Kultur - Film und Serie


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Nadja Uhl "Warum müssen wir jeden Abgrund akzeptieren?"

Als Karin Wegemann spielt Nadja Uhl in „Operation Zucker“ eine Polizistin, die mit größtem persönlichen Einsatz gegen Kinderprostitution vorgeht. Wir haben mit der Schauspielerin über ihre Recherchereise nach Rumänien und eines der abgründigsten Phänomene unserer Gesellschaft gesprochen.

Von: Susanne Lorenz

Stand: 09.01.2013 | Archiv

Nadja Uhl und Anatole Taubman in einer Szene aus "Operation Zucker" | Bild: BR/ARD/DEGETO/Sperl Productions/Stephan Rabold

BR.de: Man spricht bei dem Thema Kinderprostitution häufiger auch von einem "Dunkelfeld". Vielen Beteiligten an Rainer Kaufmanns Film waren die Ausmaße dieses Dunkelfeldes vorher so nicht klar. Wie viel haben Sie vor Ihren Recherchen für den Film über das Thema gewusst?

Nadja Uhl: Nichts. Ich bin genauso unwissend gewesen wie die meisten, die mit diesem Thema konfrontiert sind. Und ich habe auch ähnlich reagiert, ich wollte dieses Dunkelfeld nicht betreten. Es ist zu abgründig, etwas, das zu unmöglich, zu unwahrscheinlich erscheint. Deshalb war meine ganz persönliche Schutzreaktion erst einmal Abwehr – was, glaube ich, den meisten von uns so geht. Da sollte man auch nicht heroischer tun als man empfindet.

In erster Linie sehe ich mich als Künstlerin, nicht als Retterin der Welt. Diese Themen sind aber in Grenzbereichen, wo man sich einer persönlichen Haltung dazu irgendwann nicht mehr entziehen kann. Aber manche Dinge will auch ich einfach nicht wissen. Man muss die Balance halten im Leben: Wie viele Dunkelfelder kann man ertragen, um trotzdem noch an das Gute im Leben zu glauben. Sonst wird man ja verrückt.

BR.de: Der Film wirft viele Fragen auf, auch die sehr unbequeme Frage nach der Vertrauenswürdigkeit der eigenen Freunde, der eigenen Familie. Was da angesprochen wird, ist wahr und sehr wichtig, aber man kann nicht jeden unter Generalverdacht stellen. Welche Konsequenz soll der Zuschauer daraus ziehen?

Nadja Uhl: Ich glaube, dass wir alle, tief in uns verwurzelt, ein gutes Gefühl für Liebe, für Gerechtigkeit, für all die positiven Dinge, die uns zuteil werden, haben. Und dass man sich nicht einreden lassen darf, dass dieses ganze Ausufernde, dieses Exzessive, dass die Abgründe so normal sind. Warum müssen wir jeden Abgrund akzeptieren? Wir sind alle nicht so kraftlos wie wir glauben. Wir haben so ein wunderbares Land mit einer immer noch funktionieren Demokratie, wir sollten nicht durch Wegschauen und durch Unwissenheit die Dinge den Bach runtergehen lassen. Dazu gehört auch, wie eine Gesellschaft mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht, und das sind die Kinder. Was dort passiert auf diesem Feld, ist so abnorm und so teuflisch. Wenn man das weiß und kein Zeichen dagegen setzt, sei es nur, dass man seine Stimme erhebt, dann lässt man es auch zu, dass moralische Verschiebungen im Rahmen unseres gesellschaftlichen Seins passieren, über die wir uns später nicht beklagen dürfen.

Und das meine ich mit "Balance": Man muss nicht moralinsauer gegen alle bösen Dinge dieser Welt vorgehen, es gibt Grenzen, und der Umgang mit diesen Kindern, das Zerstören dieser Kinder sollte für uns alle eine moralische Grenze sein.

BR.de: Sie spielen im Film Karin Wegemann, die ein Mädchen beschützen will, es aber nicht schafft. Einer der Menschenhändler, der vorhatte auszusteigen, entführt das Kind. Zu der Polizistin sagt er: "Das hätt' auch anders kommen können, weißte." Glauben Sie, dass er da Recht hat?

Nadja Uhl und Paraschiva Dragus in "Operation Zucker"

Nadja Uhl: Ja. Also grundsätzlich kann ich so einen Film nicht machen, wenn ich nicht – lassen Sie es mich lapidar sagen – an das Gute glaube. Ich wäre hoffnungslos verloren, wenn ich nicht an die Kraft der Menschen glauben würde, die sich professionell mit diesen Auswüchsen beschäftigen. Ich glaube nicht, dass die Polizei machtlos ist, dass die Justiz machtlos ist. Wir haben den Finger in eine schwelende Wunde gelegt, die innerhalb eines vermutlich wunderbar funktionierenden Polizei- und Justizapparates existiert. Wir reden von den berühmten schwarzen Schafen. Aber: Die schwarzen Schafe sind nicht machtlos. Und da fängt das Dilemma an.

