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"Wenn Steine sprechen" Ein Münchner Haus und die Geschichte seiner Bewohner

Stefan Holler wohnt seit vielen Jahren in einem historischen Haus in München-Neuhausen. Ein schlichter, eleganter Bau von 1928, der im Stil der "Neuen Sachlichkeit" errichtet wurde. Fünf Häuser gehören zu dem Ensemble, aber nur eines hat einen voll ausgestatteten Luftschutzkeller mit Splitterschutzvorrichtung, Luftfilteranlage und Notabort. Das beschäftigte den Historiker. Warum ausgerechnet hier? Wohnten, vielleicht sogar in seiner Mietwohnung, führende Nationalsozialisten? Oder wohlhabende jüdische Familien vor ihrer Deportation? Stefan Holler beschloss, der Sache auf den Grund zu gehen.

Von: Eva Demmelhuber

Stand: 17.06.2022 | Archiv

Wenn Steine sprechen

Jeder, der in einem Altbau wohnt, wird sich schon einmal die Frage gestellt haben, wer vorher in der Wohnung gelebt hat, was hier passiert und was aus den Bewohnern geworden ist. Manche finden unter dem Küchenfußboden keltische Überreste von toten Kriegern, hinter Tapeten sonderbare Notizen oder kleine Verstecke, andere im Keller eigenartige Zeichen, denen sie auf die Spur kommen wollen. Jedes Haus birgt kleine Geschichten, die nicht in die große Geschichte eingegangen sind, und deshalb so spannend sind. Immer mehr Leute beschäftigen sich mit ihren Ahnen oder der Hausgeschichte. Und wer einmal von diesem Virus befallen ist, den lässt es nicht mehr los. Plattformen wie Ancestry, Familysearch, Myheritage oder Topotheken, die viele Gemeinden aufbauen, erfreuen sich immer größerer Beliebtheit und Stadt- und Staatsarchive werden längst nicht nur für wissenschaftliche Zwecke genutzt.

Der Luftschutzkeller in der Nibelungenstraße

Stefan Holler wohnt seit 14 Jahren in den sogenannten Nibelungenhäusern in Neuhausen, einem großartigen Wohnkomplex aus den späten 1920er Jahren, der noch mit Bedacht auf die Bedürfnisse seiner Bewohner und nicht so sehr auf die des Architekten geplant und gebaut wurde. Eine Wohlfühloase mit einem parkähnlichen Garten mit versetzten Häuserfronten, Ecken und ausgeklügelten Wohnungsgrundrissen. Auf dem mittleren der fünf Häuser ein Sgraffito, das- die fünf Helden der Nibelungensage zeigt, in Putz gekratzt vom Nürnberger Künstler Bruno Goldschmitt, der vor allem nach seinem Eintritt in die NSDAP viele Sitzungsräume in Rathäusern gestaltete. Von daher war die Vermutung von Stefan Holler nicht ganz abwegig zu meinen, in diesem Haus hätten "Nazigrößen" gelebt, denn wer hätte sonst diesen mittlerweile unter Denkmalschutz stehenden Luftschutzkeller gebaut.

Stefan Holler: "Zunächst habe ich mir gar keine Gedanken gemacht, wer vorher hier in der Wohnung gewohnt hat. Ich wusste zwar, wer die unmittelbaren Vormieter, aber den Ausschlag hat dann letztlich ein Gespräch mit Nachbarn im Garten gegeben. Da saßen wir gemütlich bei Kaffee und Kuchen zusammen. In einem Sommer vor zwei Jahren, und da meinte eben einer der Nachbarn, der selber auch Historiker und Germanist ist, seines Erachtens hätten hier im Haus Nazis gewohnt, wichtige Nazis, die veranlasst hätten, hier im Haus diesen Luftschutzraum zu bauen. Die Frage hat mich elektrisiert. Weil zum einen konnte ich mir das kaum vorstellen, dass in einem Mehrparteienhaus eine Partei des veranlassen kann, dass ein Luftschutzraum gebaut wird und zum anderen das Gefühl zu haben, in unserer Wohnung hätten vielleicht vorher Nazis gewohnt. Das war kein gutes Gefühl, und da hat mich sozusagen mein historischer Ehrgeiz gepackt."

Carl Ehrenberg und Hans Bernstein, einstige Bewohner der Nibelungenhäuser

Hans Bernstein lebte von 1928 bis 1935 in der Nibelungenstraße 18

Stefan Holler stieß auf zwei berühmte Hausbewohner, die in den 1930er Jahren zur Münchner Elite zählten: Hans Bernstein, der aus einer jüdische Familie stammte, die Verbindungen zu Gerhart Hauptmann und Thomas Mann hatte, und Carl Ehrenberg, eine Nazigröße, die die Geschicke der Münchner Musikhochschule im Sinne der NSDAP lenkte, der als Dirigent und Komponist Bertold Brecht faszinierte und der auch Verbindung zum Literaturnobelpreisträger Mann hatte. Die Spuren führten ihn von berühmten Münchner Familien bis ins Prominentenhaus des Konzentrationslagers Theresienstadt, nach London und bis nach Seattle.

Autogrammkarte des Komponisten und Dirigenten Carl Ehrenberg

Stefan Holler: "Mit Carl Ehrenberg konnte ich etwas anfangen. Ich kannte seinen Bruder Paul Ehrenberg, weil der mit Thomas Mann sehr eng befreundet war und man ja auch annimmt, dass die eine homoerotische Beziehung pflegten. Hans Bernstein, der sagte mir vorher nichts. Ich habe aber dann sehr schnell festgestellt, dass er der Sohn von Max und Elsa Bernstein ist, die gemeinsam einen angesehenen, literarisch künstlerischen Salon in München betrieben, in dem viele Größen, Musiker, Komponisten, Literaten ein- und ausgegangen sind. Und Hans Bernstein ist sozusagen in dem Salon mit groß geworden, hat dann wie sein Vater, den Beruf des Rechtsanwalts eingeschlagen und lebte aber eben nicht im Elternhaus in der Brienner Straße, sondern ab 1928 hier, in der Nibelungenstraße."

Und mit den Münchner Salons ist man schon mitten drin im "Who is who" der Münchner Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Eine Expertin der Salon-Kultur ist Kristina Kargl, die jüngst eine ausführliche Abhandlung über Elsa Bernstein, die Mutter von Hans Bernstein, und ihren Salon in der Briennerstraße veröffentlichte. Elsa schrieb unter dem Pseudonym Ernst Rosmer 14 Theaterstücke, von denen "Königskinder" in der Vertonung von Engelbert Humperdinck auch heute noch aufgefährt wird. Im Hause Bernstein verkehrten Rainer Maria Rilke und Gerhart Hauptmann, Thomas Mann lernte hier Katja Pringsheim, seine spätere Frau, kennen, Henrik Ibsen, Frank Wedekind und Hugo von Hofmannsthal trafen sich hier genauso wie Richard Strauß und Bruno Walter, Franz von Stuck oder Friedrich von Kaulbach. Und durch Hans Bernsteins Heirat kam mit der Pianistin Else Geissmar auch ihre bekannte Heidelberger Familie mit dazu. Ein reges gesellschaftliches Leben, das mit den Nationalsozialisten ein jähes Ende nimmt.


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