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Dramatische Texte Analyse und Interpretation dramatischer Texte

Hier erfährst du Schritt für Schritt, wie dramatische Texte fachgerecht rezipiert und analysiert werden. Die Vorgehensweise hilft dir bei einem Stück aus dem 18. Jahrhundert wie bei einem zeitgenössischen Stück.

Stand: 31.03.2015 | Archiv

Um ein Theaterstück zu analysieren, solltest du es auf jeden Fall komplett gelesen haben. Nur dann kannst du zum Beispiel auch erkennen, ob eine Inszenierung auf der Bühne sich an die originale Fassung hält oder verändert wurde. Die einzelnen Schritte, die immer komplexer werden, um ein Stück fachgerecht zu analysieren und interpretieren, sind folgende:

1. Dramatische Texte analysieren
2. Dramatische Texte analysieren und interpretieren
3. Dramatische Texte unter Einbeziehung von Hintergrundinformationen analysieren und interpretieren
4. Dramatische Texte unter Einbeziehung dramentheoretischer Aspekte analysieren und interpretieren

1. Schritt: Dramatische Texte analysieren – erste Schritte

Schon vor der Lektüre solltest du dir bewusst machen, um welchen Typus von Drama beziehungsweise dramatischen Text es sich handelt. Eine Tragödie? Eine Komödie? Ein bürgerliches Trauerspiel? Die nachfolgende Grafik zeigt die Grundformen und einzelne Ausprägungen im Überblick.

Übersicht

Tipps zum Dramentypus

Wo kann ich im Dramentext Hinweise auf den Dramentyp finden?

Tipps zum Dramentypus - Hinweise ...

1. ... im Untertitel

Oft verweist der Untertitel auf den Dramentyp. Beispiel "Kabale und Liebe (Titel) – ein bürgerliches Trauerspiel (Untertitel)". So solltest du dir beim Blick auf das Titelblatt folgende Fragen stellen:
- Welche Rückschlüsse lassen sich aus Titel und Untertitel auf die Dramenform ziehen?
- Welchen Inhalt erwartest du vor diesem Hintergrund?
Informiere dich über den Inhalt des Dramas und überprüfe, inwiefern die im Titel angekündigte Dramenform zum Inhalt des Dramas passt.

2. ... im Personenverzeichnis

Wichtige Informationen zum Dramentyp kann das Verzeichnis der Personen, der dramatis personae liefern, sofern es eines gibt.
Als Beispiel hier das Personenverzeichnis zu dem klassischen antiken Drama "Antigone" des griechischen Dichters Sophokles. Das Personenverzeichnis macht deutlich, dass das Drama ganz im Sinne der klassischen aristotelischen Dramentheorie gestaltet ist, denn die Hauptfiguren bestehen nur aus Mitgliedern der Königsfamilie oder des Adels. Zudem gibt es, wie im klassischen antiken Drama üblich, einen Chor.
Sophokles, "Antigone" (442 v.Chr.)
Personen
Antigone, Tochter und Schwester von Ödipus, Tochter und Enkelin von Iokaste
Ismene, Antigones Schwester
Kreon, König von Theben, Antigones Onkel, Bruder von Iokaste
Haimon, Antigones Verlobter, Sohn von Kreon und Eurydike
Teiresias, Seher
Eurydike, Kreons Frau
Wächter
Erster Bote
Zweiter Bote
Chor
, die Ältesten der Stadt Theben, 15 Männer, darunter ein Chorführer

3. ... aus dem Handlungsgeschehen

Deutliche Hinweise zum Dramentyp liefert natürlich der Handlungsverlauf. Dabei kann man sich auch am Modell nach Gustav Freytag orientieren. Wenn du vor diesem Hintergrund einen Blick auf Friedrich Schillers "Kabale und Liebe" wirfst, wird schnell klar, dass sich die im Titel angekündigte Tragödie im Handlungsverlauf bestätigt. Im 1. Akt erfolgt die Exposition, also eine Einführung. Im 2. Akt folgt das erregende Moment, im 3. Akt der Höhepunkt, ehe im 4. Akt die Tragödie ihren Verlauf nimmt, um im 5. Akt in der Katastrophe zu münden.

