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Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns Das Nashornbaby aus dem Labor

Auf der ganzen Welt gibt es nur noch zwei Nördliche Breitmaulnashörner - zwei Weibchen. Künstliche Befruchtung soll die Art retten. 2023 ist erstmals ein Embryonentransfer bei Nashörnen geglückt: Zwar bei der Südlichen Unterart, trotzdem ein wichtiges Etappenziel.

Stand: 25.01.2024

Kenia, Ol Pejeta: Die Nördlichen Breitmaulnashorn-Weibchen Fatu (r) und Najin werden nach dem Grasen in ihrem Gehege von den Rangern zurückgetrieben. Sie sind die letzten beiden Nashörner ihrer Unterart. | Bild: dpa-Bildfunk/Ben Curtis

Als im März 2018 ein Breitmaulnashorn in einem Reservat in Kenia eingeschläfert werden musste, waren Trauer und Bestürzung groß. Denn Sudan, wie der Nördliche Breitmaulnashorn-Bulle hieß, war der letzte männliche Vertreter seiner Art. Weltweit gibt es jetzt nur noch zwei Exemplare dieser Nashorn-Unterart: die beiden Kühe Najin und Fatu - Sudans Tochter und Enkelin - in der "Ol Pejeta Conservancy" in Kenia. Najin ist bereits mehr als 30 Jahre alt, Fatu mehr als 20 Jahre. Die Lebenserwartung der Art liegt zwischen 40 und 45 Jahren.

"Die Haltung der letzten beiden Nördlichen Breitmaulnashörner ist eine riesige Verantwortung."

Samuel Mutisya, Leiter für Forschung und Artenschutz, Ol Pejeta Reservat, Kenia

Wissenschaftler wollen Nördliches Breitmaulnashorn retten

Um diese Rhino-Art mit dem charakteristischen breiten Maul und seinen zwei Hörnern vor dem Aussterben zu retten, setzen Forscher des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung im Forschungsverbund Berlin e.V. auf Methoden der künstlichen Befruchtung und der Stammzellforschung. Sollten diese Verfahrensweisen erfolgreich sein, könnte man auf diese Weise auch andere stark gefährdete Arten vor dem Aussterben retten.

Südliche Breitmaulnashörner als Leihmütter

Beide Nördlichen Breitmaulnashorn-Weibchen Najin und Fatu sind aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, selbst Nachwuchs auszutragen. Deshalb ruht die Hoffnung der Forscher auf den Südlichen Breitmaulnashörnern. Von dieser eng verwandten Unterart gibt es in freier Wildbahn noch mehr als 20.000 Exemplare. Sie wird von der IUCN als "gering gefährdet" eingestuft. Die Chancen sind nach Angaben der Forscher "sehr hoch", dass ein Südliches Breitmaulnashorn als Leihmutter trächtig werden kann.

Das internationale "BioRescue"-Konsortium, ein Team aus Wissenschaftlern und Naturschützern unter der Leitung des Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW), verfolgt zur Rettung des Nördlichen Breitmaulnashorns zwei Ansätze, um ein kleines Nördliches Breitmaulnashorn zurück auf die Welt zu bringen.

1. Ansatz: Künstliche Befruchtung der Eizellen der beiden Weibchen

Bei der ersten Methode werden den beiden verbliebenen Nashornkühen Najin und ihrer Tochter Fatu Eizellen entnommen, um sie außerhalb des Körpers mit Spermien zu vereinen. Das Sperma von vier bereits verstorbenen Nördlichen Breitmaulnashörnern lagert bei minus 196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff am IZW. Unter dem Mikroskop werden die Spermien direkt in die Eizellen gespritzt. Diese Methode, die auch eine häufig genutzte Methode zur künstlichen Befruchtung beim Menschen ist, heißt Intrazytoplasmatische Spermien-Injektion (ICSI). Nach der Befruchtung im Reagenzglas soll der Embryo in die Gebärmutter eines Südlichen Breitmaulnashorns eingesetzt und von dieser Leihmutter ausgetragen werden.

Embryonen des Nördlichen Breitmaulnashorns erzeugt und eingefroren

Bereits seit 2019 werden den beiden Weibchen Najin und Fatu in Kenia unter Narkose unreife Eizellen entnommen und in einem Reproduktionslabor in Italien mit dem aufgetauten Sperma der verstorbenen Männchen befruchtet, um lebensfähige Embryonen des Nördlichen Breitmaulnashorns zu erzeugen. Alle Eizellen stammen von Fatu, der jüngeren der beiden verbliebenen Nördlichen Breitmaulnashörner. Auch deshalb stellte das Wissenschaftlerteam die Eizellenentnahme bei der älteren Najin aus ethischen Gründen 2021 ein. Noch werden die Embryonen in Italien in flüssigem Stickstoff konserviert, um zu einem günstigen Zeitpunkt Südlichen Breitmaulnashorn-Leihmüttern eingesetzt zu werden.

"Wenn man die Art der Nördlichen Breitmaulnashörner wieder aufbauen will, ist ein Baby nicht genug. Wir brauchen so viele Babys wie möglich. Deshalb möchten wir alle drei oder vier Monate weitere Eizellen entnehmen."

