Kultur


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Architektur-Ausstellung München Muss Architektur von Dauer sein?

Was haben Oktoberfest, Kumbh Mela Wallfahrt und Burning Man gemeinsam? Die Massen, die für kurze Zeit an einem Ort zusammenkommen - und dafür auf temporäre Architektur angewiesen sind. Wie verändert das den Städtebau?

Von: Barbara Knopf

Stand: 13.09.2017

Wenn sich der Zug mit einem Pfiff ankündigt, dann beginnt auf dem thailändischen Markt Talad Rom Hoob nahe Bangkok das Ballett der fliegenden Händler: Sie klappen die Markisen hoch, rollern die Verkaufskarren weg; nur Obst und Gemüse kann am Boden liegenbleiben, weil der eiserne Zugboden haarscharf darüber hinwegschwebt. Sobald der letzte Waggon die Stände passiert hat, schließen sich die Markisen wieder wie ein Reißverschluß zu einer überdachten Marktgasse.

Does Permanence Matter?
Ephemeral Urbanism


Pinakothek der Moderne -
Architekturmuseum München
14. September bis 18. März 2018

Ein sichtbar volatiles Geschäft ist dieser Markt, der sich bis unmittelbar an den Schienenrand ausgedehnt hat. Acht Mal am Tag kommt der Zug und für die Durchfahrtsminute wird das Wechselspiel aus Reglement und Raumergreifung auf ebenso vergnügliche wie anstrengende Weise ausgereizt.

"Ich glaube, es ist auch ein gewisser Sport, so ein gewisser Stolz, dass man das schafft. Gerade die individuelle Gestaltungskraft, wenn man den Freiraum gibt, dann entstehen da die flexibleren Lösungen als wenn der Architekt glaubt, er kann alles für immer und ewig vordefinieren . 'Vom Sofakissen bis zur Sätdteplanung' hieß schon das Motto des Werkbunds ... ist vielleicht bisschen viel."

(Andres Lepik, Leiter Architekturmuseum München der Pinakothek der Moderne)                                                                                 

Andres Lepik, Leiter des Münchner Architekturmuseums in der Pinakothek der Moderne, stellt daher die süffisant zugespitzte Frage: Does Permanence Matter? Das heißt, er hinterfragt ganz klar, ob Architektur immer von Dauer sein muss, und zeigt eindrückliche Beispiele von ephemerer Architektur mit komplexen Infrastrukturen: Siedlungen auf einer Ölplattform in Aserbaidschan oder in einer chilenischen Kupfermine, die nur so viele Jahrzehnte Bestand hatten, bis See und Land ausgebeutet waren. Oder Pilgerfahrten, wie den Haddsch, dem eine mehrtägige Reise vorausgeht, auf der die Teilnehmer in strahlendweißen, kilometerlang aneinandergereihten Zelten nächtigen können. Der Stuttgarter Architekt Mahmoud Bodo Rasch hat die Zeltbauten in den 70er Jahren ausgetüftelt, sie bewähren sich bis heute.

"Bodo Rasch hat Material entwickeln lassen, das sehr leicht transportierbar ist, wenig wiegt und trotzdem nicht brennbar ist ... und das waren eben Teflonfasern, und da konnte er den König von Saudi Arabien überzeugen, es als Großauftrag durchzuführen - es geht hier um Zeltlager von 2,5 Millionen Pilger, die da kommen und für fünf bis sechs Tage untergebracht werden."

(Andres Lepik)

Non-Cities: Flüchtlingscamps als Dauerzustand

Natürlich gibt es in der Ausstellung auch Fotos und Analysen zu der derzeit prekärsten Siedlungsform: Flüchtlingscamps. Das größte Camp weltweit ist Dadaab in Kenia. Über 400.000 Menschen leben dort, was größenmäßig zwischen Nürnberg und Augsburg liegt – und doch als "non-city" gilt, also keinen Stadt-Status hat - gedacht als vorübergehende Agglomeration, seit einem Vierteljahrhundert immer weiter wachsend.

"Temporär bedeutet, mal unkontrollierte Vorgänge zu erlauben."

(Andres Lepik)

In der Regel ist das ein Alptraum für Stadtplaner, vor allem im baunormwütigen Deutschland. Diese Freiheit beginnt schon in der selbstgezimmerten israelischen Laubhütte, die einmal jährlich zur Erinnerung an den Auszug nach Ägypten überall errichtet werden darf, von wo aus man den Sternenhimmel durch die natürlichen Baumaterialien schimmern sieht. Es ist der kleinste Ort in dieser Ausstellung, die zeigt, dass provisorische Architektur Freiheitssehnsucht wecken, aber auch Angst auslösen kann. Es ist eine Frage der Perspektive.

"Das Temporäre hat sehr viel mit religiösen und anderen kulturellen Bewertungen zu tun. Spricht man über Zeltlager findet man es lustig, wenn die Kinder hingehen in den Ferien, im Kontext von Flüchtlingen findet man es nicht mehr lustig."

(Andres Lepik)

Die Ausstellung selbst wertet nicht, sie zeigt. Etwa große transparente Bubbles im Wadi Rum Valley in Jordanien: Fiberglaskugel-Unterkünfte für sehnsüchtige Touristen, sie simulieren Nomadentum für eine Nacht - in einer Luxusvariation von Zelt. Im Kontrast dazu stehen die Notunterkünfte, in welche das Leben bei Naturkatastrophen ausgelagert werden muss. Das Zelt als Synonym vorübergehenden Unterschlupfs lässt sich allerdings auch im Rausch erleben: auf dem größten Bierfest der Welt in München. Mitten im Zentrum gönnt sich die Stadt eine Wiesn, einen jenseits der Oktoberfestwochen frei definierten Raum, der mehr Wert bringt als eine kapitale Bebauung.

Werden sich Stadtplaner künftig von den Prinzipien temporärer Architektur beeinflussen lassen? Wird man beispielsweise olympische Stadien bauen, die rückbaubar sind und keinen Leerstand in Form betonierter Ruinenarchitektur hinterlassen? Die Frage ließe sich anhand des letzten Beispiels der Ausstellung im Architekturmuseum diskutieren: Kumbh Mela, das größte religiöse Festival der Hindus in Indien findet alle 12 Jahre statt, für 50 bis 100 Millionen Besucher (so genau lässt sich das nicht zählen). Für sie wird ein temporäres Gebilde, das einer Megacity gleichkommt, innerhalb eines halben Jahres auf- und wieder abgebaut.


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