Kultur - Literatur


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Oskar Maria Graf In Lederhosen durch New York

Ein zupackender Erzähler, ein kompromissloser Pazifist und Antifaschist. Kein Intellektueller und doch einer von ihnen. Der Bäcker, der unter die Künstler gefallen war, gehörte zur Münchner Boheme und den linken revolutionären Kreisen. Oskar Maria Graf war immer mittendrin und hat davon begeistert erzählt.

Stand: 01.04.2019 | Archiv

Oskar Maria Graf und ein Zitat von ihm | Bild: BR, picture-alliance/dpa, Montage: BR / Christian Sonnberger

Getauft wurde er auf den Namen Oskar Graf. Das neunte Kind eines Bäckers in Berg am Starnberger See musste schon vor der Schule, die er leidenschaftlich hasste, mit dem Radl bergauf und bergab die Frühstückssemmeln ausfahren. Dabei hätte man die frühen Morgenstunden wie Rainer Maria Rilke trefflich zum Dichten nutzen können. Für seine ersten Veröffentlichungen in Zeitungen nannte er sich Oskar Graf-Berg; für die Bücher, die er selber für "lesenswert" erachtete, setzte er ein Maria zwischen Vor- und Nachnamen.

Oskar Graf war anders als die Schriftsteller-Kollegen seiner Zeit. Für manche war er gar ein Unikum. Mit unverstelltem Blick und kritischem Ansatz schrieb er über die Realien dieser Welt, über die Menschen seiner unmittelbaren Umgebung sowie über Erdachte, die wie vom Leben abgepaust scheinen: Seine derb-realistischen Dorf- und Kleinstadtromane sind krachbunte Sittengemälde einer rückständigen Epoche im fortgesetzten Kampf mit der Moderne.

Auf und davon: Unter Hippies und Soldaten

Es ist ein turbulentes Leben, das Oskar Maria Graf vom Starnberger See ins steinerne Meer New Yorks spült.

Werke

Prosa
1924 Bayrisches Lesebücherl
1928 Bayrisches Dekameron
1929 Kalendergeschichten
1931 Bolwieser
1932 Dorfbanditen
1935 Der harte Handel
1936 Der Abgrund
1947 Unruhe um einen Friedfertigen
1948 Mitmenschen
1959 Die Flucht ins Mittelmäßige
1962 Der große Bauernspiegel
1964 Er nannte sich Banscho

Lyrik
1918 Die Revolutionäre
1919 Amen und Anfang
1954 Der ewige Kalender
1962 Altmodische Gedichte eines Dutzendmenschen

Nach dem frühen Tod seines Vaters erlernt er zunächst das Bäckerhandwerk und arbeitet in dem von seinem Bruder Max übernommenen väterlichen Betrieb. 1911 geht Graf nach München, lebt ohne feste Anstellung, schlägt sich als Plakatausträger und Liftboy durch. Zwei Jahre vagabundiert er durchs Tessin, verbringt auch eine Weile in der "lebensreformerischen Künstlerkolonie" auf dem Monte Verità, einer Art früher Hippie-Bewegung; dann geht ihm die Mischung aus Schwabinger Bohemiens, belgischen Industriellensöhnen und russischen Anarchisten auf den Nerv: "Nur Verdauungsphilister und Naturtrottel", notiert er in sein Tagebuch. 

Im Winter 1914 wird Graf zum Kriegsdienst eingezogen. 1915 erscheint, nach einigen Gedichten in den expressionistischen Blättern "Der Ruf" und "Aktion", in der Zeitschrift "Die Freie Straße" seine erste Erzählung. Ein Jahr später droht ihm die Verurteilung wegen Befehlsverweigerung. Graf wird in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, die er nach einem zehntägigen Hungerstreik wieder verlassen darf. Unehrenhaft wird der pazifistische Soldat aus der Armee entlassen.

Revolution! Und ihr braunes Ende

Sein erster Gedichtband von 1917 heißt "Die Revolutionäre". Klar, dass Graf die Münchner Novemberrevolution begrüßt und die Räteregierung mit der gebotenen Skepsis unterstützt: "Wer regierte, wusste man nicht recht, die Parolen der Sozialisten änderten sich täglich, das Leben schob sich gewissermaßen ewig hin und her (...)" Der Sieg der Reaktion bringt ihm mehrere Gefängnisaufenthalte ein; zwischendurch arbeitet er als Dramaturg an einem Arbeitertheater. Mit der 1927 erschienenen Autobiografie "Wir sind Gefangene" gelingt ihm eine der eindrücklichsten Schilderungen seiner Zeit - und der literarische Durchbruch. Fortan lebt er als freier Schriftsteller.

Graf verachtet die Nationalsozialisten. Trotzdem verbrennen sie 1933 nicht alle seine Bücher. Im Gegenteil: Die völkische Propaganda empfiehlt einige seiner Werke. Darauf veröffentlicht Graf, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits im "freiwilligen Exil" in Wien aufhält, in der "Wiener Arbeiter-Zeitung" einen vielbeachteten Aufruf.

