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Erdbebensicheres Bauen Wie Menschenleben gerettet werden könnten

Mehr als zwei Milliarden Menschen leben in erdbebengefährdeten Gebieten. Viele von ihnen leben in Gebäuden, die alles andere als erdbebensicher sind - die Folgen sind verheerend. Dabei gäbe es Materialien und Bauweisen, die Tausende Leben schützen könnten.

Stand: 24.02.2023

Beben der Magnitude sechs und höher gibt es durchschnittlich dreimal pro Woche. Sie entstehen meist an den Rändern der Erdkrustenplatten - vor Südamerika oder Indonesien, in Kalifornien oder im Himalaja. Mehr als zwei Milliarden Menschen leben in diesen Erdbebengebieten. Sie vor den Folgen der Erdbeben zu schützen, ist ein großes Problem.

Erdbebensicher bauen: Leben retten mit den richtigen Materialien

Erdbebengefährdete Metropolen der Welt

Einige Städte, die in der Nähe oder auf großen Verwerfungszonen gebaut wurden, gelten bei Erdbebenexperten als besonders gefährdet. In Istanbul, Kairo, Quito, Manila, Kalkutta, Dakar, Teheran, Mumbai, New Delhi, Jakarta, Lima oder Bogotá und auch in einigen Metropolen in China warnen Experten vor besonders vielen Opfern bei großen Erdbeben. Diese Städte sind besonders dicht besiedelt, außerdem ist die Bausubstanz dort entweder alt und baufällig oder nicht erdbebensicher. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Sie reichen von Armut über Pfusch, Profitgier, Schlamperei, Korruption oder Geldmangel bis hin zu Fatalismus und Ignoranz. Dabei gibt es in einigen dieser Länder durchaus Vorschriften für erdbebensicheres Bauen, die aber häufig nicht eingehalten werden.

Hohes Erdbeben-Risiko in Istanbul

Durch die Kollision von Kontinentalplatten sind geologische Bruchlinien entstanden.

Istanbul gilt als besonders erdbebengefährdete Stadt. Durch den Zusammenstoß der Afrikanischen und der Eurasischen Platte kam es zu mehreren Verwerfungen, die den unruhigen Untergrund der Türkei bilden. Die Anatolische Platte ist zwischen den beiden Platten eingeklemmt und bewegt sich pro Jahr um zwei bis drei Zentimeter westwärts. Der Norden dieser Platte wird von der Nordanatolischen Verwerfung durchzogen, die nur rund 20 Kilometer südlich von Istanbul entlangläuft. Im Gebiet um Istanbul gab es seit rund 250 Jahren kein stärkeres Beben mehr. Daher gilt es als potenziell extrem gefährdet.

Einsturzgefahr bei Erdbeben: schlechte Bauweise, falsche Materialien

14. Januar 2010: das eingestürzte staatliche Steueramt in Port-au-Prince nach dem schrecklichen Erdbeben in Haiti

Betrachtet man die Folgen von Erdbeben, so ist entscheidend, wie die bei einem Beben freigesetzte Energie die Erdoberfläche beschleunigt und verformt. Die Bodenbewegungen sind es, die nicht erdbebensicher errichtete Gebäude oder Teile davon zum Einsturz bringen. Dabei spielt nicht nur die Bauweise, sondern auch das Material eine wichtige Rolle. Ein Problem ist, dass in den meisten Ländern mit Mauerwerk aus Ziegeln und Lehm gebaut wird, weil es in vielen Regionen als natürliches Material erhältlich ist. Doch dieses Material ist eben auch besonders einsturzgefährdet. Es gibt kaum nach und ist schwer, sodass bei einem Erdbeben Wände oder Decken einfach einstürzen. Auch billige, minderwertig gebaute Betonhäuser sind problematisch, da sie bei Erdbeben wie Kartenhäuser zusammenklappen können.

