Kultur - Literatur


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Herbert Rosendorfer Dichter, Richter, Ruinenbaumeister

Wäre Herbert Rosendorfers Kopf ein Speicher, man müsste ihn sich angefüllt mit Merkwürdigkeiten aus aller Welt denken. Seine Bücher zählen zu den unterhaltsamsten der deutschen Sprache. Am 20. September ist er 78-jährig nach langer Krankheit gestorben.

Von: Michael Kubitza

Stand: 01.04.2019 | Archiv

Herbert Rosendorfer und ein Zitat von ihm | Bild: BR, picture-alliance/dpa, Montage: BR / Christian Sonnberger

Klageerzwingungsverfahren. Entreicherungseinwand. Bösgläubigkeit.
Können Menschen, die beruflich jeden Tag mit solchen Begriffen jonglieren, Poesie verfassen? Joseph von Eichendorff konnte. ETA Hoffmann und Kafka auch. Der pensionierte Amtsrichter Rosendorfer konnte es.

Über drei Jahrzehnte hat der gebürtige Südtiroler als Jurist daran gearbeitet, die schadhaften Stellen des Seins zu flicken, und nebenbei ein literarisches Werk mit weit über hundert Positionen verfasst: Prosa, Theaterstücke und "Tatort"-Drehbücher, Tagesaktuelles und deutsche Geschichte in sechs Bänden, dazu Bücher über Bücher - auch über die drei genannten Berufskollegen. Und er hat einen stabilen Pessimismus entwickelt. "Der Jurist ist notgedrungen mit der Welt unzufrieden, denn er sieht ständig Grenzsituationen, er sieht ständig das, was nicht stimmt."

Anton L. oder: Die Letzten und die Ersten

Herbert Rosendorfer: Großes Solo für Anton (Buchcover)

Möglich, dass Rosendorfers Zeitgenossen ihm gerade ein wenig auf die Nerven gegangen sind, als er seinen Helden in "Großes Solo für Anton" zum letzten lebenden Menschen in einem rätselhaft entvölkerten München machte: "Ich bin nicht tot und auch nicht verrückt, dachte er. Sie verstecken sich. Sie sind alle heimlich fortgegangen und verstecken sich." Womit Anton überraschend gut zurechtkommt.

Buchcover | Bild: Hanser Verlag

Thomas Glavinic: Die Arbeit der Nacht (Buchcover)

Falls Rosendorfer Misanthrop gewesen sein sollte, dann ein entspannter. Die Erfahrung machte jedenfalls sein österreichischer Kollege Thomas Glavinic. Er hatte eines Tages mit Schrecken festgestellt, dass sein Roman "Die Arbeit der Nacht" ein unbeabsichtigtes Remake des exakt drei Jahrzehnte älteren Rosendorfer-Stoffs ist. Glavinic: "Er schrieb mir auf meinen bangen Brief zurück, ich solle mir keine Sorgen machen, er sei auch nicht der erste gewesen, der auf diese Idee gekommen ist."

Irgendetwas stimmt da nicht

So jedenfalls liest sich das in Glavinic' Meta-Roman "Das bin doch ich". Wahrheit? Fiktion? Wer weiß das schon immer. Bei Otto Jägermeier zum Beispiel. Der Komponist der sinfonischen Dichtungen "Psychosen" und "Meerestiefe", ein Brieffreund von Richard Strauss, taucht in Rosendorfers Werk immer mal wieder auf; ebenso in diversen Musiklexika. Eine höchst interessante Figur mit dem kleinen Makel, nie gelebt zu haben. Rosendorfers Werk? So wie das Nachwort in einem Band seines Illustratoren-Kollegen Luis Murschetz, dem Rosendorfer eine komplett neue Vita verpasste?

Auf der anderen Seite steht - zum Beispiel - Christian Weber, ein Zeitgenosse Jägermeiers. Der Münchner Rosshändler und Hitler-Spezi räumte politische Gegner gern kraft seines riesigen Bauchs aus dem Weg und ließ Ende der 30er-Jahre vor großem Publikum etliche nur mit einem Helm bekleidete Schönheiten durch den Nymphenburger Schlosspark reiten. Rosendorfer berichtet darüber in seinem Roman "Die Nacht der Amazonen". Eine Rosendorfer-Erfindung ist Weber leider nicht - den hat die Geschichte zu verantworten.

Werke (Auswahl)

1969

Der Ruinenbaumeister

"Wenn man in einen Zug steigt, in dem sechshundert Nonnen eine Wallfahrt nach Lourdes antreten, ist man froh, ein leeres Abteil für sich allein zu finden ..." und wenn ein Roman so beginnt, liest man weiter. Um sich unversehens in einem wahnwitzigen Geschichten-Labyrinth im Geiste M.C. Eschers wiederzufinden. Faust und Don Juan treiben sich darin herum, Musikvampire und Mörderorgeln, ein seltsamer Geheimbund und ein begnadeter Cellist, den niemand je gehört hat. Am ruinösen Ende seines bis heute kultisch verehrten Romandebüts hat sich Rosendorfer vom Barock in die Zukunft fabuliert und eine Sonnenuntergangsgeschichte des Abendlands geschaffen.

