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Nachgefragt Was braucht man zum literarischen Schreiben?

Genügen Talent und Phantasie um gute Geschichten zu schreiben? Ist, wie Hemingway meinte, eine unglückliche Kindheit die beste Voraussetzung für einen guten Schriftsteller? Was ist sind die Grundlagen literarischen Schreibens?

Stand: 19.01.2013 | Archiv

Brille liegt auf aufgeschlagene Bücher | Bild: picture-alliance/dpa

Ernst Hemingway meinte, eine unglückliche Kindheit sei die beste Voraussetzung für einen Schriftsteller. Wir sammeln hier ein paar andere Stimmen zu dieser Frage. So können zugleich noch ein paar (aber immer noch viel zu wenig) der Schriftsteller ins Spiel gebracht werden, die bislang noch nicht, oder nur zu kurz zu Wort kamen:

1. Welterfahrung

Wie nötig eine gewisse Weltläufigkeit ist und wie stark sie mit der Sprache zu tun hat, hat wohl keiner so am eigenen Leib erfahren und zu Wort gebracht, wie der Nobelpreisträger von 1978, Isaac B. Singer (1902 – 1991). Singer ist in einem polnischen Schtetl aufgewachsen, in dem die Zeit stehen geblieben schien. Wie viele seiner Schriftsteller-Kollegen bewegte er sich sprachlich allein im Jiddischen und Hebräischen, in Sprachen also, denen gerade "die Worte der täglichen Umgangssprache fehlten". Als Singer 1933 in die USA auswanderte, reagierte er auf die für ihn völlig fremde Welt New Yorks mit extremen Krisen und Schreibblockaden, bis er sich das zum Element machte, was er ganz genau kannte: Das Schtetl, die Welt der polnischen Juden in Warschau, und später das Sinnen und Trachten der emigrierten polnischen Juden in der modernen Weltmetropole New York. In seiner beeindruckenden Autobiografie „Verloren in Amerika“ heißt es:

"Das große Problem bestand also darin, daß man, um überzeugend die Menschen in der Welt zu schildern, diese Welt kennen mußte. Ich aber kannte nur einen kleinen Ausschnitt des jüdischen Warschau, Bilgoraj, und zwei oder drei andere kleine Städte. Ich kannte nur jiddischsprechende Juden. Und selbst damals wußte ich schon, daß ein Schriftsteller nur über Menschen und Dinge schreiben kann, die er gut kennt." (S.100)

2. Gefühl für Spannung – ein reales Faible für das pralle Leben und seine Konflikte

Noch einmal I.B. Singer, dessen Romane, z.B. Feinde, Geschichte einer Liebe, voller fesselnder, "echter Dilemmas" sind:

"Ich aber war von der Tatsache überzeugt, daß Spannung das Wesentliche ist im Leben wie in der Kunst. Beschreibung allein war nicht genug. Was notwendig war, das waren verzwickte Situationen und echte Dilemmas und Krisen. Ein Roman muß seinen Leser fesseln. In späteren Jahren verschmolzen die Spannungen meines Lebens und meines Schreibens so vollständig, daß ich oft nicht mehr wußte, wo eines begann und das andere aufhörte." (Singer S.150).

3. Leseerfahrung – Lesen, lesen, lesen

Der österreichische Schriftsteller Prof. Dr. Josef Haslinger (Jahrgang 1955) erzählt die Geschichte eines passionierten Schülers, der einen literarischen Schülerwettbewerb gewonnen hat und ihn nachher fragte, wie er zu einem echten Schriftsteller werden kann: "Was soll ich tun? fragte er. Schreiben, sagte ich. Schreiben und lesen. Und wenn dich etwas fasziniert, es so oft lesen, bis es dich nicht mehr fasziniert, weil du dahintergekommen bist, wie es gemacht ist." (Haslinger in: Die Zeit vom 19.10.2000)

Kaum einer verquickt im gegenwärtigen Literaturbetrieb so extrem in Personalunion das professionelle Lesen mit dem Selberschreiben wie Michael Krüger (geb. 1943). Der Verleger des Carl Hanser Verlags ist zugleich Dichter und Prosaautor und weiß ein Lied davon zu singen, wie sich die kontinuierliche Lektüre im eigenen Werk niederschlägt. Seine Texte, die er in Gedanken den ganzen Tag lang schreibt, realisiert er aber erst nach Geschäftsschluss des Verlags, versteht er als Spiegelung seiner "Bibliothek im Kopf".

Durch Lesen kann man gezielt die Inspiration steuern. Wie das geht, das verrät der Schriftsteller Thomas Meinecke (geb. 1955), der sich in seinen wahrhaft geistreichen Romanen auch nicht scheut, Unverdautes aus seinem Lektüreschatz wiederzugeben: Mit charmantem Understatement sagt er von seinen Werken, die den Zeitgeist eher protokollieren denn analysieren wollen: "Meine Bücher sind klüger als ich."

