Hörbuch der Woche "Letzte Lieder" von Stefan Weiller
Als Künstler und Journalist beschäftigt sich Stefan Weiller in seinen Projekten mit existenziellen Erfahrungen von Menschen in extremen Lebenssituationen. So hat er etwa über Jahre obdachlose Menschen befragt und deren Lebensgeschichten eingefangen. In dem Hörbuch "Deutsche Winterreise" von 2019 wurden diese Geschichten von Menschen im sozialen Abseits eindrücklich hörbar gemacht. Nun ist ein neues Hörbuch von Stefan Weiller erschienen: "Letzte Lieder". Sterbende erzählen darin von der Musik ihres Lebens. Für Annegret Arnold ist es das "Hörbuch der Woche".
Manchmal kommt mir der Gedanke nicht ganz fertig geworden zu sein. Ich habe es nicht geschafft eine Familie zu gründen. Mein Geld ist alle. Keine Stiftung wird meinen Namen tragen, keine Straße, kein Schild, kein Mensch, kein Grab. Vielleicht wird sich keiner an mich erinnern. Naja, so ist das eben.
Am Ende des Lebens stehen oft große Fragen: Was wurde erreicht? Was wurde versäumt? Wie geht es weiter? Der Künstler und Journalist Stefan Weiller hat über viele Jahre hinweg Sterbende getroffen, Menschen an ihrem Lebensende - in Krankenhäusern, auf Palliativstationen, zu Hause, in Hospizen – und ihnen eine vermeintlich viel kleinere Frage gestellt: "Welches Lied gehört zu deinem Leben?"
In den Antworten seiner Gesprächspartner wird deutlich – Musik und das Leben und damit auch sein Ende sind verdammt eng miteinander verwoben. Der Song des Lebens erzählt von der eigenen Zeit, von der Sozialisation, den Vorlieben, dem Aufwachsen, den Ängsten eines Menschen. Und im Reden über die Musik offenbart sich ein intimer Einblick in ganz besondere Lebensmomente – etwa die Schilderung einer jungen Frau, für die der Tag ihrer Krebsdiagnose unabdingbar mit Song "Smells like Teen Spirit" von Nirvana verbunden ist.
"'Hello hello hello how low'. Wie der Refrain des Nirvana-Hits fühlt sich eine Krebsdiagnose an. 'How low?' War ich schon unten, oder ging es noch tiefer?"
Zitat aus Hörbuch
Stefan Weiller hat die vielen Gespräche, die er mit Sterbenden im Alter zwischen vier und 96 Jahren geführt hat, frei und aus dem Gedächtnis niedergeschrieben und ist dabei als Autor auf die jeweilige Gesprächssituation und den Charakter der Befragten eingefangen. Insgesamt 30 dieser dokumentarischen Erzählungen kann man nun auf dem Hörbuch "Letzte Lieder" entdecken – eingelesen und interpretiert von namhaften Schauspielerinnen und Schauspielern, unter ihnen etwa Christoph Maria Herbst, Gerd Wameling und Eva Mattes.
"Gestern Abend habe das Lied die Tochter überwältigt. Sie summte: Die Blümelein, sie schlafen. Die Mutter lag im Dämmerschlaf. Manchmal rasselte ihr Atem. Unvermittelt öffnete sie ihre Augen und hauchte den Namen der Tochter. Und die Tochter erwiderte spontan ein lange unterdrücktes Wort: Mama. Sie erschrak. Ganz schnell sei sie rausgegangen um nicht emotional zu werden."
Zitat aus Hörbuch
Kinderlieder, Die Beatles, David Bowie oder die Johannes-Passion - die Bandbreite der Songs, auf die sich die Befragten beziehen, ist so weit wie die Bandbreite der Befragten selbst. Aneinandergereiht ergibt sich eine kunterbunte, tragisch-schöne Playlist, die man nicht auf dem Hörbuch selbst, aber auf Spotify durchstöbern kann. Die Erzählungen auf den zwei CDs des Hörbuchs werden musikalisch von Variationen der Passacaglia della Vita durchzogen – ein wunderbarer Rahmen, der beim Hören den nötigen Raum gibt, sich auf die emotionalen Erzählungen einzulassen.
"Mein Liedwunsch ist ganz schlicht und zum Sterben schön. Es sagt nur eins: Wir müssen es nehmen, wie es kommt."
Zitat aus Hörbuch
Der Tod gehört zum Leben unweigerlich dazu. Wir wissen das alle und trotzdem verdrängen wir das Thema, halten es aus unserem Alltag heraus. Das Hörbucdollcdh "Letzte Lieder" bricht mit diesem Tabu und macht klar, dass eine Auseinandersetzung mit dem Sterben nicht immer nur schmerzhaft sein muss. Es führt uns ganz nah an das zurück was wir haben, das Hier und Jetzt, unser Leben.
"Letzte Lieder" von Stefan Weiller ist bei speak low erschienen.