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Raubzug Das Einmaleins für Maibaum-Strategen

Etwa ab Ende März bis Ende April herrscht Krieg zwischen vielen Gemeinden in Bayern. Natürlich nur zum Spaß: Wenn sie die begehrten Maibäume dem Nachbardorf abluchsen wollen, verwandeln sich die Burschen in gewitzte Tüftler, Strategen und Diebe. Wie der Maibaumklau gelingt – und wie man ihn verhindert.

Von: Henry Lai

Stand: 10.04.2015 | Archiv

Nach einem erfolgreichen Raubzug freuen sich die Burschen über den gestohlenen Maibaum. | Bild: picture-alliance/dpa

Der Weg vom Baumversteck im Nachbardorf bis zur Gemeindegrenze ist lang, nicht nur an den Kilometern gemessen. Baum finden, Wachen observieren, Diebstahl planen, Komplizen zusammentrommeln. Das alles muss geplant sein, wenn der Maibaumklau gelingen soll. Wie das geht und wie sich im Gegenzug die Maibaumwächter auf den Raubzug vorbereiten können, erfahren Sie in unserer – nicht ganz ernst gemeinten – Anleitung.

Planungsphase

Stehlen

Idee und Wille sind da. Fehlt noch der Baum. Um den zu finden, durchforsten die Diebe das Internet und die lokalen Zeitungen, denn oft wird die Neuanschaffung öffentlich verkündet. Das genaue Versteck zu finden ist dagegen schon schwieriger. Neben nächtlichen Streifzügen durch die Nachbargemeinden und einer Menge Ortskenntnis braucht es vor allem eine Portion Glück. Der Profi beginnt deshalb früh mit der Suche. Am besten schon ab Ende März Ausschau halten.

Bewachen

Der Baum ist da und liegt sicher in seinem Versteck. Das ist hoffentlich uneinsehbar und abgesperrt. Aber auch ein Schloss ersetzt keine Wächter. Allzuviele Fluchtwege sollte es auch nicht geben. Die Maibaumwächter stehen etwa ab Anfang April Schmiere und wissen, was sie zu tun haben: Warten, warten, warten. Wenn es geht, auch Tag und Nacht im Schichtbetrieb.

Abends

Stehlen

Wenn es dunkler wird, treten die Spione auf den Plan. Die fahren von Dorf zu Dorf und kundschaften die bekannten Verstecke aus. Welcher Baum wird kaum bewacht? Wann kommt die Ablöse? Wie kommt man an den Baum ran? Ein Tipp für ganz Gewiefte: Ein Auto mit einem fremden Nummernschild, das im Dorf immer wieder rauf- und runterfährt, fällt weniger auf als ein einheimisches Fahrzeug.

Bewachen

Die Abenddämmerung legt sich über das Maibaumversteck. Die Wächter sind hochmotiviert und konzentriert. Um die Motivation zu halten, empfehlen sich Spiele wie etwa Schafkopf. Wenn es der Platz erlaubt, wird ein Feuer angezündet, um das sich die Wächter scharen können. Das Feuer wärmt und setzt ein Zeichen: Wir warten auf auf euch, ihr Diebe.

Nachts

Stehlen

Es wird spannend für die Diebe. Während der Spähtrupp die Wächter ganz genau im Auge behält, warten die Burschen daheim auf das Signal zum Ausrücken. Jetzt ist Geduld gefragt. Wenn der Vorposten eine Chance zum Zuschlagen wittert, wird der ganze Trupp per Handy zusammengetrommelt. Lautstärkereguliert natürlich.

Bewachen

Die Motivation ist zwar noch da, aber die ersten Wächter schwächeln schon. Die Lider werden schwer und die Flamme des Lagerfeuers verschwimmt zu einer grell leuchtenden Fläche. Abhilfe schaffen beispielsweise Koffein oder Energy-Drinks – aber immer schön in Maßen. Immerhin ist das alles nur ein Spaß, aufputschen muss sich hier keiner.

Im Morgengrauen

Stehlen

Es ist jetzt zwischen 3.00 Uhr und 4.00 Uhr morgens. Die kritische Phase für die Diebe beginnt, weil jetzt auch die kritische Phase der Wachen beginnt. Die Wächter werden naturgemäß müde, so dass sich einige vielleicht schlafen legen oder abgelöst werden. Wenn sich die Chance ergibt, schleichen die Diebe mit Baumwagen und Spanngurten zum Baum. Leise hieven sie das Holz auf den Wagen und stehlen sich samt Beute wieder aus der Gefahrenzone. Wenn der Baum über die Gemeindegrenze geschoben wird, gilt er als erfolgreich stibitzt.

