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Kinder zeugen ohne Sex Möglichkeiten und Grenzen der Reproduktionsmedizin

Kinder zeugen ohne Sex – das gehört längst zum Alltag der Reproduktionsmedizin. Vor 36 Jahren kam das erste deutsche Retortenbaby Oliver in der Erlanger Uniklinik auf die Welt. Dort soll nun das erste deutsche Transplantationszentrum für Gebärmütter entstehen.

Von: Ullie Nikola

Stand: 09.01.2018 | Archiv

Symbolbild Embryo | Bild: picture-alliance/dpa

Noch bis Mitte des 17. Jahrhunderts gingen Ärzte davon aus, dass die Gebärmutter im Körper der Frau umherwandern und sich im Gehirn festsetzen könne. Vierhundert Jahre danach geht die Gebärmutter tatsächlich auf "Wanderschaft": An der Uniklinik Erlangen soll das erste Gebärmutter-Transplantationszentrum in Deutschland entstehen, um Eltern den Wunsch nach eigenen Kindern zu erfüllen.

Deutschlands erstes Retortenbaby – eine Sensation

Die Mediziner an der Uniklinik Erlangen sind Vorreiter bei der Forschung, wenn es ums Kinderkriegen geht. Schon das erste deutsche Retortenbaby Oliver W. kam vor 36 Jahren in Erlangen auf die Welt, am 16. April 1982. Er wurde mit Applaus im Kreissaal begrüßt und war damals eine Sensation – auch für Olivers Mutter kurz nach der Entbindung.  

"Das kann ich alles gar nicht glauben – vor allem dass er gesund ist, das kann man gar nicht fassen wie schön das ist, wenn man ihn im Arm hält und dass wir auf Anhieb das erste Ehepaar sind, wo es geklappt hat, das hätten wir uns nie träumen lassen."

Mutter von Oliver W.

Es hat sicherlich viel Mut erfordert, dass sich Olivers Eltern auf dieses Wagnis einließen. Schließlich handelte es sich um ein bis dahin in Deutschland nicht geglücktes Experiment. Doch ihre Sehnsucht nach einem Kind war groß. Sieben Jahre lang hatten sie vergeblich auf Nachwuchs gewartet – bis klar wurde, dass es auf natürlichem Wege nicht klappen würde. Schließlich konnte ihnen das wissenschaftliche Team um Professor Siegfried Trotnow an der Erlanger Uniklinik helfen. Schon vorher hatten die Wissenschaftler an Mäusen und Kaninchen geübt, ihnen immer wieder Eizellen durch die Bauchhöhle entnommen, im Reagenzglas befruchtet und in die Gebärmutter eingesetzt.

In vitro-Fertilisation – "Befruchtung im Glas"

Befruchtung einer Eizelle mit Injektionspipette

Was damals umstritten war, ist heute Routine. Durch die sogenannte In vitro-Fertilisation – kurz: IVF, lateinisch für "Befruchtung im Glas" – sind allein in Deutschland seit den 80er-Jahren weit über 100.000 Kinder gezeugt worden. Vorab ist meist eine Hormonbehandlung der Frau notwendig. Heutzutage gibt es zahlreiche Kinderwunschzentren, in denen Ärzte die IVF und andere Methoden anbieten.

Künstlich hergestellte Eierstöcke

In dem Labor für In-vitro-Fertilisation und Endokrinologie der Erlanger Universitätsfrauenklinik forschen Professor Ralf Dittrich und seine Mitarbeiter beispielsweise daran, einen Eierstock künstlich herzustellen. Das soll Frauen zu einem Wunschkind verhelfen, deren Eierstöcke zerstört wurden, etwa durch eine Chemotherapie zur Behandlung einer Krebserkrankung..

"Man hat heute die Möglichkeit, Follikel vor der Chemotherapie zu entnehmen und einzufrieren, aber bei machen Patienten kann man die Follikel nicht zurück transplantieren. Hier muss man versuchen in vitro, also künstlich außerhalb des Körpers die Eizellen zu reifen. Daran arbeiten mehrere Gruppen weltweit und da ist man immer noch am Anfang, ist schon seit 20 Jahren dran. Man hat es noch nicht vollständig geschafft, aber ich bin zuversichtlich, dass in zehn, 15 Jahren auch für diese Patienten eine Möglichkeit besteht, schwanger werden zu können."

Professor Ralf Dittrich, Leiter IVF- und Endokrinologisches Labor der Unifrauenklinik Erlangen

Frauen, bei denen die Retransplantation des eigenen Eierstockgewebes gelingt, können die Ärzte in Erlangen schon jetzt zum Wunschkind helfen - wie Kristin. Ihr Kind soll bald auf die Welt kommen – und es ist ein Wunder in mehrfacher Hinsicht. Denn vor sechs Jahren erhielt Kristin die Diagnose Lymphkrebs. Damals war sie Mitte Zwanzig und hatte gerade geheiratet. Die Onkologen des Bamberger Klinikums empfahlen ihr, sich vor der anstehenden Chemotherapie beraten zu lassen in der Universitätsfrauenklinik in Erlangen.

