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Aschura Schiitischer Trauertag, sunnitischer Fasttag

Aschura ist kein für alle Muslime verbindlicher Feiertag. Je nach Konfessionszugehörigkeit wird er sehr unterschiedlich und sogar an verschiedenen Tagen begangen: Während die Türken eine Süßspeise zum Gedenken an Noah kochen, geißeln sich in Bangladesch oder Pakistan Männer selbst, bis das Blut rinnt - und mit Noah hat das Ganze bei ihnen auch nichts zu tun, sondern mit dem Prophetenenkel Husain.

Stand: 23.11.2012 | Archiv

Muslimische Mädchen feiern das Aschura-Fest | Bild: picture-alliance/dpa

20 September

Donnerstag, 20. September 2018

Termin:

Aschura (von arabisch "zehn" = aschara) wird am 10. al-Muharram gefeiert, also 10 Tage nach dem islamischen Neujahr. Der islamische Kalender ist ein reiner Mondkalender; das Jahr ist im Vergleich zur christlichen Zeitrechnung 11 Tage kürzer. Aschura kann dadurch in jeder Jahreszeit stattfinden.

Die Bilder, die an Aschura durch die Presse gehen, sind oft recht grausam: Blutüberströmte Menschen, die sich selbst den nackten Rücken geißeln oder mit einem scharfen Schwert eine Wunde in der Stirngegend schlagen. Diese - in vielen Ländern verbotenen - Riten gehören zu den Passionsspielen, die schiitische Muslime zu Ehren der Schlacht von Kerbela (im heutigen Irak) abhalten. Husain, Enkel Mohammeds, den die Schiiten im Gegensatz zu den Sunniten als rechtmäßigen Nachfolger des Propheten betrachten, wurde bei der Schlacht getötet.

Die Schlacht von Kerbela:

Aschura-Prozession in der zentralirakischen Stadt Kerbela

Die Schlacht von Kerbela, die die endgültige Trennung von Sunniten und Schiiten besiegelte, fand nach islamischem Kalender am 10. des Monats Muharram 61 (nach christlicher Zeitrechnung im Jahr 680) statt.

Bei der Schlacht wurde - als Folge eines Aufstands - nahezu die gesamte Führerschaft der Schiiten, darunter Husain (auch: Hussein oder türkisch Hüseyin geschrieben), Enkel des Propheten Mohammed, getötet. Für Schiiten ist Husain seitdem ein Märtyrer. Er steht für den Kampf um Gerechtigkeit. Die Schiiten haben deshalb auch ein besonderes Verhältnis zum Märtyrertum.

Schiiten: Prozessionen und Passionsspiele

Aschura ist der wichtigste schiitische Feiertag; er ist als Tag der Trauer dem Gedenken an den Märtyrertod des Mohammed-Enkels Husain gewidmet.

Elemente der schiitischen Aschura-Feier:

Selbstgeißelungen während der schiitischen Passionsfeiern

Prozessionen
Passionsspiele
Erzählungen und Ansprachen
Bezeugung öffentlicher Trauer und Buße (Klagen, Weinen, Selbstgeißelungen, Schlagen mit der flachen Hand auf die Brust, Frauen tragen dunkle Kleidung und keinen Schmuck)
Wallfahrt nach Kerbela zu Husains Grabmoschee

Passionsspiele | Bild: picture-alliance/dpa

Passionsspiele an Aschura

In schiitischen Ländern (Irak, Iran) gipfeln die Feierlichkeiten, die schon Tage vorher beginnen, am 10. des Monats Muharram in Prozessionen, Gesängen und Passionsspielen, bei denen vor allem die Leiden von Husain vorgetragen werden. Besonders bekannt für ihre Passionsspiele sind neben Kerbela und Nadjak im Irak auch der Iran und der indische Subkontinent.

Islamische Konfessionen

Muslime

Muslime haben in Deutschland 4% Anteil an der Gesamtbevölkerung; der Großteil der hier lebenden Muslime stammt aus der Türkei, des weiteren aus Bosnien und Herzegowina, Iran, Marokko und Afghanistan. Der Islam geht zurück auf Mohammed (570 - 632) und seine Offenbarungen. Auf der ganzen Welt gibt es heute etwa eineinhalb Milliarden Muslime, damit ist der Islam weltweit die zweitgrößte Religion nach dem Christentum. Wie dieses unterteilt sich auch der Islam in verschiedene Richtungen; die beiden größten Gruppen bilden die Sunniten und die Schiiten.

