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Folge 10 Wirkungen und Probleme der Mediennutzung

Unser Gehirn kann gleichzeitig mehrere Informationen verarbeiten. Wie wirkt sich das auf die Mediennutzung aus? Wie verarbeitet unser Gehirn Medieninhalte? Ab wann beginnt eine Sucht oder eine höhere Gewaltbereitschaft?

Stand: 08.11.2011 | Archiv

Frau schaut TV | Bild: picture-alliance/dpa

Da wir alle schließlich mehr sind als bloße Medienrezipienten, lässt sich kaum exakt fassen, was an uns, welches Tun, Sinnen und Trachten, auf die Wirkung von Medien zurückgeht. Am exaktesten sind da noch die Ergebnisse der Gehirnforschung, die untersucht, wie wir welche Medienreize aufnehmen, verarbeiten und behalten. Wir lesen Bücher, hören Radio und sehen fern. Das Gehirn übersetzt all diese Reize, die unsere Sinnesorgane aus den Massenmedien aufnehmen, in Nervenimpulse. Was passiert dabei in unserem Gehirn, welche Gehirnfunktionen werden wobei beansprucht?
"Beim Lesen muss man zwei Formen unterscheiden, Sinnlesen – also eine Bedeutung erfassen und, wenn ich einen Roman lese, ein Bild zu generieren, also ein Bild mit Phantasie zu produzieren; da wird die rechte Gehirnhälfte aktiv. Lesen ist ein viel komplexerer Vorgang als Radio hören oder Fernsehen. Sehr viel mehr Zentren im Gehirn sind beteiligt. Beim Radiohören ist ja nur eine sprachliche Kommunikation simuliert und beim Fernsehen ist es dann der visuelle Kanal, wo mir etwas vorgesetzt wird, die Bilder wurden gemacht." So Professor Dr. Ernst Pöppel, Hirnforscher am Institut für Medizinische Psychologie (IMP) der Universität München.

Die Informationen werden beim Lesen von dem primären Seh-Wahrnehmungsfeld, das im hinteren Gehirnteil liegt, zu anderen Hirnregionen weitergeleitet, zu Assoziationsfeldern. In ihnen werden die Informationen sozusagen verarbeitet und ausgewertet. Es gibt z. B. ein Feld, das für Farb- und Formerkennen, und eines, das für das Erkennen von Gesichtern zuständig ist. Wie für das Sehen, so haben wir auch jeweils für das Hören, Tasten, Riechen und Schmecken primäre Wahrnehmungsfelder. Dadurch, dass unser Gehirn gleichzeitig mehrere Informationen verarbeiten kann, ist es dem "Gehirn" eines Computers haushoch überlegen und dementsprechend komplex in seinen Funktionen: In dem gesamten Netz von rund 100 Milliarden Nervenzellen, den Neuronen, sind viele Gehirnregionen und -funktionen daran beteiligt, dass die Impulse aus den primären Wahrnehmungsfeldern weitergeleitet und verarbeitet werden können: Zunächst das Rückenmark, das Nachhirn und die Brücke. Diese bildet mit dem Mittelhirn den so genannten Hirnstamm. Ferner das Zwischenhirn, die Schaltstelle für Sinnesinformationen, wo die Reize aus dem Großhirn weiterverarbeitet werden. Und schließlich der so genannte Balken, der unsere beiden Hirnhälften miteinander verbindet. Unser Sprachsinn und unser Sprachvermögen ist in der linken Hirnhälfte lokalisiert, während sich in der rechten der Orientierungssinn und das Erinnerungsvermögen, z.B. für Stimmen und Gesichter, befindet.

Was bleibt länger im Gedächtnis?

Wissenschaftler haben herausgefunden, dass wir am besten behalten, was wir gelesen haben. Am schlechtesten sieht es mit unserer Erinnerung an Fernsehsendungen aus: Eine Studie ergab, dass wir uns von den Nachrichten im Schnitt nur die ersten beiden Meldungen und dann den Schluss, den Wetterbericht merken.
"Der Unterschied liegt darin, dass wir beim Lesen aktiv sind und beim Radiohören und Fernsehen passiv sind, und das ist eine der wesentlichen Erkenntnisse der Lerntheorie. Aktivität ist entscheidend für die Behaltensleistung. Hinzu kommt die stärkere Konzentration beim Lesen. Ich muss mich viel stärker mit einem Sachverhalt beschäftigen, übrigens nicht alles beim Lesen behalte ich. Es ist nur behaltenswert, wenn es meine Emotionalität anspricht, wenn es für mich etwas bedeutet", so Professor Pöppel.