Leben retten mit erdbebensicheren Materialien

Dabei gibt es durchaus erprobte Bautechniken und -materialien, die billig und dennoch erdbebensicher sind. So gibt es zum Beispiel für Hausbauer in der mexikanischen Stadt Mexicali, im Erdbebengebiet Baja California, Anleitungen zum erdbebensicheren Bauen.

"Sie setzen niedrige Stahlbetonkonstruktionen ein, die vernünftig mit gutem Baustahl und massivem Beton gesichert sind. Die kleinen Häuser überstehen die Bodenbewegungen sehr gut und sind noch nicht einmal teuer."

Tom Heaton, California Institute of Technology in Pasadena

Häuser, die auf "Erdbebenwellen reiten"

Geht es um Hochhäuser, bevorzugen die Ingenieure flexible Stahlstrukturen, die den Wellen bis zu einem gewissen Grad nachgeben und schwingen. Jonathan Stewart von der Universität von Kalifornien in Los Angeles betont, dass ein Gebäude, das sich bewegt, Energie absorbiert. Reagiert es dagegen spröde, kann es bei der Verformung brechen.

Flexible Gebäude, so die Idee, "reiten" auf den Erdbebenwellen. Ein Beispiel dafür sind Holzhäuser, die im Rahmen des europäischen Forschungsprojekts "Sofie" entwickelt wurden. Sie orientieren sich an Holzhäusern, wie sie auch in Nordamerika zum Einsatz kommen. Holz sei ein sehr guter Baustoff für Erdbebengebiete, urteilt Professor Hans Joachim Blaß, ehemaliger Leiter des Karlsruher Instituts für Technologie KIT für Holzbau, das an "Sofie" beteiligt war.

"Das zeigen einfach Erfahrungen aus Ländern, wo große Erdbeben auftreten und wo viel mit Holz gebaut wird. Nordamerika zum Beispiel, die Westküste Nordamerikas. Dort haben sie sehr viele Holzbauten, und man sieht dann nach einem starken Erdbeben, dass Holzhäuser diese Erdbeben wesentlich besser überleben als massive Steingebäude."

Joachim Blaß, ehemaliger Leiter Karlsruher Institut für Technologie KIT

Textilien und Naturfasern, die Altbauten sichern

Geforscht wird auch an Verbesserungen für gefährdete Altbauten. Sie können jetzt schon mit Stahlankern verstärkt, mit Stützen oder Stoßdämpfern gesichert werden. Eine weitere Entwicklung geht in den textilen Bereich: Alte Ziegelbauten könnten sicherer werden, indem sie von einem Hightech-Textilgeflecht aus Polypropylen- und Glasfasern umhüllt werden. Die Glasfasern sollen den Wänden Steifigkeit verleihen, die Polypropylenfäden die Wände elastischer machen. Gemeinsam sollen sie die Kräfte der Erdbeben auffangen: Das Geflecht soll einen Ziegelbau zusammenhalten wie ein Gummiverband.

Für Länder wie Haiti oder Nepal sollen dagegen eher Naturfasern zum Einsatz kommen, damit die Textilien vor Ort produziert werden können. Getestet werden dort zum Beispiel Banane, Bambus oder Gräser.

Erdbebensichere Traditionen

Auf den ersten Blick erstaunlich resistent gegen Erdbeben sind häufig traditionell gebaute Häuser und Hütten aus Holz oder Bambus, wie sie auch in Nordindien gebaut wurden. Dort stellten Forscher fest, dass ein schweres Erdbeben in dieser Region kaum Schäden verursacht hatte, weil die Menschen in Bambushütten gelebt hatten. Experten wie Martin Voss von der Freien Universität Berlin raten deshalb, sich gerade in extrem gefährdeten Regionen wie Nordindien besonders an den traditionellen Bauweisen zu orientieren und diese wieder verstärkt aufleben zu lassen.

Sendungen zum Thema Erdbeben


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