4. ... aus der Form

Auch die Form beziehungsweise der Dramenaufbau liefern deutliche Hinweise zum Dramentyp. Sie hängen zumeist mit der Epoche zusammen, in der ein Stück entstanden ist. Du kannst dir zum Verständnis das Modell von Volker Klotz ansehen, der zwei Grundformen unterscheidet: die auf Aristoteles zurückgehende geschlossene und die offene Form des Theaters, die als nicht-aristotelisches Theater bezeichnet wird und durch das epische Theater wichtige Impulse bekommen hat.


Manchmal ist es aber auch nicht so einfach, den spezifischen Dramentypus zu bestimmen, weil im Untertitel keine entsprechenden Informationen mitgeliefert werden und auch das Personenverzeichnis in dieser Hinsicht nicht eindeutig ist. Dann sollte man die Frage einfach im Hinterkopf behalten und sie im Verlauf der Lektüre beziehungsweise beim Anschauen des Bühnenstücks oder der filmischen Aufzeichnung zu klären versuchen. Hinweise können sich hier aus dem Inhalt und der Form des Dramas ergeben.

2. Dramatische Texte analysieren und interpretieren - eine Dramenszene erarbeiten

Du kannst ein Drama oder eine Dramenszene auf zwei Wege angehen:

  1. Du beginnst unmittelbar mit der Lektüre und analysierst anschließend den Text. Dabei berücksichtigst du vor allem inhaltliche und formale Besonderheiten. Im Anschluss kannst du dann Kontext-Informationen einbeziehen, zum Beispiel Informationen zur Epoche, zum Autor, zur Motivgeschichte.
  2. Du verschaffst dir schon vor der intensiven und detaillierten Auseinandersetzung mit dem Drama beziehungsweise dem dramatischen Text Kontextinformationen zum Beispiel zur Epoche, zum Autor, zur Motivgeschichte. Der Vorteil dabei: Gerade bei einem älteren Text fällt es dir möglicherweise leichter dich auf Basis der Zusatzinformationen hineinzudenken. Der Nachteil: Du liest nicht mehr unvoreingenommen.

Aber egal auf welche Weise du an den Text herangehst: Um die inhaltlichen und formalen Besonderheiten einer Szene oder des gesamten Stücks zu verstehen, solltest du den Text intensiv lesen und hinter seine Oberfläche blicken.

Tipp

Dazu ist es hilfreich, wenn du wichtige Textstellen oder auffällige Worte unterstreichst oder farblich markierst. Wenn du dabei mit unterschiedlichen Farben oder Formen (z.B. glatter Strich, geschlängelt, gepunktet etc.) arbeitest, kannst du dir später die Interpretation sehr erleichtern.

Hast du beispielsweise wichtige Aussagen von zwei Dialogpartnern mit verschiedenen Farben markiert, kannst du später auf einen Blick sehen, wo zentrale Aussagen zu finden sind. Auch das Markieren von Fragen, Beobachtungen und Vermutungen zu Inhalt und Form können dir helfen, beim zweiten Lesen oder beim Interpretieren den tieferen Sinn des Textes bzw. Textausschnittes leichter zu erfassen.

3. Intertextuelle Bezüge eines dramatischen Textes zur Deutung nutzen

Jede Szene bzw. Passage eines dramatischen Textes steht nicht für sich allein, sondern ist eingebunden in die Gesamtheit des Dramas. Mit Blick auf dieses umfassendere Ganze erschließen sich oft erst die Tiefenschichten eines Textauszuges. Erkennst du diese 'intertextuellen Bezüge', kannst du sie zur Interpretation und zur Deutung nutzen.


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