Neben dem Gefühlswert spielen auch Geschlecht und individuelle Veranlagung eine Rolle bei der Auffassungs- und Erinnerungsgabe von Informationen. Manche Menschen erfassen und behalten alles eher durch Bilder, andere prägen sich etwas am besten ein, wenn sie es hören und wieder andere, wenn sie es begreifen – im wahrsten Sinne des Wortes: an- und umfassen.

Medien und Gewalt

Fördern Computerspiele die Gewaltbereitschaft?

Hat die steigende Gewaltbereitschaft von Jugendlichen mit unseren Medien zu tun? Mit den unzähligen Fernsehkrimis, Gewaltvideos und brutalen Computerspielen? Diese so brisante wie schwer zu beantwortende Frage treibt Eltern, Pädagogen, Politiker und Soziologen zwar schon lange um. Virulent und zum heißen Diskussionsstoff wurde sie immer, wenn entsetzliche Massaker geschahen.

  • Am 20. April 1999 töteten zwei Jugendliche 12 Mitschüler und einen Lehrer der Columbia Highschool Littleton.
  • Am 9.November 1999 tötete in Meißen ein Schüler mit 22 Messerstechern seine Lehrerin.
  • In Brannenburg (Oberbayern) erschoss am 16. März 2000 ein Schüler seinen Lehrer und danach sich selbst.

Dachte man dabei bisher vor allem an die USA als den Ort jugendlicher Gewaltverbrechen, so holte uns in Deutschland spätestens im Jahr 2002 die furchtbare Realität ein:

  • Am 26. April 2002 tötete ein Schüler in Erfurt 12 Lehrer, zwei Mitschüler, eine Sekretärin und einen Polizisten, bevor er sich am Ende selbst erschoss.

Er hatte vor seiner Tat monatelang das Videospiel Counterstrike gespielt. Der Zusammenhang mit dem Amoklauf war offensichtlich. Eine so hitzige wie ohnmächtige Debatte entbrannte in den Wochen und Monaten danach. Die Suchmaschine Google listete allein für die Stichwörter "Erfurt" und "Massaker" im August 2002 fast 4.000 Links. Konkrete Folgen hatte die tiefe Betroffenheit nicht. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften sah sich nach eingehender Prüfung nicht einmal in der Lage, das so genannte Killer-Spiel zu indizieren, weil es den objektiven Kriterien für ein solches Verbot nicht genüge. Gewaltbereitschaft durch Medienkonsum?

  • Am 11. März 2009 findet erneut ein schrecklicher Amoklauf an einer Schule statt: Tatort Winnenden an der Albertville Realschule. Ein 17 Jähriger tötet neun Jugendliche, drei Lehrerinnen und drei Passanten, anschließend bringt er sich selbst mit einem Kopfschuß um.

Tausende von wissenschaftlichen Untersuchungen beschäftigen sich mit der Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen Medien und Gewalt gibt. Doch eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Dennoch neigt heute eine Mehrheit der Medienwissenschaftler zu der Ansicht, Gewaltdarstellungen fördere die Aggressionsbereitschaft. Immer weniger teilen die Katharsis-These, dass nämlich die mediale Gewalt die Aggressionen der Zuschauer eher ableite und kanalisiere, also reale Gewalt eher verhindere als befördere. Sichere Aussagen wagen die wenigsten seriösen Fachleute. Die Gewaltbereitschaft von Jugendlichen lässt sich eben nicht monokausal auf Medienkonsum zurückführen. Das zeigt die Ohnmacht der Betroffenen sowie von Politikern und Pädagogen genauso wie die Unentschiedenheit der wissenschaftlichen Forschung. Soziales Umfeld, individuelle psychische Konflikte, allgemeine Zukunftschancen und -ängste, gesellschaftliche Werthaltungen, Angebote zur Sinnfindung: All das prägt Jugendliche mindestens genauso wie Medienkonsum.

Eine weltweite Studie der UNESCO sieht keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Gewaltbereitschaft und Medien:
"Unter bestimmten Umständen können Medien Gewalttätigkeit nach sich ziehen. Immer dann, wenn am Modell gelernt wird, wenn die Identifikation mit diesen so genannten Aggressoren in dem jeweiligen Film stattfindet, kann es durchaus sein, dass Gewalt einen Nachahmungseffekt nach sich zieht. Das kann, aber das muss nicht sein. In der überwiegenden Zahl der Fälle ist es glücklicherweise nicht der Fall. Aber immer da, wo im Alltag Gewalt zu einem festen Bestandteil geworden ist, ist die Gefahr hoch, dass Kinder aus diesem Milieu Gewalt auch tatsächlich nachahmungsmäßig anwenden." So Thomas Krug, Jugendbeauftragter des Landratsamtes München über die Ergebnisse der UNESCO-Studie.

