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Politische Explosionsgefahr Gas-Funde im Mittelmeer wecken große Begehrlichkeiten

In Rom stand einst die Wiege des Vereinigten Europa. 62 Jahre nach Unterzeichnung der Römischen Verträge ist Italien zum Land der grassierenden Europafeindlichkeit geworden.

Von: Susanne El Khafif

Stand: 17.05.2019

Gasplattform vor der Küste Israels | Bild: picture alliance / AP Images

August 2015. Der italienische Energiekonzern ENI wartet mit einer Sensation auf: Er hat „Zohr“ entdeckt, ein gigantisches Gasfeld im östlichen Mittelmeer: Mehr als 850 Milliarden Kubikmeter Gas - ein Schatz, tief unten unter dem Meeresgrund, knapp 200 Kilometer vor der Küste. Ägypten darf ihn heben, der Fund liegt in der Wirtschaftszone des Landes.

Francesco Bertello war verantwortlich für die Auswahl der Bohrstelle. In einem Werbefilm von ENI erzählt er über die Ängste und Hoffnungen, die dem Fund vorangingen. Bei einem Misserfolg, das war ihm klar, hätte sein Konzern Unsummen in den Sand gesetzt: "Wir wussten, dass etwas Großartiges geschehen würde: 300 Meter, 400, 500, 600 Meter – ich dachte schon, die Messung würde nicht stimmen, doch dann kam der Meeresboden. Was für enorme Mengen an Gas! Eine Säule von 600 Metern. Es war phantastisch!“ 

Für Experten kamen die Funde nicht überraschend

In der deutschen Öffentlichkeit fand die Nachricht von der Entdeckung „Zohrs“ keinen nennenswerten Widerhall. Anders reagierten Fachkreise und die Führungsetagen der international operierenden Energiekonzerne. “Die Entdeckung von Zohr hat vielen ausländischen Investoren die Augen geöffnet. Über das, was sich im ägyptischen Teil des Mittelmeeres befindet. Und in der gesamten Region.“ Mohamed Fouad ist Geschäftsführer von „Egypt Oil&Gas“, der führenden Fachzeitschrift für Öl und Gas in Ägypten. Für ihn kam der Fund nicht überraschend. „Es hat viele Studien gegeben, in den letzten zehn, fünfzehn Jahren, und sie alle haben auf die Ressourcen im Mittelmeer hingewiesen. „Zohr“ gilt heute als zweit- oder drittgrößte Entdeckung überhaupt. Und Funde dieser Art machen klar: Da gibt es noch viel mehr zu entdecken.“

2009 nimmt die Gas-Saga des Mittelmeers ihren Anfang: Erst werden „Tamar“ und „Leviathan“ gefunden, zwei ebenfalls spektakuläre Gasfelder in der Wirtschaftszone Israels. Dann folgen „Aphrodite“, das zu Zypern gehört, und 2015, „Zohr“, das ägyptisch ist. Damit aber reißen die Meldungen über weitere große Funde nicht ab. 

Möglicherweise ein Drittel aller Vorkommen weltweit

Schätzungen gehen von mehreren Billionen Kubikmetern Gas insgesamt aus. Einige Experten vermuten im Mittelmeer gar ein Drittel der Vorkommen weltweit. „Wenn man einen Markt hat, ein Gebiet, das so klein ist und zugleich so voller Wettbewerb, dann gibt es zwei Wege: Entweder man konkurriert, und diese Art Konkurrenz endet im Konflikt, den gibt es bereits mit der Türkei, oder aber man kooperiert und stellt sicher, dass alle davon profitieren."

Sieben Anrainer am östlichen Mittelmeer entscheiden sich, zusammen zu arbeiten. Mitte Januar 2019 versammeln sich die Energieminister von sechs Staaten in Kairo: Zypern, Griechenland, Italien, Ägypten, Jordanien, Israel. Und: Der Energieminister der Palästinensischen Autonomiegebiete.

