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Medizin-Nobelpreis 2012 Von reifen und unreifen Zellen

Den Nobelpreis für Medizin erhalten in diesem Jahr der Brite John Gurdon und der Japaner Shinya Yamanaka. Sie haben entdeckt, dass sich reife, spezialisierte Körperzellen in unreife, pluripotente Zellen umprogrammieren lassen.

Stand: 08.10.2012 | Archiv

John Gurdon, Shinya Yamanaka | Bild: picture-alliance/dpa

Die beiden Forscher haben unser Verständnis, wie Zellen und Organismen sich entwickeln, revolutioniert. Der 79-jährige Brite John Gurdon von der Cambridge Universität entdeckte bereits 1962, dass die Entwicklung von spezialisierten Körperzellen umkehrbar ist. Dazu ersetzte er den Zellkern einer unreifen Eizelle eines Frosches durch eine reife Darmzelle. Diese modifizierte Eizelle entwickelte sich dennoch zu einer normalen Kaulquappe. Das war der Beweis, dass die DNA der reifen Zelle noch alle Informationen in sich trägt, um alle Zellen in dem Frosch zu entwickeln.

"Es ist natürlich von Vorteil, so lange zu überleben, bis man diese fantastische Ehre erleben darf."

Sir John Gurdon zur Nobelpreisvergabe für seine ein halbes Jahrhundert zurückliegende ausschlaggebende Publikation

Zellen entwickeln sich zu Spezialisten

Shinya Yamanaka, Medizin-Nobelpreisträger 2012

Der 50-jährige Shinya Yamanaka von der japanischen Universität Kyoto war zunächst orthopädischer Chirurg, bevor er sich der Grundlagenforschung zuwandte. Er entdeckte mehr als vierzig Jahre später, im Jahr 2006, wie intakte reife Zellen in Mäusen zu unreifen Stammzellen gezüchtet werden können. Durch das Einschleusen nur weniger Gene konnte der Stammzellforscher die Zellen in pluripotente Stammzellen umprogrammieren, das heißt er hat Körperzellen in eine Art embryonalen Zustand zurückversetzt. Eine revolutionäre Entdeckung, da bei der Herstellung dieser sogenannten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) keine Embryonen zerstört werden müssen. Für sein Verfahren erhielt Yamanaka in diesem Jahr bereits den Millennium-Technologiepreis.

Medizinische Fortschritte

Mit der Entdeckung der iPS-Zellen ist ein neues Verständnis dafür entstanden wie Krankheiten entstehen und auch für neue medizinische Therapien. Viele Forscher hoffen, dass sich aus diesen iPS-Zellen eines Tages Ersatzgewebe oder -organe aufbauen lassen, die vom Empfänger nicht abgestoßen werden, weil sie aus ihrem eigenen Körper stammen.

"Ich war ein unbekannter Forscher. Wenn ich nicht von meinem Land unterstützt worden wäre, hätte ich den Preis nicht bekommen. Das Land Japan hat den Preis erhalten."

Shinya Yamanaka auf einer Pressekonferenz in Kyoto nach Bekanntgabe des Preises

Was sind pluripotente Zellen?

Medizin-Nobelpreis für pluripotente Stammzellen

Auf dem Weg der Embryonalentwicklung spezialisieren sich die Zellen immer mehr und ihre Differenzierungsfähigkeit nimmt entsprechend immer weiter ab. Spätestens nach dem Acht-Zellen-Stadium, das am dritten Tag nach der Befruchtung erreicht ist, sind die einzelnen Zellen nicht mehr "zu allem fähig", aber immer noch "zu vielem fähig", pluripotent. Pluripotente Zellen stammen aus Embryonen im Acht-Zell-Stadium, teilen sich unbegrenzt und können noch jeden der rund 210 Zelltypen eines Menschen ausbilden. Für die Forschung sind sie deshalb von immenser Bedeutung.

Medizin-Preisträger von einst

Mit dem ersten Nobelpreis für Medizin wurde 1901 ein Deutscher ausgezeichnet: Emil von Behring. Er bekam ihn für seine Erfolge in der Serumtherapie, die im Kampf gegen die Diphtherie entscheidende Fortschritte brachte. Der bislang letzte Deutsche, der im Bereich Medizin geehrt wurde, ist der Heidelberger Tumorforscher Harald zur Hausen im Jahr 2008: Durch seine Arbeit kann dem Gebärmutterhalskrebs bei Frauen, der von humanen Papillomviren hervorgerufen wird, mittels einer Impfung vorgebeugt werden. Ebenfalls unter den Prämierten: die erste deutsche Nobelpreisträgerin.

Chronik: Medizin-Preisträger der vergangenen Jahre

  • 2011: Der US-Forscher Bruce A. Beutler, der Franzose Jules A. Hoffmann und der Kanadier Ralph M. Steinman haben mit ihren Forschungen Schlüsselprinzipien der körpereigenen Immunabwehr aufgeklärt.
  • 2010: Der Brite Robert Edwards brachte die erste künstliche Befruchtung einer menschlichen Eizelle im Reagenzglas zustande - und schuf damit das erste "Retortenbaby".
  • 2009: Die US-Amerikaner Elizabeth H. Blackburn, Carol W. Greider und Jack W. Szostak haben herausgefunden, was Zellen altern lässt und dabei das "Jungbrunnen"-Enzym entdeckt.
  • 2008: Der Heidelberger Tumorforscher Harald zur Hausen für die Entdeckung der Papilloma-Viren, die Gebärmutterhalskrebs auslösen, sowie die Franzosen Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier für die Entdeckung des Aidserregers HIV.
  • 2007: Die US-Forscher Mario R. Capecchi und Oliver Smithies sowie der Brite Martin J. Evans für ihre Technik, bei Versuchsmäusen gezielt Gene auszuschalten
  • 2006: Die US-Forscher Andrew Z. Fire und Craig C. Mello für eine
  • Technik, mit der sich Gene gezielt stumm schalten lassen.
  • 2005: Barry J. Marshall und J. Robin Warren (beide Australien) für die Entdeckung des Magenkeims Heliobacter pylori und dessen Rolle bei der Entstehung von Magengeschwüren.
  • 2004: Richard Axel und Linda Buck (beide USA) für die detailgenaue Enträtselung des Geruchssinns.
  • 2003: Paul C. Lauterbur (USA) und Sir Peter Mansfield (GB) für ihre Beiträge zur Anwendung der Kernspintomographie in der Medizin.
  • 2002: Sydney Brenner (GB), H. Robert Horovitz (USA) und John E. Sulston (GB) für die Erforschung des programmierten Zelltods als Grundlage zum Verständnis von Krebs, Aids und anderen Krankheiten.
  • 2001: Leland H. Hartwell (USA), Sir Paul M. Nurse (GB) und R. Timothy Hunt (GB) für Erkenntnisse über die Zellteilung, die neue Wege in der Krebstherapie ermöglichen.

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