Kultur - Film und Serie


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Interview zur Premiere von "Zettl" Am Drücker, wo die Kacke dampft

"Scheiße München" ruft der Co-Autor von "Zettl" ins Premierenpublikum, dessen Applaus er zu lasch findet. Jubel gab es nur für Dieter Hildebrandt: Er verkörpert den rollstuhlfahrenden Paparazzo Herbie Fried. Wir haben ihn vor der Premiere interviewt.

Von: Michael Kubitza

Stand: 01.02.2012 | Archiv

Dieter Hildebrandt in "Zettl" | Bild: picture-alliance/dpa

BR.de: Herr Hildebrandt, wie geht's Ihnen am Tag vor der großen Premiere? Aufgeregt?

Dieter Hildebrandt: Gar nicht. Ich komme ja von der Bühne her. Mich regen Bühnenpremieren weitaus mehr auf. Den Film hat man hinter sich - man hat den Text gekonnt und kann nicht mehr hängen. Das Drumherum mit rotem Teppich interessiert mich am wenigsten. Ich hab den Film auch noch nicht gesehen.

BR.de: In "Zettl" spielen Sie eine Rolle im doppelten Sinn. Wie ist denn die Idee entstanden, den netten Paparazzo Herbie an den Rollstuhl zu fesseln?

Dieter Hildebrandt: Na, vermutlich hat sich das der Dietl ausgedacht. Ein Fotograf, der sich in die größten Schwierigkeiten begeben muss, verunglückt hin und wieder, und nach 20 Jahren ... Fotografen müssen ja manchmal auf große Bäume klettern.

BR.de: Spielt sich so ein Handicap jenseits der 80 leichter als, sagen wir, mit 20? Oder macht einem die Rolle mehr zu schaffen?

Dieter Hildebrandt: Ach, das hätte ich auch mit 20 gespielt. Ich stehe dem Rollstuhl gedanklich schon immer nahe, weil ich ich das früh schon gelernt habe - eine Sekunde, und man steht nicht mehr und geht nicht mehr. Und zugleich, was im Rollstuhl trotzdem alles geht, von Rollstuhlballett bis Rollstuhlbasketball. Für den Film muss man das richtig lernern - ich hatte einen eigenen Rollitrainer.

BR.de: Sie kommen wie Zettl aus der Provinz - in Ihrem Fall Schlesien - und leben in München, ihre Sprachmelodie aber ist wie die von Herbie eher berlinerisch. Filmzitat: "Da ist eine oberfaule Kacke am Dampfen."

Dieter Hildebrandt: Das kommt von meinem Vater, der war Brandenburger. Aber Berlin und Schlesien, das hatte immer schon einen ähnlichen Ton. Die Schlesier gingen, wenn sie genug hatten von ihren kleinen Städten, in die Metropole Berlin. Da vermischte sich das dann. Und mich hat es nach dem Krieg nach München verschlagen.

BR.de: Helmut Dietl hat gesagt, der "Zettl"-Stoff sei für ihn "eine Art Notwehr" gegen die Verhältnisse gewesen. War es bei Franz Xaver Kroetz auch eine Art Notwehr, dass er sich aus dem Drehbuch rausdiskutiert hat?

Dieter Hildebrandt: Ich wusste davon noch nichts, als Dietl mich gefragt hat, ob ich bei sowas ähnlichem wie einer Fortsetzung von Kir Royal mitmache. Ich wusste nicht mal, dass es ein Film wird. Ich habe gleich 'Ja' gesagt: Beim Dietl zu arbeiten, neben und vor und über mir eine große Anzahl von sehr großen Schauspielern, das hat mich natürlich gereizt.

Die Macher über die Entwicklung von "Kir Royal" zu "Zettl"

Kir Royal | Zettl

"'Zettl' spielt in einer anderen Zeit, an einem anderen Ort, mit anderen Menschen mit einer anderen Moralvorstellung."

Bully Herbig (Zettl) in der BZ

Baby | Max

"Baby Schimmerlos war zu seiner Zeit sicher ein unmoralischer Mensch, aber er wusste, was Moral war. Seine Unmoral hätte aber keine Chance gegen die Unmoral, die er nun in Berlin vorfindet. Dabei ist der Bully Herbig, der den jungen Straßenreporter Max Zettel spielt, ein unschuldiger Imoralist: Der kennt doch nichts Anderes mehr."

Regisseur Helmut Dietl in der Süddeutschen Zeitung

München | Berlin

"Soll man Äpfel und Pflaumen vergleichen? Bei München ist es ein südlicher Charme, den hat Berlin nicht. Das andere ist der Hauptstadtcharme, der ist aufregender. München ist gemütlicher. Deswegen bin ich ganz gern in Berlin."

