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Faultiere Die Entschlüsselung der Langsamkeit

"Du bist so lahm wie ein Faultier." Wer hat diesen Ausdruck nicht schon mal gehört? Sind Faultiere wirklich so langsam oder haben sie ihren Ruf zu Unrecht? Forscher kamen zu einem überraschenden Ergebnis.

Stand: 16.10.2019

Das bekannteste Faultier der Welt dürfte wohl Nervensäge und Überlebenskünstler Sid aus den Ice Age-Filmen sein. Wie diese Tiere im wirklichen Leben ticken beziehungsweise wie sie sich bewegen, hat der Evolutionsbiologe John Nyakatura von der Friedrich-Schiller-Universität Jena herauszufinden versucht.

Für die Forschung ungeeignet

Weltfaultiertag am 20. Oktober

Am 20. Oktober findet jedes Jahr der Weltfaultiertag statt. Ins Leben gerufen wurde der "International Sloth Day" 2010 von der Organisation AIUNAU, um an diesem Tag die Besonderheiten der Faultiere sowie ihre Gefährdung, vor allem durch die Vernichtung des Regenwaldes, in den Mittelpunkt zu stellen.

Dafür wollte er als erstes Forschungsobjekt Faultier Mats im Film groß rausbringen. Doch Mats ließ sich weder mit Nudeln oder gekochten Eiern dazu animieren, sich vor der Kamera der Wissenschaftler zu bewegen. Weil er gar zu faul war, gaben die Jenaer Zoologen ihn kurz entschlossen an den Duisburger Zoo weiter, wo ihn seine Partnerin Friederike später auf Trab brachte. Mats war wohl nur ein Forschungsmuffel.

Gemeinschaft auf Gegenseitigkeit

Im Fell von Faultieren leben Algen und Motten.

Dreifinger-Faultiere begeben sich einmal pro Woche auf den Boden und setzen dort ihren Kot ab. Lange war unklar, warum sie das Wagnis in Kauf nehmen, während dieser Zeit von Raubtieren gefressen zu werden. Zumal ihre Verwandten, die Zweifinger-Faultiere, ihr Geschäft gleich vom Baum aus erledigen. Forscher um Jonathan Pauli von der University of Wisconsin-Madison sind den Dreifinger-Faultieren auf den Pelz gerückt und haben einen möglichen Grund gefunden: In den frischen Kot der Faultiere legen Motten, die im Fell der Tiere leben, ihre Eier ab. Er dient den Larven als Nahrung, die - zu Motten herangewachsen - wieder zu einem Faultier fliegen. Die Insekten bringen Nährstoffe ins Fell, die winzigen Algen dort als Nahrungsgrundlage dienen. Für die Faultiere sind die Algen eine leicht verdauliche und fettreiche Ergänzung ihres Speiseplans, für die sich nicht anstrengen müssen.

An der Stange vortanzen

John Nyakatura und Faultier Julius in Jena

Mehr Glück war dem Team um Nyakatura mit den drei Nachfolger-Faultieren Julius, Evita und Lisa beschieden. Nyakatura gewöhnte die Tiere durch tägliches Füttern an eine Kletterstange, die zwischen zwei Käfigen befestigt und motorbetrieben war. Wie auf einem Laufband mussten sich die Tiere dann an der Stange vorwärtsbewegen und wurden dabei mit einer Röntgen-Videoanlage gefilmt. Ihre Bewegungen wurden anschließend analysiert.

Ihr Leben steht kopf

Dabei stellten die Forscher fest, dass die Tiere, die sich am liebsten kopfüber mit ihren langen Armen und Sichelkrallen an den Ästen entlanghangeln, sich im Grunde gar nicht so anders als Affen fortbewegen. "Ihre Beinstellung und die Beugung der Gelenke entspricht dabei exakt denen anderer Säugetiere beim Laufen", erläuterte Forscher Nyakatura. Insofern könne man sich die Fortbewegung der Faultiere praktisch als "Laufen unter dem Ast" vorstellen. Mit einem entscheidenden Unterschied: Faultiere bewegen sich ausschließlich im Zeitlupentempo.

Warten, bis Futter vorbeikommt

Mit Faulheit hat das aber weniger zu tun, eher etwas mit ökonomischer Lebensweise. Denn Faultiere neigen dazu, auf Blüten und Blätter zu warten, die ihnen sprichwörtlich ins Maul wachsen. Sie eilen nicht wie andere Tiere von einer Energiequelle zur anderen. Energiearme Kost gepaart mit einer bewegungsarmen Lebensweise machen letztendlich das Faultier aus - woher es auch seinen Namen hat.

Stichwort: Faultiere

Faultiere bewohnen die Baumkronen der tropischen Regenwälder von Mittelamerika und dem Amazonasbecken bis zum südlichen Brasilien. "Faultiere können nicht aufrecht auf dem Boden laufen", betont John Nyakatura von der Universität Jena. Daran angepasst hätten sie sich im Laufe der Evolution ausschließlich über Veränderungen ihrer Anatomie. Erstaunlich ist, dass sich dies gleich zweimal unabhängig voneinander entwickelt hat: bei den Zweifinger- und den Dreifingerfaultieren. Beide Familien haben sich vor rund 25 Millionen Jahren voneinander abgespalten und sind evolutionär nur weitläufig verwandt.

Faultiere brauchen wenig Nahrung und schlafen bis zu 20 Stunden am Tag. Dreifingerfaultiere hätten den langsamsten Stoffwechsel aller Säugetiere überhaupt, sagt Camila Mazzoni vom Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. "Den brauchen sie auch, denn ihre Nahrung - Blätter - ist sehr energiearm."

Faultiere setzen nur etwa alle acht Tage Kot und Urin ab. Das ist die einzige Tätigkeit, zu der sie auf den Boden herabklettern und sich damit der Gefahr aussetzen, gefressen zu werden: "Sie können nicht laufen, nur kriechen oder robben", sagt Biologin Jutta Heuer vom Bergzoo Halle (Saale).

Faultiere verbringen die meiste Zeit ihres Lebens hängend, deshalb wächst ihr Fell verkehrt herum vom Bauch zum Rücken. Praktisch: So kann Regenwasser besser ablaufen. In ihrem dichten Fell leben dank Kotresten, toter Motten und der hohen Luftfeuchtigkeit im Regenwald nicht nur Milben, Zecken, Käfer und Falter, sondern auch Grünalgen. "Die energiereichen Algen sind willkommene Zusatznahrung und gute Tarnung zugleich", erklärt Jutta Heuer.

Faultiere klammern sich mit bis zu zehn Zentimeter langen Krallen am Baum fest. Je nach Gattung besitzen sie zwei oder drei an den Vorder- sowie drei an den Hinterbeinen.

Faultiere haben einen schwach entwickelten Seh- oder Hörsinn, dafür aber einen ausgeprägten Geruchs- und Tastsinn. Ihre Körpertemperatur liegt bei rund 33 Grad Celsius, weswegen sie schlecht in Schwung kommen. Nachts sinkt sie gar auf 24 Grad Celsius ab. Deshalb liegen sie tagsüber gerne in der Sonne, um sich wie Echsen aufzuwärmen.


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