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Interview Der ARD-Musikwettbewerb in Zeiten von Corona

Der ARD-Musikwettbewerb ist ein international anerkanntes Sprungbrett für die Newcomer im Klassik-Bereich. Dieses Jahr musste die erste Runde rein digital stattfinden. Zum 70. Jubiläum haben wir mit dem künstlerischen Leitungsteam Meret Forster und Oswald Beaujean darüber gesprochen, wie sich der Wettbwerb an die neuen Zeiten angepasst hat.

Von: Stephanie Reinke, BR Unternehemenskommunikation

Stand: 10.07.2021 | Archiv

ARD Musikwettbewerb 2021 - Klavierduo, Violine, Horn, Gesang | Bild: picture-alliance/dpa, Johanna Vogt-Pexels, Daniel Delang, Montage BR

BR-Unternehmenskommunikation: 80 Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer reisen aus dem Ausland an. Das unterstreicht die internationale Bedeutung des ARD-Musikwettbewerbs. Er ist mit seinen 21 jährlich wechselnden Fächern nicht nur der größte Wettbewerb für klassische Musik weltweit, sondern auch das Sprungbrett zu einer internationalen Karriere. Woran liegt das?

Jessye Norman

Oswald Beaujean: Musikwettbewerbe sind in den letzten Jahrzehnten wie Pilze aus dem Boden geschossen, aber der Internationale Musikwettbewerb der ARD gehört weltweit zu den ältesten und renommiertesten, übrigens auch zur sehr kleinen Schar der Gründungsmitglieder der Internationalen "Fédération" der Musikwettbewerbe. Er steht seit 70 Jahren für ein extrem hohes Niveau der Teilnehmenden wie der Preisträgerinnen und Preisträger. Nicht Jede und Jeder, die oder der aus München mit einem Preis im Gepäck abreist, macht die ganz große Solistenkarriere, das lässt sich einfach nicht vorausbestimmen und liegt bis zu einem gewissen Grad natürlich auch in individueller Hand. Aber aus dem ARD-Musikwettbewerb sind über die Jahrzehnte wirklich viele große Künstlerpersönlichkeiten hervorgegangen, nicht nur die immer wieder gerne erwähnte Jessye Norman.

Meret Forster: Wir freuen uns natürlich sehr, wenn wir immer wieder die Erfahrung machen dürfen, dass sich der ARD-Musikwettbewerb weltweit als bekannte Marke etabliert hat. In Asien oder auch in Amerika wissen viele Menschen nicht wirklich, was die ARD als föderales Rundfunksystem in Deutschland auszeichnet. Aber sie kennen den ARD-Musikwettbewerb.

Es sind nicht die mittlerweile im internationalen Vergleich niedrigen Preisgelder, die junge Musikerinnen und Musiker zur Wettbewerbsteilnahme motivieren, sondern die Perspektive auf anschließende Konzerteinladungen und Engagements. Indem wir ARD-Netzwerke und Kontakte mit Veranstaltern fördern, setzen wir auf nachhaltige Förderung der Preisträgerinnen und Preisträger.

Das künstlerische Leitungsteam

Meret Forster und Oswald Beaujean

Oswald Beaujean arbeitet seit 1988 für die Klassikwelle des Bayerischen Rundfunks, zunächst als Redakteur und Kammermusikproduzent, später in unterschiedlichen Leitungsfunktionen und seit 2012 als Programmbereichsleiter. Er war bereits in den letzten 15 Jahren in der künstlerischen Leitung des ARD-Musikwettbewerbs tätig.

Dr. Meret Forster, seit 2011 Redaktionsleiterin bei BR-KLASSIK, war zuvor sieben Jahre lang Musikredakteurin und Produzentin beim Mitteldeutschen und beim Bayerischen Rundfunk. Den ARD-Musikwettbewerb betreut sie seit dem Jahrgang 2016.

Dieses Jahr hat die erste Runde des Wettbewerbs im digitalen Konzertsaal stattgefunden – fiel dadurch das Netzwerken für die Künstlerinnen und Künstler komplett weg?

Cover des ARD Musikwettbwerebs 2019

Meret Forster: Das Netzwerken entwickelt sich in der Regel erst gegen Ende des Wettbewerbs, im Grunde erst bei den kleinen Empfängen, die wir für die Jurys und die Preisträgerinnen und Preisträger ausrichten. Die Teilnehmenden dürfen ja auch zu den Jury-Mitgliedern, vielfach große Persönlichkeiten des Musiklebens, ohnehin erst Kontakt aufnehmen, wenn sie ausgeschieden sind. Dann ist es natürlich interessant und spannend, Meinungen einzuholen, zu fragen, woran es gelegen hat, dass man nicht weitergekommen ist, was sich vielleicht verbessern ließe etc.

Vorher ist beiden Seiten jede Kontaktaufnahme strengstens untersagt. Das muss auch unbedingt so sein. Auch Konzertveranstalter oder Agenten begleiten meist erst die finalen Runden vor Ort in München, nutzen jedoch die Videolivestreams, um den Wettbewerb schon vorab zu beobachten und dann eventuell gezielt auf Teilnehmende zuzugehen.

