BR Heimat


5

Bayern genießen Wurst - Bayern genießen im Juli

Was haben wir uns bloß dabei gedacht, wie wir die Wurscht zum Bayern genießen-Thema im Juli gemacht haben? Naja, manche mögen ja trotz der Hitze grillen. Was soll's?

Von: Gerald Huber

Stand: 01.07.2022 | Archiv

Hier unsere Genuss-Themen aus den bayerischen Regionen rund ums Motto "Wurst"

Oberbayern: Geschätzt. Die ultimative Wurstsemmel. Von Sarah Khosh-Amoz
Niederbayern: Berühmt. Brunner Würschtl aus Landshut. Von Ulrich Scherr
Oberpfalz: Nostalgisch. Weißwurstmuseum in Neumarkt. Von Thomas Muggenthaler
Oberfranken: Kultig. Coburger Bratwurst. Von Andi Ebert
Mittelfranken: Ausgezeichnet. Wurst-Europameister aus Möhrendorf. Von Matthias Rüd
Unterfranken: Vielfältig. Die 150 Wurstsorten der Dorfmetzgerei Freund in Sailauf. Von Wolfram Hanke
Schwaben: Gesellig. Die Wurst und der Kemptener Wochenmarkt. Von Doris Bimmer

Die 150 Wurstsorten einer mainfränkischen Dorfmetzgerei

Man kann es buchstäblich drehen und wenden wie man will - am Schluss ist alles wurscht. Zumindest, wenns darum geht, woher das Wort Wurscht eigentlich kommt. Drin steckt die uralte Wortwurzel ver- oder vert-, die soviel bedeutet wie wirren, wenden, drehen, biegen. Auch in lateinischen Wörtern wie versus = die Wendung steckt die Wurzel. Schließlich dreht und wendet der Metzger den Darm, wenn er die Wurschtmasse abfüllt, die er vorher, gewissermaßen als Fleischwirrwarr angerührt hat. Jedenfalls sind Würschte uralt. Schon in homerischen Zeiten waren kostbar-köstliche Würschte beliebt. Zum Beispiel im Palast des Odysseus, wo regelrechte Grillwürscht zum Wettkampfpreis ausgelobt werden:

"Höret, was ich euch sag, ihr edelmütigen Freier!
Hier sind Ziegenmägen, mit Fett und Blute gefüllt,
Die wir zum Abendschmaus auf glühende Kohlen gelegt.
Wer nun am tapfersten kämpft und seinen Gegner besiegt,
Dieser wähle sich selbst die beste der bratenden Würste."

Palast des Odysseus

Metzger Matthias Freund und seine Mitarbeiterin aus Sailauf

Und dann geht's buchstäblich um die Wurscht beim Kampf zwischen Odysseus und dem berüchtigtsten Vielfraß der Stadt. Damals also bereits gebratene Blutwürscht. Bei den Römern gab es dann schon verschiedene Formen von Würschten unter dem Oberbegriff farcimina. Seither ist die Zahl der Wurschtsorten ständig gewachsen. Und heute herrscht eine schier unübersehbare Vielfalt. Aber keiner kann konkurrieren mit der Dorfmetzgerei Freund in Sailauf. Die macht nicht nur mehrere Dutzend verschiedene normale Wurschtsorten, sondern hat es allein mit mehr als 150 Sorten Bratwürschten ins Guinness-Buch geschafft.

