BR Heimat

Bayerisches Feuilleton Ein Lob der Erleuchtung

Lichterglanz am Bodensee | Bild: picture-alliance/dpa/Felix Kästle

Samstag, 12.12.2020
08:05 bis 09:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BR Heimat

Wunderkerzen, Lichterbaum, Gedankenblitz
Ein Lob der Erleuchtung
Von Thomas Kernert

Wiederholung am Sonntag, 20.05 Uhr, Bayern 2
Als Podcast und in der Bayern 2 App verfügbar

"Vor der Erleuchtung: Holz hacken und Wasser tragen. Nach der Erleuchtung: Holz hacken und Wasser tragen." Der Spruch stammt nicht von einem bayerischen Gaudischild, sondern aus dem Zen-Buddhismus. Dennoch spiegelt er die Einstellung des bayerischen Gemüts zu eruptiven zerebralen Großereignissen erstaunlich adäquat wieder: Man verliert sich nicht gleich in spastische Verrenkungen, nur weil man gerade die Idee aller Ideen gehabt zu haben glaubt. Mit Erleuchtungen, Offenbarungen und Geistesblitzen kann man keinen Ofen füttern. Dies wusste schon ein Franzose namens René Descartes, als er im November 1619, auf einer warmen bayerischen Ofenbank sitzend, sein "Cogito ergo sum" ausbrütete. Das "Age of Enlightenment", das "Zeitalter der Erleuchtung" - gemeint ist die Aufklärung - ging an Bayern ziemlich laut- und lichtlos vorüber.

Emotional wesentlich explosiver reagiert der Bayer auf pyrotechnische Eruptionen. Wo’s kracht, stinkt und blinkt, nimmt er mit Leib und Seele Anteil. Das liegt an seinem mediterranen, südlichen Temperament, aber auch an seiner generellen Bereitschaft, sich dem Großartigen, Mirakulösem und Unerklärlichen bereitwillig hinzugeben. Bis heute genießt einer der größten Blender der bayerischen Geschichte, der Märchenkönig, höchste Verehrung. Die leidenschaftlich kolportierte Schlüsselszene zeigt ihn nächtens in einem mittels Batterien elektrisch illuminierten Pferdeschlitten durch eine funkelnde Schneelandschaft dahingleiten: Jeder Bengalo, jedes Feuerwerk, jeder Christbaum erinnert uns wahre Bayern über tausend Kurven, Hügel und Schleichwege an jene nächtliche, königliche Lichtgestalt.

Und wenn wir dann in der Weihnachtszeit mit lichtstarken Phänomenen in Berührung kommen, so sinken wir innerlich auf die Knie und gaffen, träumen und staunen offenen Mundes ins Helle und Grelle. Doch wie wusste schon der Philosoph: Staunen ist der Anfang aller Weisheit.

BR 2018

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