"Das war eine ganz neue Methode, dass man ein Stück Eierstock entnehmen und das einfrieren kann. Und deswegen haben wir uns für die OP entschieden. Das ist ein kleiner Eingriff quasi wie eine Bauchspiegelung, zwar unter Vollnarkose, aber das dauert vielleicht zwanzig Minuten."

Kristin

Danach unterzog sich Kristin ein halbes Jahr lang einer Chemotherapie und besiegte den Krebs. Anschließend ließ die junge Frau ihrem Körper erstmal vier Jahre Zeit für die Regeneration. Dann wurde deutlich, dass die Chemotherapie die Funktion ihrer Eierstöcke zerstört hatte und für die junge Frau viel zu früh die Wechseljahre begannen.

Wären da nicht die zwei mal einen Zentimeter kleinen Stücke aus ihren Eierstöcken, die während dieser ganzen Zeit in minus 230 Grad Celsius kaltem Stickstoff lagerten. Das macht dem Gewebe nichts aus, sagt Professor Ralf Dittrich.

"Die ovariellen Gewebestücke werden so klein präpariert, dass das Gefrierschutzmittel sehr gut an die Stückchen ran kann. Man kann also nicht ein ganzes Ovar einfrieren, sondern muss es in Scheiben schneiden. Und danach müssen die Scheiben dann transplantiert werden."

Professor Ralf Dittrich, Leiter IVF- und Endokrinologisches Labor der Unifrauenklinik Erlangen

In einer ersten Operation wurde Kristin die Hälfte der eingefroren Eierstockpräparate wieder eingesetzt. Das reichte jedoch noch nicht aus, um schwanger zu werden. Deshalb folgte vor Ende 2016 eine zweite OP mit dem restlichen Gewebe. Auf diese Weise wurden in den vergangenen sechs Jahren in Erlangen rund 50 Frauen nach einer Krebstherapie die zuvor entnommenen Stücke ihres Eierstockes wiedereingesetzt. Neun von ihnen sind inzwischen Mutter und einige sind schwanger wie Kristin.

Belastende Arztbesuche und Kontrollen

Für Kristin und ihren Mann folgte nach dem Einsetzen des Eierstockgewebes nochmal eine belastende Zeit: Die häufigen Arztbesuche und Kontrollen der Blutwerte und des Hormonspiegels, die anzeigen, ob der neue Eierstock arbeitet. Dann schließlich der Beginn der Schwangerschaft im vergangenen Sommer. Jetzt dreht sich aber erstmal alles um die Geburt ihres Kindes Anfang Februar. Es wird ein Mädchen.

Gebärmutter-Transplantation als einzige legale Möglichkeit

In Deutschland ist sowohl die Eizellspende als auch die Leihmutterschaft verboten. Das heißt, dass eine Frau, die keine Gebärmutter hat, auch kein eigenes Kind bekommen kann. Das betrifft hierzulande rund 25.000 Frauen, die durch eine Fehlbildung, eine Infektion, einen Unfall oder eine Erkrankung keine funktionsfähige Gebärmutter haben. Eine Transplantation ist daher die einzig legale Möglichkeit ihnen zu einem eigenen Kind zu verhelfen.

Erste Erfolge stimmen Kritiker um  

Professor Karl-Heinz Leven, Lehrstuhlinhaber und Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, hält die Gebärmutter-Transplantation für ethisch vertretbar. Das sah die Deutsche Gesellschaft für Reproduktionsmedizin vor vier Jahren noch anders. Ihre Mitglieder konnten sich nicht vorstellen, dass eine Gebärmutter-Transplantation beim Menschen funktioniert. Doch nach den Transplantations-Erfolgen des schwedischen Arztes Mats Brännström haben sie ihre Meinung inzwischen geändert.

"Die Möglichkeit sich fortzupflanzen ist ja auch im Sinne der Weltgesundheitsorganisation ein wichtiges Gut. Die Medizin hat die Aufgabe, Menschen, die das möchten, zu einem Kind zu verhelfen und diese Aufgabe wird weltweit und auch hier in Erlangen sehr ernst genommen. Man könnte fast von einem Menschenrecht sprechen. Ob man dafür jeden Aufwand, der ja nicht nur materiell erheblich ist, treiben kann oder muss – das ist eine andere Frage und muss im Einzelfall entschieden werden. Welche Verfahren dienen tatsächlich nur in Anführungszeichen dem Kranken und sind damit eigentlich unproblematisch, aber wo werden Grenzen überschritten, die man auch als solche erkennen muss?"

Professor Karl-Heinz Leven, Lehrstuhlinhaber und Leiter des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

In diesem Jahr soll das deutschlandweit erste Zentrum für Gebärmuttertransplantation an der Uniklinik Erlangen entstehen. Der Antrag wurde bereits im Bayerischen Gesundheitsministerium bewilligt und im Krankenhausplanungsausschuss sowie dem Hochschulplanungsausschuss abgesegnet.

