Religion & Orientierung


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Antisemitismus Vergebliche Anläufe

Die Geschichte der Juden in München: Vergebliche Anläufe: Heinrich Heine, Moritz Gottlieb Saphir, Theodor Herzl, Kurt Eisner.

Stand: 26.10.2006 | Archiv

Mit der Reichsgründung von 1871 wurden die Juden formal rechtlich gleichgestellt. In Bayern hatte der Landtag 1861 die Bestimmungen des Judenedikts von 1813 aufgehoben, die die Niederlassungsfreiheit und die Gewerbeausübung einschränkten. Damit wuchs die Anzahl der Juden rapide: 11.083 zählte man 1910 in München. Gleichzeitig wurde Antisemitismus in seiner rassistischen Ausprägung salonfähig. Entsprechende Vorlagen in Form von pseudo-wissenschaftlichen Machwerken hatten Graf Arthur de Gobineau oder Houston Stewart Chamberlain geliefert. Eine "Wirtschaftskrise" in der Gründerzeit, die eigentlich nur eine Stillstandsphase während des Booms war, verstärkte noch die judenfeindliche Stimmung. In Bayern wurden in den 90er-Jahren des 19. Jahrhunderts sogar Parteien gegründet, die "antisemitisch" im Namen führten.

Heinrich Heine: Paris statt München

Als Jude unerwünscht in München: Heinrich Heine

Neu war das Phänomen Antisemitismus jedoch keineswegs, auch nicht in Bayern. Schon einige Jahrzehnte zuvor hatte das Heinrich Heine zu spüren bekommen: Der jüdische Dichter, der sich zur Verbesserung seiner beruflichen Chancen taufen ließ, war 1828 auf Jobsuche. In München bewarb er sich für eine Professur. In Eduard Schenk - Innenminister von König Ludwig I. - hatte er sogar einen Fürsprecher. Doch die katholische Fraktion meldete Einspruch in offenem judenfeindlichen Ton an. Der Münchner Theologe Ignaz von Döllinger über Heine: "Während andere seiner Stammesgenossen ihre israelitische Abkunft sorgfältig zu verbergen suchen, gibt sich unser Herr Politiker ganz unverhohlen als Jude zu erkennen." Der König verweigerte Heine die Professur. Der verließ München und ging nach Paris. Später rächte er sich in seinen "Reisebildern": Dass das München des hellenophilen Ludwig ein "neues Athen" sein soll, sei doch "etwas ridikül".

Mundtot gemacht: Moritz Gottlieb Saphir

Ausgewiesen aus München: Moritz Gottlieb Saphir

Obwohl auch Moritz Gottlieb Saphir mit spitzer Feder ausgestattet war, hatte Ludwig I. für den jüdischen Publizisten wesentlich mehr übrig als für Heine. Saphirs Satiren, 1830 in der Zeitschrift "Bazar für München und Bayern" veröffentlicht, waren sowohl in der Öffentlichkeit als auch beim König beliebt. Aber nicht mehr lang: Nach der Juli-Revolution 1830 in Frankreich bekam Ludwig kalte Füße und verlor seine tolerante Haltung. Sein Argwohn richtete sich in erster Linie gegen Journalisten. Noch im selben Jahr verwies er drei davon des Landes. Darunter befand sich auch Saphir, der sich von dieser Ausweisung nie wieder erholte und bis zu seinem Lebensende öffentlich keine satirisch vergifteten Pfeile mehr abschoss.

Tot gemacht: Eisner und Landauer

Nicht eingeladen: Theodor Herzl

Die Liste der Juden, die an der Isar nicht willkommen waren, lässt sich verlängern. Man denke zum Beispiel an Theodor Herzl. Er wollte den ersten Zionistenkongress 1897 nach München holen - wegen der zentralen Lage der bayerischen Hauptstadt in Europa. Doch in diesem Fall kam der Einspruch aus den eigenen Reihen: Die Israelitische Kultusgemeinde verhinderte die Veranstaltung, da sie fürchtete, ein Bekenntnis zu einem eigenen jüdischen Staat gefährde die Loyalität zu Deutschland. 

Ermordet: Kurt Eisner

Oder man denke an Kurt Eisner. Als Jude, Preuße und Sozialist erfüllte der Revolutionsführer und Präsident der ersten bayerischen Räterepublik gleich mehrere Kategorien, um in München nicht wohlgelitten zu sein. Die Art und Weise, wie reaktionäre Kreise ihr Problem Eisner "lösten", war schon ein Vorgeschmack darauf, wie später Faschisten mit Juden umgingen: Der nationalistische Anton Graf von Arco auf Valley erschoss Eisner am 21. Februar 1919 auf offener Straße. Übrigens geht auf Eisner der Begriff "Freistaat" zurück, auf den (auch) das nichtjüdische Bayern bis heute stolz ist.

Ein ähnliches Schicksal wie Eisner erlitt Gustav Landauer. Der jüdische Anarchist war maßgeblich beteiligt an der Münchner Räterepublik von 1919. Nach deren Niederschlagung wurde er von Freikorps-Truppen gefangen genommen und im Gefängnis Stadelheim ermordet.


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