Der Wurst-Europameister aus Mittelfranken

Jürgen Reck, Europameister der Schinken- und Wurstmacher

Italien gehört zusammen mit Bayern und Österreich bis heute zu den Großwurschtnationen. Wobei der Austausch über die Alpen hin und her schon immer groß geschrieben wurde. Die heute bekanntesten italienischen Würscht zum Beispiel, die salsicce, soll im 6./7. Jahrhundert eine Bayerin erfunden haben. Die langobardische Königin Theodelinde, eine bayerische Herzogstochter hat sie den Einwohnern ihrer Residenz Monza geschenkt, wofür sie die Lombarden prompt seligsprechen haben lassen. Andererseits ziert die Mailänder Salami heute als Standardsorte die Kühltheke praktisch jeder bayerischen Metzgerei. Wobei, wenn man ehrlich ist: Obwohl die Namen oft eindeutig zu sein scheinen, so geht's mit ihnen häufig durcheinand. Und niemand weiß genau, wer die einzelnen Würscht wirklich erfunden hat. Was bei uns Wiener sind, heißen in Wien Frankfurter. Und wo wir Lyoner sagen, sagen die Schweizer Saarländische, die Amerikaner Bologna Ring und die Lyoner Cervelas, während in Norddeutschland wiederum eine Zervelatwurst soviel ist, wie bei uns eine Bockwurst, also eine Art große Wiener. Naja, schwierig! Wir waren beim italienisch-französisch-schweizer und österreichisch-bayerischen Alpenraum als gewissermaßen dem Wurschtherzen Europas. Nirgends ist die Vielfalt größer. Und kein Wunder, wenn ein Metzger aus Bayern, genauer aus Mittelfranken, der Europameister der Schinken- und Wurschtmacher geworden ist…

Die Coburger Bratwurst

Coburger Bratwurst

Wurst ist Religion. Und das nicht bloß, weil Muslime keine Schweinswürstl essen dürften aber, aufgeklärt, wie sie sind, es doch immer wieder tun. Wurscht ist Kultur - und deswegen Religion. An Fasttagen war für Katholiken Fleisch und Wurst streng verboten, weswegen der Reformator Ulrich Zwingli 1522 am ersten Sonntag der Fastenzeit ganz provokativ das berühmtgewordene Zürcher Wurstessen angesetzt hat. Große scharfe Rauchwürste wurden da gereicht. Grad z'extra. Und spätestens jetzt muss jedem klar sein, dass es um etwas geht, was 2006 in einem Kolloquium der Freien Universität Berlin so genannt wurde: Anthropologie im Spannungsfeld zwischen Wurst und Religion. Wir wissen ja, dass in den Geisteswissenschaften so ziemlich alles, was man nicht so genau beschreiben kann oder will, ein Spannungsfeld ist - und trotzdem existiert es. Zumindest wurschtologisch. Nehmen Sie zum Beispiel die Bratwurscht. Da gibt's tatsächlich evangelische und katholische Exemplare: Die evangelischen sind gröber, weil da das Fleisch bloß durch den Wolf gedreht wird. Die Metzger in den reichen katholischen Bischofsstädten Bamberg und Würzburg dagegen, die konnten sich schon früh teure Kutter leisten, weswegen dort das Brät feiner ist. Aber die evangelische Residenzstadt Coburg setzt da noch was drauf: Ihre, logischerweis evangelischen Würscht, werden außerdem noch in eine Semmel gelegt, die dafür sogar evangelisch geschnitten wird. Also nicht am Äquator der Semmel, wie die Katholiken das tun, sondern mittig von oben nach unten. Finden Sie komisch? Für die Coburger ists die einzige Art eine Bratwurscht zu essen. An einem der maximal acht von der Stadt lizenzierten Stände zum genau festgelegten Preis von 2,50 € pro Portion.