"Jetzt warten wir noch auf ein Votum der Landesärztekammer, die in einer ad hoc Kommission entscheidet, ob es ethisch vertretbar ist oder nicht. Wir hoffen auf ein positives Votum Ende Januar, Anfang Februar. Dann haben wir alle Regularien erfüllt, sind regulär zugelassenes Transplantationszentrum und können dann anfangen unsere Struktur aufzubauen und dann im Sommer vielleicht die erste Patientin operieren."

Professor Matthias Beckmann, Direktor der Erlanger Universitätsfrauenklinik

Wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt

Seit der Geburt des ersten deutschen Retortenbabys Oliver vor 36 Jahren sind mehr als 100.000 Kinder allein in Deutschland durch künstliche Befruchtung zur Welt gekommen. Doch die Ärzte können nur rund zwei Dritteln aller Paare mit unerfülltem Kinderwunsch tatsächlich helfen. Andrea beispielsweise erinnert sich noch an die schwere Zeit, als sie eine künstliche Befruchtung nach der anderen durchmachte. Neunmal hat sie die ganze Prozedur über sich ergehen lassen – Hormone schlucken, Eizellen entnehmen, im Reagenzglas befruchten lassen und wieder einsetzen. Es hat nicht einmal geklappt. Rund 60 Prozent dieser Schwangerschaften enden frühzeitig mit einem Abgang. Also Warten – Bangen – Hoffen – Trauern. Und das belastende Gefühle, eine unvollkommene Frau zu sein:

"Die Schuld, dass man keine Kinder kriegt. Dem Partner das zu nehmen, Vater zu sein – und damit muss man lernen zu leben. Aber das fällt sehr schwer und ich verstehe auch Ehepaare, die sich trennen. Das durchzustehen ist ein verdammt schmaler Grat, um nicht selber drauf zu gehen, um nicht verrückt zu werden."

Andrea

Kinder zeugen ohne Sex

Die liebende Vereinigung von Mann und Frau braucht es schon lange nicht mehr, um Nachwuchs zu bekommen. Die Fortpflanzung ist sogar ohne eine Partnerschaft möglich. Denn Körperzellen können in Zellen verwandelt werden, aus denen Eizellen und Spermien entstehen.

"Das kann man im Labor tatsächlich machen mit sogenannten Stammzellen – und ursprünglich kann das jede Keimzelle machen. Denn sie ist ja potentiell unsterblich und kann sich unendlich oft teilen und auf diese Mechanismen greift man dann letztendlich zurück, um dann eben aus Zellen, die sich schon differenziert haben, wieder zu entdifferenzieren, dass sie ursprünglich werden, und dass man dann eben alle anderen Zelltypen herstellen kann und eben auch Gameten, Eizellen und Spermien."

Professor Ralf Dittrich, Leiter IVF- und Endokrinologisches Labor der Unifrauenklinik Erlangen

Bei Tierversuchen mit Mäusen ist dies bereits gelungen, sagt Biologe Dittrich. Beim Menschen bislang noch nicht. Aber es ist für die Zukunft denkbar. Auch, dass die so entstandenen Embryonen in künstlichen Gefäßen heranwachsen. Dies ist  in Philadelphia bereits in Tierversuchen gelungen. Dort wurden zu früh geborene Lämmer in eine Art Plastiktüte gesteckt und über ein Versorgungssystem ernährt bis sie überlebensfähig waren.

Doch welche Auswirkungen wird es auf ein Kind haben, wenn ihm neun Monate lang der Kontakt zur Mutter und der Außenwelt fehlen, weil es in einem – wie auch immer gearteten – Gefäß heranwächst? Werden die fehlenden Reize von außen vielleicht durch Musik, Stimmen, Licht und Bewegungen künstlich produziert und in das Gefäß ausgestrahlt? Immer, wenn etwas ganz neu ist und daher auch Erfahrungswerte fehlen, melden sich Kritiker zu Wort. Das gehört zum wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskurs.

Retortenkinder sind Wunschkinder

Auch als 1982 das erste deutsche Retortenbaby in Erlangen auf die Welt kam, befürchtete mancher verheerende psychische Folgen.  

"Das war das Hauptproblem damals, dass man gesagt hat, die Kinder fühlen sich später nicht geliebt, weil sie aus der Kälte, aus dem Labor kommen und nicht aus der Wärme der Vereinigung von Mann und Frau. Es hat sich heutzutage gezeigt, dass es umgekehrt der Fall ist. Die Kinder von Patienten mit Sterilitätsproblemen fühlen sich sehr geliebt von den Eltern, und eigentlich noch mehr geliebt, weil sie ja Wunschkinder sind."

Professor Ralf Dittrich, Leiter IVF- und Endokrinologisches Labor der Unifrauenklinik Erlangen


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