Kultur - Literatur


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Michael Mann Rätselhaftes Ende

Mit fast 40 beendet Michael seine Musikerlaufbahn, um Germanistik zu studieren. Er wird Professor in Berkeley und übernimmt eine folgenschwere Aufgabe: die Edition der Tagebücher seines Vaters. Mit 57 stirbt er im Alkoholrausch.

Stand: 17.11.2011

1957 - zwei Jahre nach dem Tod des Vaters - entschließt sich Michael Mann plötzlich, seinen Musikerberuf aufzugeben. Freunden gegenüber erklärt er, Musik sei schön als Liebhaberei, aber schauerlich als Beruf. "Immer den Leuten Sachen vorspielen, die sie gar nicht so gern hören, außerdem: Konzerte geben und der ganze Betrieb drumherum," so das Motiv ihres Sohnes laut Katia Manns Memoiren.

Umschulung zum Germanisten

Ausbildung an renommierter Harvard-Universität in Massachusetts

Im Alter von fast 40 Jahren übersiedelt er mit seiner Frau Gret nach Massachusetts, um an der Harvard-Universität Literatur zu studieren. 1961 schließt er mit einer Doktorarbeit über Heinrich Heines Musikkritiken ab und wechselt im selben Jahr ins German Department der University of California in Berkeley. Dort war man sehr angetan, den Sohn des berühmten Schriftstellers Thomas Mann als Assistenz-Professor in den eigenen Reihen begrüßen zu können. Nur ein Mitglied der Fakultät, Fritz Tubach, stimmte gegen seine Aufnahme.

1964 wird Michael Mann ordentlicher Professor für Deutsche Literatur in Berkeley. Die kalifornische Elite-Universität ist damals Zentrum der US-Studentenrevolte. Den politisch links stehenden Michael Mann interessieren nun vor allem die Rebellen der deutschen Literatur: der frühe Friedrich Schiller oder Heinrich Heine. Am Romantiker Christian Friedrich Daniel Schubart fasziniert ihn die Spannung zwischen emanzipatorischer Bestrebung und Sehnsucht nach väterlicher Autorität - eine Spannung, die Michael Mann wohl auch in sich selbst verspürt. Sein Vater wird nun wichtigster Forschungsgegenstand.

Folgenschwere Tagebuch-Lektüre

1965 veröffentlicht er "Das Thomas-Mann-Buch. Eine innere Biographie in Selbstzeugnissen". 1975 übernimmt er ein Projekt, das möglicherweise über seine Kräfte geht: die Edition der Tagebücher seines Vaters. Dieser hatte verfügt, dass sie erst 20 Jahre nach seinem Tod (1955) freigegeben werden dürfen.

"Diese Tagebücher seines Vaters haben ihn verrückt gemacht, ihn umgebracht. Ich wünschte, er hätte sie verbrannt."

Ein Kollege Michael Manns an der Berkeley-Universität

Nun ist es so weit: Michael Mann erhält vom S. Fischer Verlag die Texte, die niemand zuvor gelesen hat. Thomas Mann hatte ohnehin die Angewohnheit, ungeschminkte Ansichten auch über die eigene Familie zu notieren, aber zu erfahren, dass er die Abtreibung des jüngsten Sohnes erwogen hatte, ist vermutlich ein Schock für Michael Mann.

Tod im Alkohol- und Drogenrausch

Er bereitet zwar bis Ende 1976 noch eine Auswahl-Edition der Tagebücher vor, doch sie werden in dieser Form nie veröffentlicht. In der Nacht zum Neujahrstag 1977 stirbt Michael Mann 57-jährig im kalifornischen Orinda an einer Mischung aus Alkohol und Barbituraten. Ob er die tödliche Dosis versehentlich oder absichtlich eingenommen hat, ist bis heute ungeklärt. Neigungen zum Selbstmord seit seiner Jugendzeit wurden von Freunden und Familienmitgliedern immer wieder bezeugt. Auch Drogen und Alkohol hatte er - wie seine Geschwister Erika und Klaus - schon früh zu konsumieren begonnen und kam wohl nie mehr richtig davon los. Nach Michael Manns Tod übernehmen zunächst Peter de Mendelssohn und dann Inge Jens die editorische Arbeit an den Tagebüchern Thomas Manns.

"Schleppenträger der Literatur"

Frido Mann 1999

Rätselhaft bleibt, warum sich Michael Mann die Arbeit zumutete, ausgerechnet Werk und Leben des eigenen Vaters zu erforschen. Sein alter Fakultätskollege Fritz Tubach meint, er habe ihn schreibend überwinden wollen. Sohn Frido hat die These aufgestellt, sein Vater habe mit der Hinwendung zur Germanistik nach anfänglicher Rebellion versucht, zum Vater zurückzukehren und sich als "Schleppenträger der Literatur" zu betätigen.


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