1969

Bayreuth für Anfänger

Ein komisches Buch, das der Autor mit dem komischen Namen Vibber Tøgesen da veröffentlicht hat. Es scheint, dass ihm der Trubel auf dem "Grünen Hügel" ziemlich auf die Nerven geht: "Der Ruf 'Die Festspielgäste kommen!' ertönt in Bayreuth etwa mit dem Unterton wie bei den Lachsfischern der Ruf: 'Die Lachse kommen'". Wagner aber! Wagner, über den weiß Tøgesen mehr als dieser selbst wissen wollen würde. Was daran liegt, dass Tøgesen eigentlich Rosendorfer und dieser nebenbei ein profunder Musikkenner ist. 1965 hat es den jungen Rechtsassessor nach Bayreuth verschlagen, was wechselseitig gemischte Gefühle auslöste. 1991 legt Rosendorfer mit "Wagner für Fortgeschrittene" nochmal nach.

1976

Großes Solo für Anton

Man hätte sich einen würdigeren Helden aussuchen können, um als letzter Mensch auf Erden zu wandeln als ausgerechnet Anton L., den Münchner Finanzbeamten und Quartalstrinker mit Körpergeruchsproblem; aber keinen unterhaltsameren. Der Geruch ist dann ja auch kein Problem mehr. Es geht um anderes, wie die Zwischenüberschriften verraten: "Nutzen sich Atome ab? - Ein Fasan ohne Knochen - Zeitrechnung nach Rehen". "Der Endzweck der Welt ist ein Buch", zitiert Rosendorfer den Symbolisten Mallarmé. Richtig zu Ende geht die Geschichte nicht. Schließlich, so Rosendorfer, sei er Realist und "die Realität hat ja keinen Anfang und kein Ende."

1983

Briefe in die chinesische Vergangenheit

Von hinten durch die Brust ins Auge: In diesem Fall geht Rosendorfers bevorzugte Erzählperspektive von innen nach außen und zurück. Kein neuer Weg: Schon Montesqieu ließ in seinen "Persischen Briefen" zwei fiktive Weise aus dem Morgenland ins Paris seiner Zeit reisen und staunen. Rosendorfer schickt den Mandarin Kao-Tai aus dem 10. Jahrhundert ins München der 80er-Jahre. Der fühlt sich zwischen "Langnasen" und "bleichen Riesenkrebsen" ziemlich verloren. 1997 berichtet Kao-Tai dann nochmal aus unserer Zeit, diesmal aus den "neuen Ländern". "An den Erfolg der "Briefe" kann "Die große Umwendung" jedoch nicht anschließen.

1989

Die Nacht der Amazonen

Ein abstoßender Charakter, dieser Christian Weber. Nicht nur, weil er jeden Morgen sechs Weißwürste mit Erdbeermarmelade in seinem Wanst begräbt. Weber (1883 bis 1945), einst Hausknecht im "Blauen Bock", dann brauner Provinzfürst in München, zählt zu Hitlers WAK - den "wirklich alten Kameraden", die schon beim Marsch auf die Feldherrnhalle dabei waren. Das heißt - richtig dabei war Weber nicht. Wie ihm die Politik überhaupt weniger als wurst war, wenn es nicht um Geld und Macht, Frauen und Pferde, Randale und Ressentiments ging. Rosendorfer hat den Werdegang Webers durch mehrere Archive nachverfolgt und ein oft witziges, oft beklemmendes Zeitpanorama verfasst.

Der fantastische Realismus einer realistischen Fantasie

Auch wenn Rosendorfer nur einmal, mit den "Briefen in die chinesische Vergangenheit", einen ganz großen Bestseller landete - die Leser sind seinen wilden Geschichten treu geblieben. Viele wohl aus ähnlichen Gründen wie der Rezensent des "Großen Solos für Anton" im Berliner Tagesspiegel: "Herbert Rosendorfer mutet in unserer literarischen Landschaft selbst wie eine Art Anton L. an, denn er ist einer der letzten, die noch aus einer üppigen Fantasie schöpfen und ihr erzählerisches Garn zu spinnen vermögen."

Rosendorfer-Stück "Die Venezianer in Schongau" - in Schongau

Der Südtiroler selbst ist, von einer Stippvisite in die neuen Länder abgesehen, lange der Stadt München treu geblieben; wer die Münchner kennt, wird sie in seinem Buch wiederfinden. Zuletzt ist der unverfrorene, aber auch ziemlich verfrorene Geschichtenerzähler wieder nach Eppan an der Weinstraße gezogen. Ein weiterer Höhepunkt seines "Lebens südlich und nördlich des Alpenhauptkamms" führte ihn Ende 2010 wieder nach München: Ministerpräsident Horst Seehofer überreichte ihm den renommierten Corine Buchpreis. Der Geehrte zeigte sich erfreut - besonders darüber, dass die Staatskanzlei ihm versichert habe, dass er trotz der Auszeichnung für sein Lebenswerk weiter schreiben dürfe. Am 20. September 2012 starb Rosendorfer 78-jährig nach langem Leiden in Bozen. Am 8. Oktober soll sein letztes Buch erscheinen: "Die Kaktusfrau", ein Band mit Erzählungen.

Lebensdaten

*19. Februar 1934 in Gries bei Bozen
†20. September 2012 in Bozen


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