Helmut Dietl im Tagesspiegel

Print | Web

"Für mich hat das Internet mein Leben allerdings insofern stärker beeinflusst als die Printmedien, als es einfach für die Ewigkeit geschrieben ist. Printmedien sind mittlerweile vergänglicher. Aber alles, was im Internet über mich steht, steht da für immer und das finde ich oft furchtbar."

Karoline Herfurth (Verena) in der Brigitte

Satire | Farce

"Dieses Buch ist so überdreht, dass ich am ersten Drehtag sehr unsicher war und mir nicht vorstellen konnte, wie das funktionieren sollte."

Ulrich Tukur (Urs Doucier) in der Bild am Sonntag

Einst | Jetzt

"Es ist paradox. Du hast das Gefühl, das war erst gestern. Doch du weißt auch: Es ist viel Zeit vergangen! Was ist in all den Jahren geschehen? Wohin hast du dich entwickelt? Ich finde es schön und mag die leichte Sentimentalität, die auftaucht, wenn man nach so langer Zeit wieder zusammenarbeitet."

Senta Berger (Mona Mödlinger) in der Vogue

BR.de: Der Schimmerlos von Kroetz war unmoralisch mit Gewissensbissen, Zettl ist "unschlagbar charakterlos". Berlin-Mitte im Film ist von Grund auf verkommen. Im wirklichen Leben diskutieren wir über Fußnoten und Ferienaufenthalte ...

Dieter Hildebrandt: Ach, der Bundespräsident. Die Frage geht ja weiter. Brauchen wir überhaupt einen? Ich hätte gern einen, aber ob wir einen brauchen? Der Kandidat Wulff kam ja nie aus der Bundesversammlung heraus, sondern aus dem Kopf der Bundeskanzlerin. Früher war das anders. Weizsäcker habe ich selber gewählt, das würde mir heute nicht einfallen, einen Herrn Wulff zu wählen.

BR.de: Der Filmkanzler sabbert, die Bürgermeisterin wird mit Hammelhoden kompromittiert. Mit realen Personen oder Diskussionen hat der Film seltsam wenig zu tun. Bankenkrise? Europa?

Dieter Hildebrandt: Das wäre ein anderer Film. Was drin ist: Politik ist kälter und unsozialer geworden. Der Politikerberuf hat sich gewandelt. Man wird nicht mehr gewählt aus einer Bevölkerungsschicht oder einem Berufsstand. Das sind Menschen, die haben mit zehn Jahren beschlossen, Karriere zu machen. Ich sehe sie vor mir und höre sie reden. Sie sind verblasst. Aber Skandale hat es immer gegeben. Die Leute waren auch nicht klüger früher - sie waren einfach noch jünger.

"Im Internet lässt man Nachrichten abrollen, und dann verschwindet's im Intermüll"

Hildebrandt über das Internet

BR.de: Zettl ist ja, anders als der Blattmacher Schimmerlos, Online-Redakteur. Wie hat das Internet Ihr Leben und die Welt verändert?

Dieter Hildebrandt: Meines nicht. Das Leben meiner Frau schon, und insofern auch unser Leben. Ich selbst habe bis jetzt einfach keine Zeit gehabt, mich damit zu befassen, ich war ja die ganze Zeit unterwegs. Aber natürlich ist das Internet eine völlige Veränderung unserer medialen Verhältnisse, eine Revolution. Es sind Revolutionen daraus entstanden, es wird mehr daraus entstehen. Die Menschen reden mit, was nicht unbedingt immer zur Lösung eines Problems beiträgt. Es wird viel durcheinandergequatscht und es kommt viel Blödsinn in die Welt. Aber immerhin: Es ist sowas Ähnliches wie eine Volksbeteiligung geworden.

BR.de: Früher haben Sie sich ja mit der Morgenzeitung in der Hand für den nächsten Abend munitioniert. Lesen Sie die Zeitung auch als Satirequelle, wenn Sie nicht auf der Bühne stehen?

Dieter Hildebrandt: Natürlich. Wenn, wie heute morgen, ein Herr Dobrindt von der CSU eine Konkurrenzpartei verbieten lassen will ...

Ich bin Zeitungsleser, und zwar ein sehr emsiger Zeitungsleser. Wissen Sie, es ist einfach so: Ich habe das vor mir, ich kann's wegwerfen, ich kann's aber auch behalten, ich kann's ausschneiden, ich kann's mir unterstreichen, ich kann's nochmal lesen, ich kann's fünfmal lesen, wenn ich's nicht begreife. Internet ist unsinnlich, das riecht ein bisschen nach Auto. Man lässt das einmal abrollen, und dann verschwindet's im Intermüll.


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