Brunner Würschtl aus Landshut

Des Schweines Ende ist der Wurscht Anfang. Ja: Über die Wurscht nachdenken heißt philosophieren. Wenn auch, sagen wir, auf einem eher volkstümlichen Niveau. Die Wurscht an sich war ja, früher zumindest, eine Art Resteverwertung, beliebt bei Alt und Jung, Reich und Arm, Hoch und Nieder. Ein kulinarischer Gemeinplatz. Eine alltägliche Köstlichkeit für jedermann. Und dieser Jedermann hieß früher noch nicht Hans Mustermann oder Lieschen Müller, sondern eben deswegen Hans Wurst. Und weil wir alle über uns selbst am liebsten lachen, grad, wenn wir uns dumm anstellen, so wurde der Hans Wurscht im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit zur wichtigsten und bekanntesten Bühnenfigur der Gauklerbühnen auf den Marktplätzen: Ein gefräßiger, geiler Narr, tollpatschig und tollkühn zugleich, wie halt wir alle in der einen oder anderen Form. Jahrhundertelang konnte er seine Pritsche schwingen und Possen reißen, bis ihn die Schöngeister der Aufklärung in Verruf brachten. Ein Riesenstreit, Für und Wider des Stegreiftheaters, entstand. Schließlich setzte sich die protestantische Auffassung durch: Theater sollte künftig belehren, bilden aufklären. Stegreifunterhaltung war verpönt. Kaiser Franz Joseph in Wien beendete 1790 den Hanswurststreit, mit seiner Theaterzensur, die den Hans Wurst von der Bühne verbannte. Von der großen zumindest. Im Puppentheater lebte er weiter als Kasperl Larifari. Im Münchner MarionettenTheater, für das der berühmte Kasperlgraf Franz von Pocci mehr als 40 Stücke schrieb. Kasperl gleicht in vielem dem alten Hans Wurscht, aber nicht überall. Während Hans Wurscht alles in sich hineingeschlungen hat, was es zu essen gab, hat sein Nachfolger der Kasperl eine einzige Leibspeis: Bratwürscht. Gut möglich, dass Pocci, der in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts an der Universität Landshut Jura studiert hatte, die bereits damals legendären Landshuter Bratwürscht kennen und schätzen gelernt hat. Katholische Bratwürscht, versteht sich, aus feinem Brät und gebrüht, wie sie seit den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts von der Landshuter Metzgerei Brunner zu einer Spezialität entwickelt wurden, den berühmten Brunner Würschtln. Die gibt's längst auf vielen Märkten und Dulten in ganz Südbayern als Landshuter Spezialität.

Selber wurschteln in der Oberpfalz

Weißwurstmuseum in Neumarkt in der Oberpfalz

Alles hat seine Zeit - so auch die Würscht. Die Bockwurscht zum Beispiel. Im Gegensatz zum Norden Deutschlands wo sie sich, dick und einzeln wie sie war, allmählich zur Currywurscht weiterentwickelt hat, sind Bockwürscht in Bayern immer lang und dünn gewesen und immer paarweis verkauft und gegessen worden. Aber was heißt immer: Immer hat es sie gar nicht gegeben. Weil Bockwürscht waren eine Spezialität, die bloß zu bestimmten Zeiten im Jahr auf den Tisch gekommen sind: Vor allem im Mai, wenn der berühmte Maibock getrunken wurde. Deswegen heißen sie ja auch Bockwürscht; weil sie früher eine unabdingbare Speise zum Bockbier waren. Außerhalb des Bockgenusses auch keine Bockwürscht. Derart rigide Vorschriften gab und gibt es viele rund um die Wurscht. Sie sollen der gewöhnlichen Fleischspeise breiter Massen jenen Hauch von Exklusivität verleihen, den wahre Spezialitäten brauchen: Rituale, wie evangelische oder katholische Schnitte in der Semmel, Verzehrvorschriften, wie niemals die Wurscht brechen und vor allem Zeiten. Wie bei der Bockwurscht. Oder der Mettenwurscht, einer Spezialität, die's bloß zu Weihnachten gibt. Oder, ganz bekannt, der Weißwurscht, die nichts weniger als eine reine Vormittagswurscht ist, weil sie bekanntlich das 12-Uhr-Läuten nicht hören darf. Auch Orte machen aus Gewöhnlichkeiten Spezialitäten: Die Nürnberger Fingerle, die Coburger Bratwurscht, Regenburger Bratwurscht - aber über sowas kanns leicht zum Streit kommen. Wie zum Beispiel bei der sogenannten Münchner Weißwurscht, von der die Legende erzählt, sie sei im Ewigen Licht am Marienplatz erfunden worden. Mitnichten! Weißwürscht gibt's überall, wenn auch überall ein bisserl anders. Und deswegen muss es niemand wundern, dass es in München zwar kein Weißwurschtmuseum gibt, aber dafür eins in Neumarkt in der Oberpfalz, wo ein regionaler Metzger die Gerätschaften herzeigt, die man zum Weißwurschtmachen braucht. Und selber Weißwurschteln kann man dort auch lernen. Wo sie das Weißwurschtmachen sonst noch selbst ausprobieren können, finden Sie hier.