Bewachen

Okay, jetzt wird das Bewachen langsam wirklich langweilig. Die Getränke sind aus, die Spiele öde und die Augen richtig schwer. Das ist die kritische Phase für die Wächter, denn gerade jetzt lauern die Diebe auf Unaufmerksamkeiten. Bei der Stange bleiben lautet jetzt das oberste Gebot. Wer unbedingt schlafen muss, sollte es sich wenigstens direkt neben oder auf dem Baum gemütlich machen. Den wichtigsten Satz bringt man auch im Halbschlaf raus: "Der Baum bleibt da!"

Der Tag danach

Stehlen

Die Diebe können sich jetzt entspannen. Das Wichtigste ist geschafft, der Baum gehört ihnen und ist gut versteckt. Jetzt können sie entweder darauf warten, dass sich die Beklauten bei ihnen melden oder die Sache selbst in die Hand nehmen.

Bewachen

Wie der Tag danach verläuft, hängt davon ab, wie der Tag davor war. Ist der Baum noch an seinem Platz, ist alles in Ordnung. Ist der Baum weg, ist Verhandlungsgeschick gefragt. Denn um den begehrten Maibaum wieder zurückzubekommen, wird meist eine Ablöse in Form von Bier und Brotzeit verlangt. Wie viel abgedrückt werden muss, wird erst mit den Dieben verhandelt.

Jetzt mal im Ernst

Auch wenn das Maibaumstehlen in erster Linie ein Spaß ist – so wie die obige Anleitung für Diebe und Wächter – so gibt es trotzdem ein paar Regeln, um den reibungslosen Ablauf der Diebeszüge zu gewährleisten. Diese Regeln zu befolgen, ist natürlich Ehrensache.

Die Regeln

  • Der Wald ist tabu: Auch wenn meist bekannt ist, welcher Baum im Wald als "Traditionsstangerl" gewählt wurde, darf er niemals von den Maibaum-Dieben gefällt werden. Das ist Holzdiebstahl und der wird auch geahndet. Erst wenn sich der Maibaum in der Ortschaft befindet, dürfen List und Tücke walten.
  • Den Stamm darf man mopsen: Der entastete Stamm gilt als ehrenhafte Beute. Der Maibaumschmuck – und damit Zunftzeichen, Bänder und Kränze – sind tabu.
  • Sägen verboten: Böswillige Scherze, wie etwa das Zersägen des Baumstamms, sind grundsätzlich frevelhaft. Die Raffinesse der Diebe sollte siegen, nicht die mutwillige Beschädigung.
  • Freund und Feind unterscheiden: Im eigenen Ort den Maibaum entwenden? Das kommt erst gar nicht in Frage! Die Beute ist grundsätzlich außerhalb der Gemeindegrenzen zu suchen.
  • Nur Memmen gehen zur Polizei: Wer Ordnungshüter oder Staatsanwälte bemüht, der schneidet sich wohl ins eigene Fleisch. Das Jammern bei den Offiziellen gilt als unehrenhaft. Indes drücken die Beamten beim Traditionsdiebstahl sowieso ein Auge zu.
  • Auf frischer Tat ertappt: Es bedarf schon so mancher Tricks und Kniffe, um mit dem Maibaum, der oft mehr als 30 Meter misst, nicht erwischt zu werden. Grundsätzlich aber gilt: Wer mit der Beute innerhalb der Gemeindegrenze ertappt wird, der hat Pech gehabt. Die vermeintliche Trophäe muss wieder abgegeben werden.
  • Was steht, das steht: Ein aufgestellter Maibaum darf auf keinen Fall mehr entwendet werden.
  • Bier und Brotzeit als Auslöse: Ein paar Fässer Bier und eine Brotzeit gelten gemeinhin als Lösegeld. Erst wenn dies bezahlt ist, wird der Maibaum wieder zurück gegeben. Sollten sich die Bestohlenen aber weigern, den Obolus zu entrichten, dann wird die Beute als Schandmaie neben dem eigenen Maibaum errichtet. Welch' Schmach!

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