Da müssen vielleicht auch mal andere Gesetze greifen, die die Polizeiarbeit anders ermöglichen. Wir haben mit Sicherheit gute Polizisten, aber ich glaube, da gibt es noch zu viele Schlichen und Tricks, mit denen Anwälte vorgehen können, um Täter zu schützen.

BR.de: Angenommen, Fee wäre nicht wieder entführt worden. Wie hätte ihre Zukunft dann ausgesehen?

Nadja Uhl: Ich glaube, jede Zukunft, die nicht in dieser Zerstörung endet, ist eine bessere Zukunft. Ich habe nicht mit Kindern gesprochen, die das überstanden haben. Ich denke, die Schäden, die solchen Kindern angetan werden, sind irreparabel, aber wir müssen der Ehrlichkeit halber auch sagen, dass es überhaupt ein Glücksfall ist, wenn die Kinder alles überleben. Aber alles ist besser als das, was ihnen dort widerfährt.

Mein Ansatz ist, mich nicht immer in dieser Dramatik aufzuhalten und mir die Kinder nicht ständig vor Augen zu führen, denen man als gesunder Mensch natürlich liebevoll zugewandt ist.

BR.de: Im August 2012 waren Sie mit Unicef in Rumänien …

Nadja Uhl: Ich wurde von Unicef eingeladen, mir ein Bild zu schaffen über die Ursachen dieser Auswüchse, wie es kommt, dass Kinder in größerem Maße nach Deutschland einreisen können ohne ihre Eltern, dass Kinder nur eine bis zwei Flugstunden von Berlin entfernt in so armen Gebieten leben, dass ihre Eltern glauben, alles sei besser als ihr Leben in ihrer Heimat.

BR.de: Welche Recherchemöglichkeiten hatten Sie dort? Haben Sie mit Betroffenen gesprochen, mit Tätern, inhaftierten Zuhältern?

Fee (Paraschiva Dragus) wurde von ihren Eltern in die Obhut fremder Männer gegeben, die behaupteten, das Mädchen auf eine Schule zu schicken.

Nadja Uhl: Nein, das nicht. Das würde ich mir auch nicht zutrauen. Es ist ganz wichtig für mich, immer meinen Handlungsspielraum zu erkennen, die Grenzen einer Schauspielerin. Aber wir sind mit einem Drogen-Mobil, also einem Spritzen-Mobil in die Wohnviertel gefahren, wo schwerste Drogenabhängigkeit herrscht und haben uns auch mit den Männern unterhalten, die sich die Spritzen dort abgeholt haben. Es ist offensichtlich, dass das alles Opfer sind. Das sind vollkommen ruinierte Existenzen. Wir sind durch ein fröhliches, tanzendes Bukarest gelaufen, das wirklich sehr von der neuen Zeit profitiert. Wir sind in Elendsviertel gefahren, wo die Kinder Wasser vom Ziehbrunnen holen, wo sie schwer herzkrank sind, wo sie in wirklich tierähnlichen Behausungen mit ihren Eltern leben. Hinter den Glücksrittern dieser Gesellschaft tut sich ein Abgrund von Verlierern auf. Das ist natürlich ein großer "Markt" ein großes Potenzial für die wachsenden, ausufernden Bedürfnisse in unserem Land. Und wir reden ja leider nicht nur von 16-jährigen Mädchen, was schon schlimm genug ist.

BR.de: Eine Recherchereise für einen Film zu unternehmen – gehört das für Sie üblicherweise zur Vorbereitung für eine Rolle oder war das in diesem Fall eine Ausnahme?

Nadja Uhl: Nein, das hat sich ergeben. Ich habe auch vorher überlegt, ob ich dem gewachsen bin. Es ist wirklich nicht so, dass ich mich da auf einer Mission befinde, sondern ich habe die Gelegenheit wahrgenommen, mir einen genaueren Eindruck zu verschaffen zu einem Thema, mit dem ich mich im Rahmen des Films beschäftigt habe. Das sind dann wirklich auch faszinierende Einblicke in die Arbeit der Menschen, die sich professionell mit diesem Thema auseinandersetzen, das hat mich schwer beeindruckt, wie systematisch und wie klug auch menschlich am Ort vorgegangen wird. Wir sind in Sinti- und Roma-Lager gegangen, wo eine Armut herrscht, die für uns fast nicht vorstellbar ist. Durch die fehlende Geburtenregistrierung, existieren viele Kinder offiziell gar nicht. Das betrifft so viele, es würde keinem Menschen auffallen, wenn da ein Kind fehlt.


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