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Charles Lindbergh In einer Apfelsinenkiste über den Atlantik

Mit 25 Jahren wurde Charles Lindbergh, ein schüchterner Bursche vom Land, zu einem berühmten Pionier der Luftfahrt: Er schaffte es 1927 als Erster alleine über den Atlantik zu fliegen. Doch der Held hatte auch seine Schattenseiten.

Stand: 02.05.2023 | Archiv

Wer weiß, ob sich Charles Lindbergh je für Flugzeuge interessiert hätte, wenn er nicht auf einer Farm in Minnesota aufgewachsen wäre. Der weite Himmel über dem amerikanischen Mittelwesten hatte ihn früh vom Fliegen träumen lassen. Weil er keinen Studienabschluss schaffte, versuchte sich der 1902 geborene Lindbergh an einer Piloten- und Mechanikerausbildung. Er zeichnete sich durch ein fantastisches Reaktionsvermögen aus, Höhenangst und Schwindelgefühle waren ihm fremd. Mit einer Kunstfliegertruppe durchs Land zu tingeln und als "Wing Walker" während des Fluges auf der Tragfläche zu stehen, schien ihm der nächste logische Schritt.

Preisgeld spornt Charles Lindbergh zu neuen Höhenflügen an

Charles Lindbergh, der nette, schüchterne Bursche aus Minnesota.

1924 ging Lindbergh zur Luftwaffe und ließ sich zum Piloten ausbilden. Danach flog er immerhin Post von A nach B, stürzte dabei aber auch vier Mal ab und musste sich mit einem Fallschirm retten. Seiner Leidenschaft tat das keinen Abbruch, vor allem nicht, als er 1926 von einer neuen Herausforderung Wind bekam: Ein New Yorker Hotelier hatte einen Preis von 25.000 Dollar ausgelobt für denjenigen, der als Erster nonstop von New York nach Paris fliegt. Mut hatte Lindbergh genug: "Ich kenne die Windwirbel um die Rocky Mountains und die Stürme im Tal des Mississippi. Warum sollte ein Flug über den Atlantik nicht genauso gut möglich sein?" Allein ihm fehlte das entscheidende Gerät dazu: Er hatte kein Flugzeug.

Charles Lindberghs Flugzeug: Eine fliegende Apfelsinenkiste

Höhenangst und Schwindelgefühle waren dem Flieger Lindbergh fremd, auf Komfort konnte er gut verzichten.

In der Freimaurerloge, der er beigetreten war, fand er wohlhabende Gönner. Eine kleine, fast bankrotte Flugwerft baute ihm binnen zwei Monaten eine Maschine nach seinen Vorgaben: "An erster Stelle stehen Flugleistung und Maximalgewicht, an zweiter die Stabilität, an letzter mein Komfort." Zum Dank an die Geldgeber aus St. Louis wurde das Flugzeug aus Stahlrohr und mit Kunststoff bezogenem Fichtenholz "Spirit of St. Louis" genannt. Es war achteinhalb Meter lang, hatte eine Spannweite von vierzehn Metern - und ansonsten recht wenig: Um Gewicht zu sparen, gab es weder eine Heizung noch ein Funk- oder Navigationsgerät. Um mehr Benzin mitnehmen zu können, verzichtete Lindbergh sogar auf einen Fallschirm. Die Presse nannte die Maschine "fliegende Apfelsinenkiste".

Charles Lindbergh überwand Schnee, Schlaf und Schreckgespenster

Viele erfahrene Piloten waren zuvor bei diesem Wettbewerb gescheitert. Als Charles Lindbergh am Morgen des 20. Mai 1927 mit der "Spirit of St. Louis" auf das New Yorker Roosevelt Field rollte, rechnete man mit demselben Schicksal. Fotografen standen bereit, um die Bruchlandung abzulichten, bei den Buchmachern standen die Wetten zehn zu eins für einen Absturz. Lindbergh selbst hatte in den letzten 24 Stunden nicht mehr richtig geschlafen. Trotzdem brach er mit Landkarten, einer Flasche Wasser und fünf Sandwiches an Bord auf: entlang der Küste nordwärts Richtung Neufundland, dann übers offene Meer.

Erst geriet er in einen Schneesturm, nach 17 Stunden schlief er ein und wurde von der Gischt, die durchs Fenster spritzte, wieder geweckt. Nach 22 Stunden sah er Gespenster. Nach 27 Stunden waren selbst sie besiegt: Lindbergh sah wieder Land: die Südwestküste Irlands. Es folgten: Südengland, die Normandie und um zehn Uhr abends Paris. Lindbergh drehte eine Ehrenrunde um den Eiffelturm und landete 33,5 Stunden nach seinem Abflug in New York auf dem Flughafen Le Bourget. Die Menschen waren begeistert.

"Es war unvorstellbar, was sich in Paris abgespielt hat, als bekannt war, er hat's geschafft. Da waren ungefähr 250.000 Menschen unterwegs auf den Straßen, alle um diesen Lindbergh nachts zu begrüßen."