Jan Stejskal, Direktor für internationale Projekte, Safari Park Dvůr Králové

Zweckgemeinschaft aus sterilisiertem Bullen und potenziellen Leihmüttern

Wann der richtige Zeitpunkt ist, die Embryonen den Leihmüttern einzupflanzen, darüber wird unter anderem auch der Südliche Breitmaulnashorn-Bulle Owuan entscheiden: Er wurde hierfür im Dezember 2020 sterilisiert. Durch sein Verhalten soll er über den Fortpflanzungszyklus der potenziellen Leihmütter Auskunft geben - ohne dass die Weibchen trächtig werden können. Ist mit seiner Hilfe eine empfangsbereite Phase ausgemacht, werden den Leihmüttern Embryonen eingesetzt.

Wichtiges Etappenziel 2023 erreicht: Nashorn-Embryonentransfer geglückt

Die Wissenschaftler testen das Verfahren zunächst mit Embryonen von Südlichen Breitmaulnashörnern: Auf diese Weise wollen sie möglichst viele gewonnene Emybronen des Nördlichen Breitmaulnashorns schonen. Zum ersten Mal ist ein solcher Embryonentransfer mit anschließender Schwangerschaft bei den Dickhäutern im September 2023 geglückt: Allerdings starb die schwangere Nashornkuh der südlichen Unterart an einer bakteriellen Infektion und mit ihr der 70 Tage alte, rund sechs Zentimeter große Fötus. Normalerweise dauert eine Nashorn-Schwangerschaft 16 Monate.
In einem nächsten Schritt möchten die Forschenden damit beginnen, Embryonen der Nördlichen Breitmaulnashörner in die Südlichen Breitmaulnashorn-Leihmütter einzusetzen.

2. Ansatz: Wiederbelebung aus Hautzellen

Um ihre Erfolgsaussichten zu erhöhen, forschen die Wissenschaftler parallel an Stammzelltechnologie. Damit sollen Nashorn-Hautzellen in pluripotente Stammzellen, aus denen sich alle Gewebearten entwickeln können, umgewandelt werden. In weiteren Schritten könnten daraus Keimzellen, also Spermien und Eizellen, gewonnen werden.

Im Dezember 2022 verkündeten Wissenschaftler einen Durchbruch. Dem BioRescue-Konsortium gelang es erstmals, Vorläufer von Ei- und Spermienzellen, sogenannte Urkeimzellen, im Labor zu erzeugen. "Es ist das erste Mal, dass primordiale Keimzellen einer großen und zugleich bedrohten Säugetierart aus Stammzellen generiert werden konnten",  erklärte Masafumi Hayashi von der Osaka University, einer der BioRescue-Wissenschaftler und japanischer Erstautor der dazu veröffentlichten Studie. Bislang war dies nur bei Nagetieren und Primaten gelungen. 

Die jetzt verfügbaren primordialen Keimzellen des Nördlichen Breitmaulnashorns - die Vorstufen von Eizellen und Spermien - sind aus den Hautzellen von Fatus Tante Nabire entstanden. Die Forscher von BioRescue stehen damit aber vor der nächsten schwierigen Aufgabe: Die primordialen Keimzellen müssen im Labor zu funktionstüchtigen Eizellen und Spermien heranreifen. "Die Vorläuferzellen sind im Vergleich zu Eizellen relativ klein und haben vor allem noch einen doppelten Chromosomensatz", erläutert Vera Zywitza vom BioRescue-Team, die an der im Dezember 2022 veröffentlichten Studie beteiligt war. "Wir müssen also geeignete Bedingungen finden, unter denen die Zellen wachsen und ihren Chromosomensatz halbieren."

Weil es nur eine geringe Anzahl an Eizellen und Spermien gibt und die beiden noch lebenden Nashornkühe auch direkt miteinander verwandt sind, dient der Stammzellen-Ansatz dazu, die genetische Vielfalt zu erhöhen. Die Forscher wollen dadurch eine sich selbst erhaltende, genetisch gesunde Population des Nördlichen Breitmaulnashorns erschaffen.

Beispiel Pyrenäensteinbock

Doch gerade High-Tech-Verfahren seien kein Garant für den Erhalt einer bedrohten Tierart, schreiben Terri Roth und William Swanson vom Center for Conservation and Research of Endangered Wildlife in Cincinnati. Sie verweisen auf das Beispiel des Pyrenäensteinbocks. Von dieser Unterart des Iberiensteinbocks starb im Jahr 2000 das letzte Exemplar. Wissenschaftler schafften es tatsächlich, mit seinen Zellen ein Jungtier zu klonen. Doch es verstarb wenige Minuten, nachdem es zur Welt gekommen war, weil seine Lunge noch unreif war.

Forschungsprojekt "BioRescue" zur Nashorn-Züchtung

Das Forschungsprojekt "BioRescue" zur Rettung des akut vom Aussterben bedrohten Nördlichen Breitmaulnashorns startete offiziell am 24. Juni 2019. Das internationale Team unter der Leitung des IZW wird dafür mit rund vier Millionen Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) als Teil der BMBF-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt gefördert.

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