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Passionsspiele Oberammergau Weiter im Text

Erst Rosner, dann Daisenberger, jetzt Stückl: Die Oberammergauer Passion hat viele Väter. Die Textversionen für die weltberühmten Inszenierungen spiegelten die Moden der Zeit und politischen Umstände wider. Neben Pomp und Knüttelversen gab es auch antisemitische Anklänge.

Stand: 09.11.2011 | Archiv

In der Jahrhunderte alten Tradition wurde das Anti-Pest-Gelübde aus dem Dreißigjährigen Krieg immer wieder an die politischen Entwicklungen und das künstlerische Empfinden der Verantwortlichen angeglichen: Karnevaleske Knüttelverse gelangten ebenso auf die Bühne wie der Pomp italienischer Operetten.

Hitlers Pilatus

Die barocke Textgrundlage des Benediktinerpaters Ferdinand Rosner von 1750 wurde 1810 von einem realistischen Historiendrama seines Kollegen Othmar Weis abgelöst. Auf sie folgte 1860 die später scharf kritisierte Variante des Ortspfarrers Joseph Alois Daisenberger.

Wie das restliche Land erfasste das Dorf in den 1930er-Jahren der Geist des Nationalsozialismus. Und so durfte sich Adolf Hitler bei seinen viel beachteten Passionsbesuchen über einen "rassisch und intelligenzmäßig überlegen" inszenierten Pontius Pilatus freuen.

Zwar gingen die Verantwortlichen zwischen den Aufführungen von 1960 und 1970 die rassistischsten Passagen an: Aus Daisenbergers Text wurden "diese finstern Menschen" gestrichen; jüdische "Mörder" wurden zu "Feinden", "Bösewichter" zu "Irrlehrern" getrimmt. Der Vorwurf des Judenhasses aber hing den Oberammergauern weiter an. Wie viele Andere verweigerten sie sich einem wirklichen Neuanfang - zu groß war die Angst, ihre Passion könne zu einem Versuchskaninchen werden. In Wahlkämpfen und Bürgerentscheiden in den 1970er-Jahren sprachen sie sich mit überwältigender Mehrheit für einen Beibehalt von Daisenberger aus.

Rosner wagen - und zurück auf Null

Ausstellung | Bild: picture-alliance/dpa zur interaktiven Anwendung Oberammergau Vier Jahrhunderte Ringen mit der Passion

Jede Generation bringt ihre Passion auf die Bühne - seit bald 400 Jahren. Doch die Passionsspiele sind mehr als nur Volkstheater: Sie sind ein beständiges Ringen mit dem Text und um die Form, mit den Mächtigen und mit dem Dorf. [mehr]

Etliche Male rückte in der Nachkriegszeit Pater Rosners "Passio Nova" in den Mittelpunkt der Diskussion. Der Vorläufer der Daisenberger-Fassung wurde bis Anfang des 19. Jahrhunderts in Oberammergau gespielt und ist völlig frei von Antisemitismen. In den 1960er-Jahren erklärte sich Carl Orff bereit, Rosner zu vertonen. Passionsgremium und Gemeinderat stimmten dafür, die Proben schritten voran. Nach weiteren Querelen kam 1970 aber doch wieder die Daisenberger-Version zur Aufführung - inhaltlich kaum verändert und unter immensem öffentlichem Protest.

Neues Stückl

Es bedurfte schließlich eines Spielleiters wie des Münchner Volkstheater-Intendanten Christian Stückl, um Oberammergau auf einen politisch korrekten Weg zurückzuführen. Seit Ende der 80er bemühte sich der damals 25-Jährige um Reformen. Er polarisierte. Und hatte Erfolg: 2000 inszenierte Stückl die Passion vollkommen neu.


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