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Fußball und Gewalt Randale - nicht neu, nur anders

Gewalt im Fußball ist nichts Neues und auch keine Spezialität englischer Hooligans oder italienischer Tifosi.

Stand: 01.02.2010 | Archiv

Blutender Fußball-Fan | Bild: picture-alliance/dpa

Auch in Deutschland gab es früher schon schwere Ausschreitungen, etwa beim letzten Bundesligaspiel der Saison 1978/79 zwischen dem Hamburger SV und dem FC Bayern München. Hooligans stürmten nach Abpfiff den Rasen, bei den Krawallen wurden 71 Personen verletzt, einige von ihnen schwer.

Aus Vorfällen wie diesen zogen Vereine und Verbände Konsequenzen. Die Sicherheit - zumindest in den Bundesliga-Stadien - wurde enorm verbessert. Noch einmal nachgerüstet wurde zur Fußball-WM 2006. Inzwischen sind speziell bei sogenannten Hochrisikospielen so viele Polizeibeamte im Einsatz, dass Prügeleien im Stadion zwischen verfeindeten Fangruppen kaum noch möglich sind.

Im Stadion verbal - draußen brutal

Das Problem mit den Rowdys war damit jedoch nicht erledigt: Sie verlagerten die Gewalt nach draußen, auf Autobahnrastplätze, Bahnhöfe oder Züge - und auf niedrigere Spielklassen. So kam es am 22. Dezember 2008 nach der Regionalligapartie zwischen TSV 1860 München II und SV Waldhof Mannheim vor dem Grünwalder Stadion zu einer Massenschlägerei von bis zu 600 Anhängern beider Vereine. Die Polizei sprach von einer "neuen Dimension der Gewalt".

Aber auch Unbeteiligte können Opfer von Ultra-Gewalt werden. So überfielen am 5. Mai 2007 "Schickeria"-Schläger auf einer Raststätte bei Würzburg einen Bus mit Fans des 1. FC Nürnberg. Mehrere Personen wurden lebensbedrohlich verletzt, die Frau des Fahrers erblindete nach einem Flaschenwurf auf einem Auge. Ebenfalls "Schickeria"-Leute waren es, die am 22. August 2009 auf dem Weg zum Auswärtsspiel des FC Bayern bei Mainz 05 in einem Regionalzug randalierten. 40 Schläger attackierten in Würzburg zugestiegene Polizisten, ein Beamter erlitt zwei Rippenbrüche, die beiden anderen Prellungen und Schürfwunden.

Hooligan, Ultra, Hooltra

Die Vorfälle belegen, was neuere Studien zu Gewalt im Fußball aufzeigen: Ein Teil der Ultras hat sich von der Friedfertigkeit verabschiedet. Ein sehr hoher Prozentsatz ist sogar "gewaltfasziniert" und toleriert eine führende Rolle der bekennenden Gewalttäter, die laut Experten mittlerweile 20 bis 30 Prozent ausmachen. Diese Gruppe trat gewissermaßen das Erbe der Hooligans an. Der Sportwissenschaftler Gunter A. Pilz prägte für sie den Begriff "Hooltra". Die Behörden schätzen die Zahl der Problemfans in Deutschland auf 12.000. In Bayern sind es nach Angaben des Innenministeriums 800, davon sollen 130 zum harten Kern gehören (Stand: 2008).

Teure Liebe

Fanausschreitungen, Zünden von Feuerwerkskörpern im Stadion, Rauchbomben - das alles kann finanzielle Folgen für den Fußballklub haben, auch wenn dabei niemand körperlich zu Schaden kommt. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat dafür schon Geldstrafen im fünfstelligen Bereich verhängt. Besonders teuer ist es für die 20 italienischen Erstligavereine geworden. Allein während der Hinspielserie der Saison 2009/10 wurden sie wegen des Verhaltens von gewaltbereiten Tifosi insgesamt zu 765.000 Euro verdonnert.

Organisierte Randale

Fangewalt scheint nicht mehr nur bloß aus dem Effekt heraus zu entstehen. Inzwischen planten manche Ultras Straftaten ganz bewusst, konstatierte der DFB-Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn. Im Gepäck haben sie Flaschen, Steine, Leuchtraketen oder sogar Baseball-Schläger und Eisenstangen, die sie gegen rivalisierende Gruppen und nun auch verstärkt gegen Polizisten einsetzen.

