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Fleischallergie Juckreiz auf Zuckerbasis

Juckende Quaddeln, dicke Blasen, möglicherweise auch Atemnot: Das können die Folgen einer Fleischallergie sein. Das Tückische daran: Die Allergie tritt erst Stunden nach dem Verzehr auf, sodass die Ursache oft nicht auf Anhieb erkannt wird.

Stand: 15.06.2020

Detailaufnahme: Ein Mann führt auf einer Gabel ein Stück Roastbeef zu seinem Mund. | Bild: colourbox.com

Bei einer typischen Allergie treten die Beschwerden sofort auf, nicht aber bei einer Fleischallergie, bei der bis zum ersten Auftreten Stunden vergehen. Dieses Muster kennt man eigentlich nur von Lebensmittelunverträglichkeiten.

"Normalerweise sind das immer Eiweiße, gegen die wir bei Soforttypallergieren reagieren. Hier ist es aber ein Zuckermolekül. Und das ist in seiner Art das Erste, das zu so einer starken Reaktion führen kann. Wir Menschen haben die Fähigkeit verloren, dieses Zuckermolekül mit dem Namen Galaktose-α-1,3-Galaktose (kurz: Alpha-Gal) zu bilden. Und so kann es kommen, dass wir dagegen allergisch reagieren."

Prof. Dr. Tilo Biedermann, Allergologe an der Universitätsklinik in Tübingen, in einem Interview gegenüber dem rbb im Mai 2013

Vermutlich muss das Alpha-Gal erst durch die Verdauung freigelegt oder freigesetzt werden, was die zeitliche Verzögerung erklären würde.

Allergie & Unverträglichkeit: Unterschiede

Allergie oder Unverträglichkeit

Fast jedes Nahrungsmittel kann eine Allergie oder Überempfindlichkeit auslösen. Eine "richtige" Allergie allerdings wird - so wissenschaftliche Untersuchungen - von sieben Lebensmittelallergene ausgelöst, die für fast 90 Prozent aller positiv ausfallenden Provokationstests verantwortlich waren. Dazu zählen: Kuhmilch, Baumnüsse (Haselnuss, Walnuss), Sojabohne, Hühnerei, Erdnuss, Fisch und Meeresfrüchte sowie Weizen, so der Allergieinformationsdienst vom Helmholtz Zentrum München.

Faustregel

Generell kann folgende Faustregel als ungefähre Richtlinie angewandt werden: Proteine lösen allergische Reaktionen aus, Zucker wie Fruchtzucker oder Milchzucker hingegen Unverträglichkeiten. Milch kann theoretisch beides verursachen, nämlich eine Allergie gegen Milcheiweiß oder eine Unverträglichkeit gegen Milchzucker.

Sofortige Reaktion

Unverträglichkeiten, wie sie etwa bei Obst auftreten, sind keine Allergien im klassischen Sinn. Der wesentliche Unterschied: Die Beschwerden können noch Stunden nach dem Essen auftreten, während bei einer Allergie immer eine unmittelbare Reaktion des Körpers ausgelöst wird.

Symptome

Bei der Allergie werden gezielt Antikörper gegen das jeweilige Allergen gebildet, bei einer Unverträglichkeit nicht. Eine allergische Reaktion fällt unterschiedlich, aber deutlich aus: Zum Beispiel juckt kurz nach dem Essen der Rachen, die Lippen oder die Mundschleimhaut schwellen an, oder die Haut bekommt rote Flecken. Bei Unverträglichkeiten gibt es keine so deutlichen Symptome: Die entstehenden Verdauungsbeschwerden lassen sich oft nicht eindeutig zuordnen.

Sonderfall Gluten

Eine Sonderstellung nimmt die Glutenunverträglichkeit ein. Medizinisch gesehen wird eine allergische Reaktion im Darmbereich ausgelöst, von den Symptomen her ist die Glutenunverträglichkeit jedoch mit anderen, "klassischen" Unverträglichkeiten vergleichbar: Durchfall, Bauchschmerzen, Mattigkeit gehören hier zu den häufigsten Begleiterscheinungen.

Zucker als Auslöser: eine neue Form der Allergie

Eine verzögerte allergische Reaktion ist ein Novum für die Wissenschaft. Dementsprechend ratlos waren lange Zeit Mediziner, wenn Patienten über Juckattacken klagten, für die es keinen erkennbaren Grund gab.

"Es ist so, dass es Patienten gibt, die in großen Abständen immer wieder plötzliche Quaddel-Anfälle haben. Und hier hat jetzt die Entdeckung Fleischallergie dazu geführt, dass man diesen Auslöser bei der Diagnostik der Patienten auch berücksichtigt."

Prof. Dr. Margitta Worm, Allergie-Centrum-Charité, Berlin

Ein Allergie-Test hilft

Ein Allergie-Test kann Abhilfe schaffen.

Um festzustellen, ob man auf Fleisch allergisch reagiert, kann bereits der klassische Allergietest, der sogenannte Prick-Test, helfen, bei dem nun auch eine Fleischlösung mit einbezogen wird. Ein neu entwickelter, spezieller Bluttest kann die Allergie noch exakter nachweisen.

Fleisch ist nicht gleich Fleisch

Die gute Nachricht: Fleischallergiker müssen nicht komplett auf Fleisch verzichten: Probleme bereitet nur Säugetierfleisch, Geflügel und Fisch hingegen können bedenkenlos gegessen werden. Der Grund: Nur bei Säugetieren kommt die Zuckerart Alpha-Gal vor, die bei der Verdauung freigesetzt wird und auf die das Immunsystem allergisch reagieren kann. Die schlechte Nachricht: Eine Desensibilisierung ist nicht möglich.

Alpha-Gal ist übrigens nicht nur in Fleisch enthalten. Auch einige Notfallmedikamente enthalten das Zuckermolekül. Für Allergiker kann das im Extremfall lebensgefährliche Folgen haben.

Warum erst nach Jahren?

Die Frage, die sich zum Schluss stellt: Warum reagieren Menschen auf einmal allergisch auf Fleisch, obwohl sie es jahrelang ohne Probleme essen konnten? Zeckenstiche könnten die Ursache sein, denn in deren Speichel befindet sich das Alpha-Gal ebenfalls. Das Immunsystem reagiert auf den Zeckenstich und baut Antikörper auf, um sich für den nächsten Stich zu wappnen.

Kommt nun das Alpha-Gal aber mit dem Fleischverzehr in den Körper, unterscheidet das Immunsystem nicht. Es bekämpft das Zuckermolekül, mit der Zeit wird die allergische Reaktion immer schlimmer. Am Ende kann das dazu führen, dass sogar sehr geringe Mengen die Symptome auslösen können, wie man sie dann in Medikamenten oder in Süßigkeiten findet, die Gelatine enthalten.


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