Rudolf Schröck, Lindbergh-Biograf, Sach- und Drehbuchautor

Flug über den Atlantik: Charles Lindbergh war nicht der Erste

Charles Lindbergh, der smarte Gentleman. Seine Schattenseiten offenbarte er erst später.

Lindbergh war erstaunt und überfordert. Er war zu einem weltberühmten Mann geworden. Zurück in New York feierten ihn vier Millionen Menschen in der bis dato größten Konfettiparade der Welt. Dreißig Millionen verfolgten seine kurze Ansprache am Radiogerät. Lindbergh wurde mit Ehrungen überhäuft, die US-Regierung und die High Society rissen sich um ihn. Mit seiner Autobiografie nahm er mehr als das Zehnfache des Preisgeldes ein. Dabei war Lindbergh noch nicht einmal der Erste, der den Atlantik überflogen hatte. Die Briten John Alcock und Arthur Brown waren bereits acht Jahre zuvor von Neufundland nach Irland geflogen. Lindbergh war jedoch alleine gewesen und das zählte für die Amerikaner. Sie liebten den gutaussehenden jungen Burschen gerade deshalb, weil er kein Intellektueller war, sondern immer noch der nette, schüchterne Junge vom Land.

"Der hatte Zeitungsberichte - wenn Sie das mit heute vergleichen, wäre das Boris Becker plus Franz Beckenbauer plus Bayern München zusammen."

Rudolf Schröck, Lindbergh-Biograf, Sach- und Drehbuchautor

Die Schattenseiten von Charles Lindberghs Erfolg

Charles Lindbergh 1929 neben seiner frisch angetrauten Frau Anne Morrow Lindbergh.

Zwei Jahre nach seinem Rekordflug heiratete Lindbergh Anne Morrow, die Tochter des US-Botschafters in Mexiko City. Er bekam die Schattenseiten seiner Berühmtheit schmerzlich zu spüren: "Überall wurde fotografiert und interviewt. Das kam dann 1932 zum Höhepunkt, als sein damals zwanzig Monate alter Sohn, der auch Charles Lindbergh hieß, entführt und getötet wurde. Lindbergh sagte: 'Dieses Verbrechen haben zwei verübt: Der Kidnapper und die Presse'", erzählt Rudolf Schröck. Als auch sein danach geborener Sohn Jon ständig von Fotografen verfolgt wurde, ging die Familie 1935 nach England. Lindbergh wurde Direktor der Luftlinie PanAm. 1938 verlieh ihm Hermann Göring wegen seiner Verdienste als Flieger einen hohen Orden des Dritten Reichs. "Das war von der amerikanischen Botschaft aber gewünscht, weil man gesagt hat, dadurch bekommst du Zugang zur deutschen Luftwaffe und kannst uns genau berichten, wie weit die Deutschen in der Aufrüstung sind. Das heißt, er war geheimdienstlich unterwegs", erzählt Biograf Rudolf Schröck.

Charles Lindbergh fällt in Ungnade

Rudolf Schröck, der Autor des Buches "Das Doppelleben des Charles A. Lindbergh".

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, engagierte er sich in einer Organisation, die sich gegen den Kriegseintritt der USA aussprach: America First. Nach einer judenfeindlichen Äußerung auf einer ihrer Großkundgebungen galt er als Antisemit und Nazisympathisant - auch wenn er später versuchte, seine Aussage zurückzunehmen. In den USA blieb er eine persona non grata, obwohl er sich als Kriegsfreiwilliger gemeldet hatte, Luftkämpfe gegen Japan bestritt und die US-Pazifik-Streitkräfte beriet. "Er ist dann allerdings nach dem Zweiten Weltkrieg vollständig rehabilitiert worden, unter Eisenhower. Wurde General und war Geheimdienstmann", berichtet Rudolf Schröck.

Charles Lindbergh nahm seine Geheimnisse mit ins Grab

Dyrk und David Hesshaimer, zwei der deutschen Kinder von Charles Lindbergh.

Anne bekam nach Jon noch vier weitere Kinder, doch Lindbergh war nicht zu halten. In Deutschland rekrutierte er Wissenschaftler und Ingenieure, die der amerikanischen Luft- und Raumfahrt nützlich sein konnten. Und Rudolf Schröck vermutet noch mehr: "Überall, wo es Weltkrisen gab, ob in Persien oder Vietnam, überall war Lindbergh vorher anwesend. Deswegen bin ich mir sicher, dass er eng mit der CIA verbandelt war. Ich kann es aber nicht beweisen." 1974 starb Lindbergh in seinem Haus auf Maui an Lymphdrüsenkrebs. Erst viele Jahre nach seinem Tod wurde bekannt, dass er auch noch eine zweite, dritte und vierte "Familie" in Europa hatte, mit insgesamt sieben Kindern. Den Frauen hatte er wiederholt die strikte Anweisung gegeben, der er auch selbst bis zuletzt treu blieb: "Hold the utmost secrecy - Halte die größte Geheimhaltung ein!"

Sendungen zu Charles Lindbergh


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