Sunniten

Die größte Glaubensrichtung im Islam sind mit etwa 85 bis 90% die Sunniten. In den meisten islamischen Ländern bilden sie die Mehrheit. Die Sunniten teilen sich in mehrere Rechtsschulen auf, wie z.B. die Hanbaliten in Bangladesch, Pakistan, Indien, Afghanistan und der Türkei. Von den in Deutschland lebenden Muslimen werden 80% zu den Sunniten gerechnet.

Schiiten

Nach Mohammeds Tod entbrannte ein Streit über die rechtmäßige Nachfolge. Die Schiiten erkennen im Gegensatz zu den Sunniten nur Ali, den Schwiegersohn des Propheten, als legitimen Nachfolger an. In den meisten islamischen Ländern sind die Schiiten in der Minderheit (oder sogar verboten); im Irak und Iran bilden sie hingegen die Mehrheit. Mit etwa 15% sind die Schiiten weltweit die zweitgrößte Glaubensrichtung des Islam. Von den in Deutschland lebenden Muslimen werden allerdings nur 3% zu den Schiiten gezählt.

Aleviten

In Deutschland gibt es eine verhältnismäßig große alevitische Gemeinde: über eine halbe Million bzw. 17% der in Deutschland lebenden Muslime sind türkische und kurdische Aleviten. Die in Anatolien (Türkei) entstandene Religionsgemeinschaft hat sich aus dem schiitischen Islam entwickelt, zählt sich selbst aber nicht zu den Schiiten. Manche Aleviten diskutieren sogar eine Loslösung vom Islam. Aleviten haben keine Moscheen, die Frauen sind relativ gleichberechtigt; Brauchtum wie Musik und Tanz spielen eine große Rolle; Fastenzeiten, die Pilgerfahrt nach Mekka oder das Freitagsgebet sind nicht verpflichtend.

Sonstige

Daneben gibt es noch weitere Gruppen, etwa die Ibaditen in Oman oder die Sufis bzw. Derwische, bei denen die mystische Seite des Islam eine große Rolle spielt.

Sunniten: Freiwilliger Fasttag

Für die Mehrheit der Muslime, die Sunniten, ist Aschura ein fakultativer Fasttag. Moses soll am 10. Muharram gefastet haben, aus Dankbarkeit, dass den Israeliten die Flucht aus Ägypten gelungen war. Mohammed selbst hat den Tag als Fasttag eingesetzt - wahrscheinlich parallel zum jüdischen Jom Kippur. Als später der Fastenmonat Ramadan verbindlich wurde, verlor das Fasten an Aschura an Bedeutung.

Überlieferungen und Legenden:

Am 10. Muharram sollen eine Reihe von Ereignissen stattgefunden haben, unter anderem:

  • die Schlacht von Kerbela
  • die Errettung der Arche Noah
  • die Errettung der Israeliten vor der Armee des ägyptischen Pharao
  • die Errettung Abrahams, als er von Nimrod ins Feuer geworfen worden war

Aleviten: Fasten im Muharrem

Bei dem in Anatolien entstandenen Alevitentum ist das Fasten vom 1. bis zum 13. des Monats Muharrem (wie er auf Türkisch heißt) verbreitet; im Ramadan müssen Aleviten dagegen nicht fasten. Wie die Schiiten betrauern die Aleviten die Tötung Hüseyins, Selbstgeißelungen lehnen die Aleviten allerdings ab. Am 13. Tag - also einige Tage nach dem Aschura-Tag der Schiiten - wird eine Art süße Suppe, unter anderem aus verschiedenen Getreidesorten, gekocht ("Asure Corbasi").

Türken: Die Arche Noah und die Süßspeise Aschure

Hier am Berg Ararat soll die Arche Noah gestrandet sein.

Aschure erinnert auch nicht-alevitische Türken zunächst an eine Süßspeise. Der Anlass ist allerdings ein anderer: Sie feiern am 10. Muharrem das Fest der Errettung der Arche Noah. Denn die Arche ist, so berichtet die Bibel, im Gebiet der heutigen Türkei am Berg Ararat gestrandet. Nach der Rettung kochten Noah und seine Familie ein Festessen aus den Lebensmittelresten. Darum bereitet man in der Türkei am 10. Muharrem eine spezielle Süßspeise - und zwar in großen Mengen, denn auch Nachbarn und Freunde sollen etwas abbekommen. Traditionell besteht "Aschure" aus 40 Zutaten, unter anderem Weizen, Bohnen, Erbsen, Reis, getrockneten Früchten, Nüssen, Gewürzen und Granatapfel. Es darf aber auch etwas weniger sein: Man sagt, dass Aschure mindestens sieben Zutaten enthalten und an mindestens sieben Freunde verteilt werden muss.


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