Kultur - Musik


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Jazzwoche Groove und Lässigkeit im Zeichen der Burg

Drehkreuz Burghausen: Die Fans kommen im Sonderzug, die Musiker fliegen ein - Lee Konitz aus New York, Paquito D'Rivera aus Havanna. Ein paar andere könnten mit dem Fahrrad kommen, wenn das Klavier auf den Gepäckträger passen würde. In der Altstadt prallen alle aufeinander. Das Resultat: Oft spektakulär, immer im BR.

Stand: 27.03.2014 | Archiv

Die Stadtsilhouette | Bild: Haus der Bayerischen Geschichte

Zur längsten Burganlage Europas aufzuschauen, ist wohl Verpflichtung - die Jazzwoche zählt zu den am längsten kontinuierlich durchgeführten Jazzfestivals der Welt, das Städtchen unter der Burg ist Deutschlands kleinste Jazzmetropole. Selbst das Jazz-Mini-Mekka Moers - Moers? - ist fünfmal größer.

Außen Idyll, drinnen Jazz: Burghausen an der Salzach

Dreh- und Angelpunkt: Das "Studienzentrum für zeitgenössische Musik", eine fixe Idee, die der Münchner Physiker und Saxophonist Joe Viera 1970 mit dem Oberpfälzer Gerichtsvollzieher Helmut Viertl ausheckte. 

Viertl, Viera und die Ohrenbildung

Der Geldeintreiber war eben aus Neuburg zugereist, wo sein Jazzlokal Birdland mangels Fanmasse auf eine finanzielle Bauchlandung zusteuerte (um Jahre später wie Phoenix aus der Asche aufzuerstehen); den von allen Spielarten des Jazz begeisterten Viera ärgerte, dass die Musik der Gegenwart hart an der bayerisch-österreichischen Grenze meist Sache der Feuerwehrkapellen war.

Studienzentrum: "Es musste schon ein anspruchsvoller Name sein - wenn man mit so einem Anliegen ins Kultusministerium geht", erzählt der heute 76-jährige "Jazzprofessor" Viera. Es ging um Fördermittel für eine Musik, die 25 Jahre vorher - bei manchen auch danach - als "entartet" galt. Eigentlich aber ging es darum, an einem Örtchen im Dornröschenschlaf Jazzamateure, Jazzgiganten und Jazzignoranten zusammenzubringen und die physikalische Reaktion zu beobachten.

Jazzbefreiung und der Kuckuck am Flügel

Oft knallte es - so oder so: Wenn am Samstagabend Burghausener Laufkundschaft und New Yorker Freejazzer den Erstkontakt aufnahmen. Wenn Helmut Viertl beim Wirt im "Uhu", einem der vier Auftrittsorte, vorbeischaute, und zwar dienstlich, um das Klavier zu pfänden (an dem heute noch der Kuckuck klebt). 

Wenn Hans Steindl - heute Bürgermeister, damals zuerst und vor allem Fußballer - unverhofft in ein Dexter Gordon-Konzert geriet und sich danach ein Saxofon kaufte. Es waren die 70er, nichts schien unmöglich und manches war es nicht.

Große Sterne, kleine Sterne

Seither hat das Festival über Hunderttausend Besucher angelockt, das Studienzentrum bald 12.000 Absolventen gebildet. "Anspruchsvolle Namen" waren zu Besuch, was seit 1999 die "Street of Fame" dokumentiert. Nach dem Vorbild Hollywoods - das anfangs viel kleiner war als Burghausen - werden die Autogramme der Jazz-Stars im Goldenen Buch der Stadt nach und nach auf Bronzeplatten gepresst. Jetzt bilden sie einen Sternenpfad vom Studienzentrum im Mautnerschloß in Richtung Rathaus.

Burghausener Aha-Erlebnis

Weltstars A-H: Chet Baker, Count Basie, Art Blakey, Ray Brown, Dave Brubeck, Lou Donaldson, Ella Fitzgerald, Fatty George, Stan Getz, Dizzy Gillespie, Dexter Gordon, Stephane Grappely, Jim Hall, Lionel Hampton, Woody Herman, Freddie Hubbard ... Fortsetzung bis Z folgt in Burghausen.

Vieras Zauberformel

Und es geht weiter. Seit die letzten Klänge des B'Jazz 2012 verklungen sind, laufen die Planungen für 2013 schon an. Für jeden Star, der zusagt, müssen laut Viera mindestens drei kontaktiert werden, was ungefähr x Mails und Anrufe voraussetzt. Das erledigt inzwischen die dritte Generation von Jazzenthusiasten. Joe Viera konzentriert sich derweil auf das Sichten junger Talente und seine zweite Spezialität: die Kunst des Moderierens hinter und vor den Kulissen.

"Liebe Zuschauer, mit jedem Meter, den Sie sich der Bühne nähern, steigt der atmosphärische Eindruck der Musik im Quadrat. Das geht nach der Formel: Am = a multipliziert mit r2. Dabei ist Am die Atmosphäre bezogen auf die Musik, a ist der 'Fest'-Koeffizient und r ist der Abstand von Ihnen zu den Musikern. Diese Formel habe ich soeben erst erfunden, aber ich glaube, sie stimmt."

Joe Viera

Auf dem Weg nach morgen: Der Nachwuchs-Jazzpreis 2013


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