Feindbild Polizist

Gerade auf Beamte hat sich ein harter Ultra-Kern im wahrsten Sinn des Wortes eingeschossen. Denn sie repräsentieren den "Polizeistaat", der ihnen zum Spielverderber wird: Am Stadioneingang wird nachgeprüft, ob die Fahnenstangen nicht zu lang sind. Pyrotechnik für "bengalisches Feuer" - manchen Fans ein unverzichtbarer Teil der Choreografie - ist verboten. Wer gegen Auflagen verstößt, muss mit Stadionverbot rechnen.

Ultras empfinden solche Eingriffe ins Fan-Verhalten als Provokation. Sie steigern ihre Aversion gegen die Polizei, das heißt: noch mehr Randale. Die Behörden reagieren darauf mit strengeren Sicherheits-Vorkehrungen, flächendeckender Videoüberwachung, verschärften Kontrollen, massivere Polizeipräsenz. Eine Spirale - die sich umso schneller dreht, wenn auch Beamte richtig "zulangen". Denn auf der anderen Seite werden auch von Fans immer wieder Vorwürfe laut, manche Polizeieinsätze seien unangemessen hart.

Hemmschwelle für brutale Gewalt sinkt

Fußballrandale ist nur eine von vielen Ausprägungen von Gewalt in der Gesellschaft. Dabei wird die Hemmschwelle, sie in brutaler Form auszuüben, immer niedriger. Das ist bei manchen Fans ebenso zu beobachten wie bei U-Bahnschlägern und politischen Links- oder Rechtsautonomen.

Problemzone 3. Liga

Gewalt im Fußball tritt inzwischen vermehrt in unteren Spielklassen auf, in der 3. und in der Regionalliga. Dort ist die Polizeipräsenz bei Partien nicht so hoch. Speziell in der 2008 eingeführten 3. Liga, in der mit FC Bayern II, Jahn Regensburg, FC Ingolstadt 04, SpVgg Unterhaching und Wacker Burghausen gleich fünf bayerische Vereine vertreten sind, tummeln sich laut Rainer Koch, Präsident des Bayerischen Fußballverbandes, viele Problemfans. Häufig sind sie betrunken. Hohe Alarmstufe gilt, wenn Carl Zeiss Jena, Dynamo Dresden oder Rot-Weiß Erfurt zu Gast sind. Diese Klubs aus den neuen Bundesländern ziehen eine besonders gewalttätige Ultra-Szene hinter sich her.

Polizeieinsätze berappt der Steuerzahler

Koch will die Polizei mehr in die Pflicht nehmen. Schon jetzt ist jedoch ihr Aufwand enorm. So sei er für die 3. Liga trotz wesentlich niedrigerer Zuschauerzahlen fast ebenso hoch wie für 1. und 2. zusammen, teilte Münchens Polizeipräsident Wilhelm Schmidbauer mit. Allein in München mussten demnach 59 Spiele im Jahr 2008 geschützt werden. Über 7.300 Beamte seien dafür insgesamt fast 50.000 Stunden im Einsatz gewesen. Dafür kommt der Steuerzahler auf, nicht der jeweilige Verein. Mehr Polizei bedeutet also: mehr Belastung für den Bürger.

Gewalt - entkoppelt vom Sport

Bei vielen Ultras sei inzwischen "Gewalt-Tourismus" verbreitet, sagt Fanforscher Gunter A. Pilz. Sie führen nur noch zu Auswärtsspielen. Dabei gehe es ihnen nicht mehr in erster Linie um Fußball, sondern um eine Art Event-Randale, mit der sie quasi ihre Duftmarken in der Fremde hinterlassen.

Im Stadion sind inzwischen auch Fan-Transparente mit Parolen gegen Staat oder Wirtschaft zu beobachten. So konnte man in Stuttgart eines mit dem Schriftzug "Scheiß-Daimler" lesen, nachdem der Konzern - Namensgeber für das VfB-Stadion - Personal abgebaut hatte. Der Frust wegen sportlicher Misserfolge des Vereins verbindet sich hier mit dem über soziale Abwärtstendenzen. Der gesellschaftliche Verlierer sucht in der Ultra-Gruppierung eine Ersatzfamilie.


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