Sie verkünden die Gründung eines neuen Forums: Das „Eastern Mediterranean Gas Forum“, mit Sitz in Kairo. Es soll anderen offenstehen; für Wohlstand und Stabilität im östlichen Mittelmeerraum sorgen; Energie bereitstellen, für die Region und den Weltmarkt. Und: Es soll die Interessen seiner Mitglieder nach außen vertreten, die vielen „Kleinen“ wollen den „Großen“ im globalen Gasgeschäft begegnen können: Katar, Iran, den USA und Russland.

Kurz nach der Gründung des neuen Forums besuchte Peter Altmaier, Bundesminister für Wirtschaft und Energie, die ägyptische Hauptstadt – begleitet von Vertretern der deutschen Wirtschaft: „Ich halte die Idee dieses Gasforums für eine sehr kluge. Weil sie nämlich dazu führt, dass frühere Feinde, die noch vor wenigen Jahrzehnten Krieg geführt haben, jetzt darüber miteinander sprechen, wie sie ihren Schatz, den sie jetzt erschließen, gemeinsam so vermarkten, dass es ökologisch verträglich ist; dass es den Staats-Einnahmen nützt und gleichzeitig auch eine verlässliche Gasversorgung in anderen Teilen Europas ermöglicht.“

Die Türkei macht nicht mit im Gas-Forum

Die Türkei, Regionalmacht und ebenfalls Mittelmeer-Anrainer, ist kein Mitglied des neuen Gasforums. Weil die politischen Spannungen im Verhältnis zu Ägypten und Israel zu groß sind. Und natürlich stört sich Ankara an der Mitgliedschaft Zyperns, spricht Nikosia ab, im Namen der ganzen Insel zu sprechen. Die sei nach wie vor geteilt, alle Abkommen und Lizenzvergaben seien damit nichtig. Ankara spricht Nikosia auch ab, seine exklusive Wirtschaftszone als „Festland“ zu definieren. Zypern sei eine Insel, habe daher kein Anrecht auf die 200 Seemeilen vor seinen Küsten.

Gallia Lindenstrauss arbeitet für das „Institute for National Security Studies“, das der Universität von Tel Aviv angeschlossen ist. Sie hat über das neue Gasforum publiziert: „Die Türkei nimmt die Kooperation im östlichen Mittelmeer als Provokation, als gegen sie gerichtet, wahr. Und gegen Nord-Zypern. Kurz nach der Gründung des Forums hielt sie daher ein großes Flotten-Manöver ab und demonstrierte Stärke. Vorerst droht Ankara nur, auf lange Sicht aber kann es zu Missverständnissen kommen, die in größere Konfrontationen ausarten.“ 

Ein möglicher zweiter Konflikt ergibt sich aus der Zusammensetzung des neuen Forums selbst: Israelis und Palästinenser unter einem Dach, trotz aller von Gewalt geprägter Konfrontation um einen Staat Palästina.

Preiskrieg mit Russland droht

Hinzu kommt noch die Rivalität zwischen den USA und Russland als möglicher dritter Konflikt. Die USA sind dagegen, dass Europa, vor allem Deutschland von russischem Gas abhängig ist. Sie unterstützen das neue Forum und ein weiteres ausgesprochen ambitioniertes Projekt: Den Bau einer Pipeline, die Gas aus dem östlichen Mittelmeer nach Griechenland und dann über das europäische Netz nach Deutschland führen könnte: 1900 Kilometer lang, überwiegend unter Wasser verlegt, in Tiefen von bis zu 3000 Metern. Kostenpunkt rund 7 Milliarden Euro. Die so genannte „East Med Pipeline“.

Doch Gallia Lindenstrauss ist skeptisch: „Ich denke nicht, dass Russland die Arbeit des neuen Gasforums direkt behindern wird. Doch es kann seine dominante Position auf dem Markt, vor allem in Europa, nutzen und verhindern, dass die Mitglieder des Forums einen günstigen Preis machen. Es wäre also ein Preiskrieg. Das Gas aus dem östlichen Mittelmeer dürfte an Attraktivität verlieren, wenn Russland seine Preise senkt.“ 


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