Ausschlaggebend für die Nachahmungsbereitschaft von Gewalt ist hiernach das soziale Umfeld der Kinder. Dabei fängt Gewalt schon beim Umgangston, nicht erst bei den Umgangsformen an: Wo verbale Gewalt angewendet wird, sei dies per Handy oder direkt, wo Mobbing und wo Ausdrücke aus dem Fäkalienbereich Usus sind, da ist körperliche Gewalt nicht fern. Das Internet ist eine weitere Nachahmungsquelle für Gewalt: rassistische volksverhetzende Inhalte, Gewaltdarstellungen, "Pornographie in allen Variationen und Abartigkeiten".
"Also im Internet finden wir all die Dinge, von denen der Jugendschutz und die Jugendschutzbestimmungen primär berührt werden", so Rainer Richard, Internetsheriff bei der Kripo.

Mediensucht

So schwer messbar und dingfest zu machen die Wirkung der Medien ist, bemerkbar macht sie sich da, wo Menschen gar nicht mehr von ihnen lassen können, wo Entzugserscheinungen auftreten. Was bedeutet Fernsehsucht?
"Wir kennen extreme Fälle von Menschen, die fahren in den Urlaub und bitten ihre Mutter, dass sie die Serie aufnimmt für 14 Tage und nehmen sich dann ein Wochenende, um 30 Stunden am Stück die Serie abzuschauen. Als ob sie getrieben wären, da dabei sein zu müssen. Und dieses ‚Muss’ ist ein Kennzeichen dieser Sucht", so der Diplom-Psychologe Dr. Stefan Lermer.

Ein TV-Junkie, eine fernsehsüchtige junge Frau beschreibt die typischen Probleme der Süchtigen, die zwar wissen, wie schädlich ist, was sie machen, aber nicht davon ablassen können:
"Alle zwischenmenschlichen Beziehungen sind schon den Bach runtergegangen, weil ich nur noch fernsehen will ... Ich weiß gar nicht, wie ich aus diesem Kreislauf wieder herauskommen soll".

Da helfen nur Selbstkontrolle und Selbstbestimmung: selbst auferlegte Fernsehabstinenz mindestens ein Mal pro Woche und die gezielte Auswahl der Sendungen, die man wirklich sehen will.

Wann beginnt eine Internetsucht?

Viele Menschen verbringen weite Teile ihrer Freizeit vor dem Bildschirm. Statt direkt mit anderen Menschen zu sprechen, begeben sie sich in Chatrooms, oder sozialen Netzwerken, sogenannte communitys, wie facebook, my space oder twitter. Statt mit anderen zu spielen oder etwas zu unternehmen, leben sie ihre Spiel- und sonstigen Triebe mit Computerspielen und den Pornographieseiten im Netz aus. Zu Letzterem tendieren eher Männer, zu Ersterem – dem Chatten – die Frauen. Ein Internetsüchtiger bekennt:
"Man fängt also an zu spielen, lädt das Spiel hoch, steigt ein, ist interessiert. Man bleibt dann auch 17 Stunden am Stück – war mein Maximum – drin. Man ignoriert in der Zeit die anderen Grundbedürfnisse wie Hunger und teilweise auch Durst und zockt halt einfach rum."

Übermäßige Internet-Nutzung führt zu Wirklichkeitsverlust, finanziellem Ruin und sozialer Isolation. Im Netz selbst wird schon das Gegengift gegen die Sucht angeboten: Der Verein "Hilfe zur Selbsthilfe für Online-Süchtige" H.S.O. kann als erste Anlaufstelle aufgesucht werden, sinnvoll therapiert wird dann aber eher offline. Der Reutlinger Diplom-Psychologe Friedrich Gocht erklärt, wie so etwas abläuft:
"Im Prinzip ist es so, dass man versucht, im Rahmen einer Therapie andere Aktivitäten zu besprechen, mithilfe derer jemand in der Lage ist, neue Lebensinhalte, neue Lebensziele aufzubauen und auf diese Weise eine Konkurrenz zu bilden zu der ständigen Beschäftigung mit dem Netz."


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