Als künstlerische Leiter sind Sie beide natürlich federführend an der Planung beteiligt – was ist 2021 nun völlig anders, was bleibt gleich, was lag Ihnen besonders am Herzen?

Oswald Beaujean: Das für uns Allerwichtigste war und ist natürlich, dass der ARD-Musikwettbewerb nach einjähriger Zwangspause überhaupt wieder stattfinden kann. Alles andere wäre kein gutes Signal gewesen. Die Pandemie hat hochtalentierte Musikerinnen und Musiker auf ihrem Weg ins professionelle Berufsleben ausgebremst. Konzerte, Probespiele für Orchesterpositionen und Wettbewerbe wurden abgesagt. Ganzen Jahrgängen, die im Anschluss an ihr Studium auf dem Sprung waren, sind in dieser veranstaltungslosen Zeit wichtige Chancen weggebrochen. So liegt uns viel daran, mit dem diesjährigen Wettbewerb wieder Perspektiven und Ziele aufzeigen zu können.

Preisträger des ARD Musikwettbewerbs 2019

Selbst Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die nicht als Preisträger aus dem Wettbewerb hervorgehen, können viel von der Vorbereitung profitieren. Und die Zulassung zum Wettbewerb ist ja auch schon eine Auszeichnung und eine wichtige Zielgerade. Wir setzen somit auf einen Neuanfang, sind glücklich, dass das kulturelle Leben wieder Fahrt aufnimmt und wünschen uns ein leidenschaftliches musikalisches Aufblühen nach einer ausgetrockneten Zeit.

Meret Forster: Den abgesagten Wettbewerb des letzten Jahres haben wir so, wie er geplant war, ins Jahr 2022 verschoben, und glücklicherweise konnten fast alle Jury-Mitglieder auch für nächstes Jahr zusagen. Die Enttäuschung unter den jungen Musikerinnen und Musikern war einfach riesengroß, als wir den Wettbewerb absagen mussten. Die Kategorien stehen ja Jahre im Voraus fest und werden kommuniziert. Darauf stellen sich weltweit junge Menschen ein, planen, üben, arbeiten an sich.

Cover ARD Musikwettbewerb

Anders ist in diesem Jahr eigentlich nur, dass nicht nur die Vorauswahl, sondern auch die erste Runde digital stattfindet, die Jurys also in der ersten Runde keine Live-Auftritte, sondern eingesandte Videos beurteilen. Das ist natürlich eine ganz neue Erfahrung. Aber es wäre einfach nicht möglich gewesen, Ende August 250 junge Menschen aus aller Welt nach München kommen zu lassen, das Risiko, damit zu scheitern, wäre viel zu groß gewesen. Ab der zweiten Runde sollte das mit dann ja deutlich reduzierter Teilnehmerzahl möglich sein, d.h., ab Anfang September läuft der Wettbewerb dann hoffentlich wie gewohnt.

Der ARD-Musikwettbewerb ist ja bekannt für sein zahlreiches und begeistertes Konzertpublikum. Können Sie das überhaupt zulassen oder fällt das im 70. Jahr wegen Corona völlig flach?

Publikum - früher auch beim ARD Musikwettbewerb ganz normal. Und dieses Jahr?

Oswald Beaujean: Das ist in der Tat noch völlig offen. Wir hoffen sehr, wieder Publikum zulassen zu können, denn die Atmosphäre beim Wettbewerb wird ganz massiv von unserem tollen Publikum geprägt. Das bestätigen uns immer wieder viele Teilnehmende. Es ist eben nicht dasselbe, ob man nur vor einer Jury spielt oder für ein richtiges Konzertpublikum, das einen trägt. Und je nach Fach sind bei uns schon in der ersten Runde die Studios voll, und wir müssen Platzkarten ausgeben. Mal sehen, wie das wird in diesem Jahr. Noch sind wir jedenfalls optimistisch.

Wie ist Ihre ganz persönliche Sicht auf den ARD Musikwettbewerb – grundsätzlich und in dieser besonderen Version wegen Corona?

Meret Forster: Wir freuen uns einfach riesig, dass es wieder losgeht, auch wenn eben nicht alles so ist wie gewohnt. Für uns beide ist das, auch wenn wir 17 Tage nonstop von morgens bis abends oder sogar bis in die Nacht durcharbeiten, jedes Jahr im September ein richtiger Adrenalinstoß, eine Energiespritze, die uns in die neue Konzertsaison trägt. Mitzuerleben, wie begabte junge Musikerinnen und Musiker mit ungebremster Leidenschaft ein breites Spektrum toller Musik zum Klingen bringen, ist eine unglaubliche Bereicherung. Und die Freude über einen Wettbewerbspreis auch nur flankierend teilen zu können, ist einfach ein großes Glück.

Oswald Beaujean: Die ganze Wettbewerbsatmosphäre, die Zusammenarbeit mit unserem tollen, unglaublich engagierten Team, die vielen Begegnungen mit großartigen jungen Musikerinnen und Musikern und auch mit den Mitgliedern der Jurys, das ist immer etwas ganz Besonderes. Und das hat uns im vergangenen Jahr schon sehr gefehlt.