Die Wurst und der Kemptener Wochenmarkt

Weil wir früher von evangelischen und katholischen Würsten geredet haben: Es gibt noch ein Bratwurst-Bekenntnis: Roh oder gebrüht. Die meisten Bratwürscht sind mittlerweile vorgebrüht, womit sie einfach besser haltbar sind als das unbehandelte Brät in der rohen Bratwurst. Wie ja überhaupt das Haltbarmachen von Fleischwaren schon immer ein essentielles Problem war. Andererseits schmecken roh gegrillte Bratwürscht deutlich anders als gebrühte, also vorgekochte. Aber braten muss man beide. Anders ist das bei geräucherten Würsten. Die werden allesamt in der Regel roh geräuchert und sind danach lang haltbar. Schon die Römer haben ihre Lucanicae, ihre Wurscht aus der süditalienischen Landschaft Lukanien, der heutigen Basilicata, geräuchert und ihren Truppen in die ganze damalige Welt mitgegeben. Im Gepäck hatten sie auch die Soldaten, die im Jahr 15 vor Christus Bayern erobert hatten - und ihre erste Hauptstadt dabei gleich in Cambodunum, dem heutigen Kempten angelegt haben. Kempten ist also vermutlich die bayerische Stadt, in der's mit Sicherheit die frühesten Würschtl gegeben hat. Vielleicht sind deswegen Himmel und Würscht für die Kemptener quasi Synonyme. Übrigens: Wenn Sie den Kemptener Markt besuchen, mit Wurschtbrotzeit, versteht sich, und unter dem Wurschthimmel im Kempten-Museum waren, dann besuchen Sie vielleicht auch den Archäologischen Park Cambodunum und gehen der Lukanikerwurscht der Antike auf den Grund. Beim Römischen Alltagsleben im Rahmen von Veranstaltungen können Sie die dort sogar probieren…

Ultimativ: Die Wurstsemmel

Wenns über und um die Wurscht geht, dann kommt man automatisch auf die Brotzeit, weil zu einer bayrischen Brotzeit zwar auch Käs und Butter gehören können - die Wurscht aber praktisch unabdingbar ist. Das Käs- und das Butterbrot kann, das Wurschtbrot muss sein. Es ist conditio sine qua non einer Brotzeit. Gern auch in Form einer Wurschtsemmel. In der Not iss I die Wurst a ohne Brot. Für die meisten ist das blutiger Ernst: Nur in der Not! Weil mit Brot schmeckt die Wurscht erst wirklich…

"So säumet denn, ihr Freunde, nicht,
die Würste zu verspeisen,
und laßt zum würzigen Gericht
die Becher fleißig kreisen!
Es reimt sich trefflich Wein und Schwein
und paßt sich köstlich Wurst und Durst;
bei Würsten gilts zu bürsten."

Ludwig Uhland

So heißt's im Metzelsuppenlied von Ludwig Uhland. Wobei bürsten oder bürschteln soviel bedeutet, wie sich betrinken. Nun, dafür wärs jetzt am Samstagmittag fast noch a bisserl zu früh. Aber heut Nachmittag können Sie ja schon anfangen damit. Wurscht, ob mit Wein oder mit Bier. Wurscht ob beim Grillen daheim, im Wirtsgarten oder auf einem der zahlreichen Sommerfeste, die jetzt anstehen: Wurscht und Durscht gehören zusammen. Immer und überall.

Metzger Martin Krammer aus Pfaffenhofen an der Ilm

Die ultimative Wurstsemmel von Metzger Martin Krammer:

+ Sternsemmel vom Bäcker,
+ hausgemachter Frischkäse mit Lauch, Frühlingszwiebel und Karotten,
+ Nuss-Salami (mit ganzen Nüssen, verfeinert mit Lantenhammer Nusslikör; gibt es so nur in der Metzgerei Krammer in Pfaffenhofen an der Ilm), wahlweise Ihre ganz persönliche Lieblingssalami
+ Scheibe Essiggurke
Mahlzeit!


5