"Schreiben heißt für mich in erster Linie lesen, und dieses Lesen dann verschriftlichen – das ist eigentlich meine Idee beim Schreiben. Und so ist das auch eine alltägliche Art von Arbeit. Nicht auf Inspiration zu warten, sondern den Input selber steuern durch Lektüre." (Meinecke, zitiert nach ars poetica, eine Sendung auf BR-alpha)

4. Einen Blick für andere – Verständnis für potenzielle Leser

So einsam und zurückgezogen der Prozess des Schreibens sein muss, damit die nötige Konzentration da ist, so wenig förderlich ist es für den Schriftsteller, sich verlassen zu fühlen und sich solipsistisch einzuigeln. Schließlich ist das Schreiben eine Form der Kommunikation, des Verstehenwollens von Welt, das sich zugleich anderen zu verstehen gibt. Wie man das trainieren kann, erklärt Peter Härtling (geb. 1933), der dies vor allem durch seine Kinderbücher lernte:

"Wenn ich für Kinder schreibe, habe ich, was die Themen betrifft, dieselbe Schreibhaltung. Ich kann über alles schreiben: über Liebe, Angst und Hass. Nur muss ich es so tun, dass es nicht über ihre Köpfe hinweggeht. Ich kann nie abstrakt werden oder nur reflektieren. Das Schreiben für Kinder ist die tollste Übung, genau zu schreiben." (Härtling zitiert nach ars poetica, eine Sendung auf BR-alpha)

5. Ein Ohr für die Melodien und den Rhythmus der Sprache

Birgit Vanderbeke (Jahrgang 1956), die schon früh einen sehr eigenen literarischen Tonfall entwickelt hat, braucht ihr "Ohr" (siehe auch Zusammenfassung), sowohl beim Lesen und Beurteilen von Texten wie beim Schreiben. Das Schreiben bewegt sich bereits im Tempo der Sprachmelodie:

"Ich schreibe mit dem Ohr. Das Verfahren ist sehr einfach. Ich tippe sehr sehr schnell, 400 Anschläge die Minute oder mehr, das bedeutet, dass ich ohne Zwischenübermittlung durch die Hände blitzschnell das, was ich im Kopf hab, in den Computer kriege. Die Melodie, die ich im Kopf entwickle, geht ohne Reibungsverlust in die Tastatur. Alle drei, vier Seiten drucke ich das aus und lese es laut. Dann mach ich gleich die Veränderungen, wenn der Rhythmus hakt. Ich konzipiere meine Texte als Stimme."

6. Den passenden Tonfall von Anfang an

Den zu finden, ist gar nicht so leicht, wie Peter Härtling zu berichten weiß:

"Ich habe Angst vor Buchanfängen, sie sind eine Tortur, weil sie mit dem Anfang eines schaffen müssen: Sie müssen einen Tonfall finden. Jedes Buch, jedenfalls jedes meiner Bücher, hat eine bestimmte Tonfärbung, die auch die Erzählstruktur bewirkt, ob ein Buch beispielweise zweistimmig ist, wie der "Schumann". Dies ergibt sich durch den Anfang – deshalb sind Anfänge fürchterlich schwierig." (Härtling zitiert nach ars poetica)

7. Ein unglückliches Bewusstsein

Dies scheint das Erfolgsrezept von Arnold Stadler (geb. 1954) zu sein, dem Schriftsteller aus Heideggers Heimatstadt Meßkirch, der wie der Philosoph etwas übrig hat für die Provinz. Den Romanfiguren, die er entwirft, fehlt immer etwas: Sie sind krank, weil sie das Glück immer genau dort vermuten, wo sie nicht sind.

"Schreiben ist die Vorbereitung auf den Tod", sagt Stadler (zitiert nach ars poetica).

8. Das kritische Urteil von anderen, denen man traut

Wie leicht man sich verrennt, wenn man sich in ein Thema hineinsteigert und dabei zunehmend unfähig wird, das Ganze aus der Distanz und einer anderen als der eigenen Perspektive zu sehen, weiß jeder, der einmal länger und intensiver an einer Arbeit herumgedoktert hat. Keiner aber hat wohlwollende Kritik so nötig wie die angehenden Schriftsteller/innen. Prof. Dr. Josef Haslinger sagt in dem bereits zitierten Zeit-Artikel:

"Aus eigener Erfahrung wusste ich, dass man ein paar vertrauenswürdige Menschen braucht, die einem sagen, was an den eigenen Texten schlecht ist. Nur so kann man ein ästhetisches Feinempfinden und ein zielführendes literarisches Wollen entwickeln." (Haslinger in Die Zeit vom 19.10.2000)

Aus dieser Erfahrung heraus engagiert sich der österreichische Schriftsteller so für den Studiengang des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig, wo man im Hauptstudium darin ausgebildet wird, Prosa, Lyrik und Dramatik selber zu schreiben.

Haslingers Credo ist so realistisch wie ermutigend für alle, die etwas für ihre literarischen Fähigkeiten tun wollen:

"Jeder, so behaupte ich, kann lernen, literarisch zu schreiben. Die Frage ist bloß, wie weit er es bringt." Klar ist aber: "Studenten, die drei bis vier Jahre lang ständig gefordert sind, Texte zu schreiben und den Rest der Zeit damit verbringen, eigene und fremde Texte in ihrer Kompositionsstruktur, in ihren Stilelementen und in ihrer Aussagekraft kritisch zu prüfen, müssen deshalb nicht zwangsläufig gute Schriftsteller werden. Der Schreibimpuls und die dahinter stehende eigene Lebensgeschichte lassen sich nicht einfach ersetzen. Aber sie haben am Ende ein Maß an literarischer Erfahrung gesammelt, für das sie, auf sich allein gestellt, Jahrzehnte benötigt hätten." (Haslinger in Die Zeit)

Quellen:


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