"Verbrennt mich! Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande gelangen. Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach!"

Oskar Maria Graf am 12. Mai 1933

Ein Bayer in New York

Vier Jahre später geht Graf über die Niederlande nach New York, wo er in durch die Bierlokale zieht, um das Heimweh zu lindern. Er wird Präsident der German-American Writers Association, und 1942 gründet er mit Wieland Herzfelde und anderen Exil-Schriftstellern in der Nachfolge des Malik-Verlages den Aurora-Verlag. 1949 erscheint der Roman "Die Eroberung der Welt" (1959 unter dem Titel "Die Erben des Untergangs" neuveröffentlicht), in dem es um das Überleben nach einem dritten Weltkrieg und die Etablierung einer Weltregierung geht.

Wieder da: Graf und die Schauspielerin Helen Hayes 1958 auf dem Flughafen München

1957 wird der Staatenlose US-Bürger. Ein Jahr später reist der Ehrendoktor der Universität Detroit zum ersten Mal wieder nach Europa und zum Grab seiner Mutter. Es folgen weitere Atlantik-Überquerungen, unter anderem zu Lesungen in West- und Ostberlin, wo er "korrespondierendes Mitglied der Akademie der Künste der DDR" wird. In München erhält er die Goldmedaille der Stadt.

Am 29. Juni 1967 stirbt Oskar Maria Graf in New York - "ein verjagter Dichter, einer der besten", wie der ungleiche Bruder im Geist Bert Brecht schreibt. Seine Asche wird auf dem Alten Bogenhausener Friedhof in München beigesetzt; nicht weit davon findet 15 Jahre später Rainer Werner Fassbinder seine erste und letzte Ruhe, der an Grafs zehntem Todestag den "Bolwieser" kongenial verfilmt hat.

Werke (Auswahl)

1927

Wir sind Gefangene

Oskar Marias Grafs erster Teil seiner Autobiografie beginnt mit dem Bruderzwist. Unverständnis schlägt ihm hier entgegen, als er bekennt, Schriftsteller werden zu wollen. Derartige Berufsvorstellungen werden mit Fäusten beantwortet. Oskar wird 1911 von seinem Bruder Max aus dem Elternhaus in Berg am Starnberger See geprügelt. Er flieht nach München, wo er erst dreimal war. Eine abenteuerliche Lebensreise ins Chaos zwischen 1905 und dem Ende der Münchner Räterepublik.

1931

Bolwieser

Bahnhofsvorsteher Xaver Bolwieser ist Mitte 30 und mit der Tochter eines reichen Brauereibesitzers verheiratet. Eine gute Partie. Er glaubt, es geschafft zu haben. Doch seine Ehe ist freudlos. Bolwieser, dem Klatsch der Kleinbürger ausgesetzt, kann die heile Welt nicht aufrecht erhalten. Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Unsicherheiten kündigt sich auch sein privater Niedergang an: Er schwört einen Meineid und muss ins Gefängnis

1937

Anton Sittinger

Grafs Thema in diesem Gesellschaftsroman ist die Mitverantwortung der Kleinbürger, insbesondere der Mitläufer, am Zustandekommen der totalitären Herrschaft der Nationalsozialisten. Postinspektor Anton Sittinger, ein unpolitischer Spießer und Duckmäuser, ist ein Chauvinist, der seine Frau tyrannisiert. Er übersieht die Bedrohungen durch den heraufziehenden Faschismus. Sittinger sucht nur seinen Vorteil und arrangiert sich mit den neuen Machthabern.

1940

Das Leben meiner Mutter

Das Buch erschien 1940 zunächst in Englisch und erst 1946 auf Deutsch. Zu lesen ist mehr als nur die Familiengeschichte Oskar Maria Grafs anhand der Lebensbeschreibung seiner Mutter: Grafs Erinnerungsbuch ist ein authentisches Zeitdokument seiner Heimat, eine soziale Chronik dörflichen Lebens von der zweiten Hälfte des 19. bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, in der in Berg am Starnberger See die moderne Technik ebenso Einzug hält wie der Fremdenverkehr

1966

Gelächter von außen

Grafs Autobiografie, zweiter Teil, erschien 1966, ein Jahr vor seinem Tod. Sie umfasst den Zeitraum von 1918 bis 1933: die Revolution und Räterepublik in München, die Weimarer Republik und Hitlers Aufstieg bis zu Grafs Aufbruch ins Exil. Er schildert sein Leben als Schieber, seine Atelierfeste, durchzechte Abende in der Schwabinger Künstlerkneipe "Simpl" und Begegnungen mit Schriftstellerkollegen wie Rilke, Brecht, Toller und anderen.

Lebensdaten

*22. Juli 1894 Berg am Starnberger See
+28. Juni 1967 New York


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