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Pränataldiagnostik Wann sind Trisomie-Bluttests sinnvoll?

Frauen, die ausschließen wollen, dass ihr Ungeborenes Trisomie hat, können einen Bluttest machen lassen. Ab dem 1. Juli 2022 wird dieser in bestimmten Fällen von den Krankenkassen bezahlt. Wie funktioniert dieser Test? Und warum löst er eine Debatte aus?

Stand: 30.06.2022 09:44 Uhr

Symbolbild: Ein Fötus liegt in einer Schale, daneben eine Spritze mit Blutprobe, im Hintergrund eine Artzmaske.  | Bild: picture-alliance/dpa  / Christian Ohde

Die sogenannten nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) stehen Frauen schon seit 2012 zur Verfügung. Allerdings mussten Schwangere sie bislang in der Regel selbst bezahlen. Je nachdem, wie umfangreich er ausfällt, kann der Test mehrere hundert Euro kosten.

Ab dem 1. Juli 2022 werden Trisomie-Bluttests von den Krankenkassen bezahlt - in begründeten Einzelfällen. Doch diese Entscheidung ist umstritten.

Wie funktioniert ein Trisomie-Bluttest?

Bei dem Test wird eine Blutprobe der Mutter auf bestimmte Erbgutfehler des Fötus untersucht. Das Blut der Schwangeren enthält neben ihren eigenen Erbinformationen auch winzige Fragmente des kindlichen Erbgutes, sie stammen aus den kindlichen Zellen des Mutterkuchens, der Plazenta. Anhand dieser winzigen DNA-Bruchstücke lässt sich ermitteln, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie 21 (Down-Syndrom), eine Trisomie 18 (Edwards-Syndrom) oder Trisomie 13 (Pätau-Syndrom) ist.

Testanbieter versprechen eine hohe Sicherheit, von bis zu 99%, bei den Ergebnissen. Fällt der Test negativ aus, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass das Ungeborene Trisomie 21 hat. Ist es hingegen auffällig, muss ein weiterer Eingriff folgen, um eine sichere Diagnose zu stellen – etwa eine Fruchtwasseruntersuchung, ein invasives Verfahren, bei dem die Fruchtwasserblase punktiert wird.

Trisomie-Bluttest jetzt Kassenleistung

Im Gegensatz zur Fruchtwasseruntersuchung, bei der für Mutter und Kind ein gewisses Risiko besteht und es im schlimmsten Fall zur Fehlgeburt kommen kann, ist der Trisomie-Bluttest ungefährlich. Das ist einer der Gründe, weshalb der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ein Gremium, das Ärzte, Krankenkassen und Kliniken zusammenbringt, schon 2019 die Kassenzulassung beschloss. Ein weiteres Argument, das dafür sprach: In den letzten Jahren sind die Ergebnisse der Bluttests immer genauer geworden.

Kritik an kostenlosen Trisomie-Bluttests

Die Kassenzulassung der Trisomie-Bluttests hat eine heftige ethische Debatte ausgelöst: Behindertenverbände, Kirchen und Ärzte befürchten, dass ein kostenloser Test zu einer systematischen „Reihenuntersuchung“ von Schwangeren führen könnte, auch in Fällen, in denen eine solche Untersuchung gar nicht angebracht ist. Bei einigen Interessensgruppen geht die Angst um, dass eine solche systematische Suche nach Ungeborenen mit Behinderung in vielen Fällen eine Abtreibung nach sich ziehen dürfte.

Einzelfälle nicht klar definiert

Der Trisomie-Bluttest soll auch zukünftig nicht standardmäßig von der Kasse bezahlt werden, sondern nur in begründeten Einzelfällen. Die seien jedoch nicht klar definiert, kritisiert Thomas von Ostrowski, Vorstandsmitglied des Berufsverbands niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP). Laut G-BA-Beschluss ist Voraussetzung für die Kassenleistung, dass es bereits Hinweise auf Trisomie gegeben hat. Oder wenn die Schwangere zusammen mit Arzt oder Ärztin meinen, dass der Test aufgrund der individuellen Situation nötig ist - ein schwer einzugrenzendes Argument.

Wird der Test Standard bei Risikoschwangerschaften?

Bei "Risikoschwangerschaften" könnte daher der Bluttest häufig Anwendung finden, fürchtet Angelika Wolff, Expertin für Schwangeren- und Schwangerschaftskonfliktberatung der Diakonie Deutschland.

Claudia Heinkel, die in Stuttgart eine Beratungsstelle der Diakonie zu Pränataldiagnostik leitet, kritisiert, dass die Kassenzulassung eine die Botschaft enthalte: "Es gibt hier einen einfachen Test, den wir auch bezahlen – auch weil wir es für gesellschaftlich erwünscht halten, Trisomie 21 zu suchen."

Anreiz zum Selektieren ...

Der Allgemeine Behindertenverband in Deutschland (ABiD) fürchtet ein "großes Selektieren" durch die Bezahlung des Tests durch die Krankenkassen. Dessen psychosozialer Berater Dennis Riehle warnt, dass so der Anreiz steige, die Gendiagnostik standardmäßig durchzuführen, und damit die "utopische Ideologie des idealen Menschen weitere Anhänger" finde.

... oder soziale Gerechtigkeit?

Der G-BA hingegen argumentiert, dass ja auch schon bislang Schwangere den Trisomie-Bluttest durchführen lassen konnten - wenn sie selbst in die Tasche gegriffen und ihn bezahlt haben. Es sei also eine Frage der finanziellen Mittel gewesen, so eine Sprecherin des Ausschusses. Mit der neuen Regelung würde ein soziales Ungleichgewicht beendet.

Für wen ist ein Trisomie-Bluttest sinnvoll?

Für eine 42-jährige Patientin mit einem im Ultraschall unauffälligen Kind könne der Bluttest durchaus Sinn ergeben, sagt Nilgün Dutar, Präsidentin des Berufsverbands niedergelassener Pränatalmediziner. Denn mit steigendem Alter steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Chromosomenstörung. "Aber für eine 20-Jährige mit ebenfalls unauffälligem Ultraschall ist so ein Test nicht sinnvoll."

Und: Sicherheit biete der Test eben nicht – es handele sich um eine Wahrscheinlichkeitsberechnung, so Nilgün Dutar. Es kommt, so die Pränatalmedizinerin, durchaus zu falsch-positiven Ergebnissen: Im vergangenen Jahr habe sie allein drei Frauen behandelt, deren Testergebnis auf eine Trisomie 18 hingewiesen habe – fälschlicherweise. „Die Kinder hatten nichts, das ist eine enorme Verunsicherung der Paare.“


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