die Vögel so lange Steine ins Gefäß, bis der Wurm nach oben kam.

Einen ähnlichen Versuch machten Forscher aus Neuseeland mit Neukaledonischen Krähen: In einem zur Hälfte mit Wasser gefüllten Plexiglas-Zylinder schwamm für die Tiere unerreichbar ein Korkstück, auf dem Futter lag. Die Krähen erkannten, dass sie ans Futter gelangen, wenn sie die daneben liegenden Steine ins Wasser werfen. Ihre Geschicklichkeit entspreche in etwa der von fünf- bis siebenjährigen Kindern, schlussfolgerten die Forscher Ende März 2014.

Zukunft

Zukunftsplanung

Immer wieder zeigen Futterexperimente, dass die Tiere schlauer sind als allgemein bekannt: "Krähen planen für den nächsten Tag", so das Ergebnis der Wissenschaftler. Das zeuge von hoch entwickelten und komplizierten Gedankengängen.

Vorsorge

Vorratshaltung

In mehreren Experimenten hatten die Forscher Rabenvögel in durch Wände teilbare Räume gesperrt. In einigen Räumen gab es täglich "Frühstück", in anderen nicht und wiederum in anderen nur eine einzige Sorte Nahrung. Gab man den Tieren die Möglichkeit, nach Belieben Nahrung zu verstecken, deponierten sie Nahrung dort, wo es nie "Frühstück" gab und versorgten außerdem die Räume mit eingeschränktem Nahrungsangebot durch das jeweilige Futter, was dort gewöhnlich "fehlte". Zudem weiß ein Rabe beim Verstecken des Futters, dass seine Beute nur dann sicher ist, wenn ihn keiner beobachtet hat.

Partner

Taktik

Im Sozialleben mit Artgenossen vollziehen sie gewiefte taktische Manöver, die beweisen: Raben wissen, was im Kopf des Partners vorgeht, und versuchen ihn - beispielsweise bei der Nahrungsbeschaffung - "auszutricksen". Das hat der Biologe Thomas Bugnyar herausgefunden.

Fürsorgliche Rabeneltern

Drei junge Kolkraben im Nest

Raben leben übrigens lebenslang mit dem gleichen Partner zusammen. Jedes Jahr zieht das Paar zwei bis fünf Junge heran, um die sich die Rabeneltern sehr fürsorglich kümmern. Doch junge Raben und Krähen fallen schnell mal aus dem Nest und hüpfen dann scheinbar verlassen auf dem Boden herum – was wohl den Ausdruck "Rabeneltern" prägte. Doch Mama und Papa Rabe sind stets in der Nähe, füttern und verteidigen ihren Nachwuchs.

Als Raubvogel gefürchtet

Die schwarzen Vögel sind als Aasfresser verschrieen. Sie treiben sich oft mit Schweinen herum, denn was die mögen, fressen auch die Raben gerne.

Doch trotz der vielen Beweise ihrer Intelligenz waren und sind Raben nicht besonders beliebt. Als Galgenvogel war der Rabe verschrien, weil man den Aasfresser auf Schlachtfeldern als Leichenfledderer beobachten konnte. Heute plündern die größten unserer heimischen Singvögel eher Mülldeponien. Außerdem gelten sie auch als Lämmer- und Ferkelmörder. Meist treiben sie sich aber aus anderem Grund zwischen Ferkeln herum: Was die Schweinchen mögen, essen auch Raben gern – und das liegt oft frei zugänglich auf dem Boden herum. Übrigens: Lämmer gehören zwar in das natürliche Beutespektrum der Raben, sie bevorzugen allerdings Tot- und Nachgeburten.

Schwarze Gesundheitspolizei

Rabenvögel spüren schwache oder kranke Tiere auf, oft Tage bevor die Krankheit ausbricht.

Raben scheinen einen sechsten Sinn für schwache und kranke Tiere zu haben. Landwirte haben beobachtet: Tage bevor bei einem Nutztier eine Lungenentzündung oder eine Durchfallerkrankung diagnostiziert wird, wird es schon von Raben gepiesackt. So gesehen, könnte der Vogel auch eine Hilfe bei der Nutztierhaltung sein, betont der Zoologe und Raben-Experte Hans-Dieter Wallschläger von der Universität Potsdam.

Unter den gefiederten Genies sind die Rabenvögel Spitzenreiter. Kolkraben können sogar sprechen, wenn ihnen einzelne Sätze lange genug vorgesprochen werden. Auch der Dialekt ihres Lehrmeisters ist dann noch zu erkennen. Den Inhalt ihrer Worte verstehen die Raben aber nicht. Noch nicht - zumindest wurde dies noch nicht nachgewiesen.

Rabenvögel

Trotz ihres typischen Gekrächzes gehören die Rabenvögel zu den Singvögeln. Die Rabenvögel (Corvidae) sind eine zoologische Familie, zu der unter anderem Dohle, Elster, Eichelhäher, Kolkrabe sowie Raben- und Nebelkrähe zählen.


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