BR Heimat


11

Frohe Eiszeit! Eine kleine Geschichte der bayerischen Kälte

Gegen die Erderwärmung helfen Schneekanonen, gegen Frösteln und Zähneklappern ein Kanonenofen. Und Radiohören! Vor allem dieses Feuilleton können wir wärmstens empfehlen. Eine klimatologisch-wetterkundliche Expedition durch die Kältezonen der bayerischen Landesgeschichte.

Von: Thomas Kernert

Stand: 30.11.2019 | Archiv

Pferd im Schnee, Winter im Schwarzwald | Bild: picture alliance/dpa/Patrick Seeger

Auch wenn sich das moderne Bayern gerne als "Sunshine-State" sieht, Jahrhunderte lang war es verdammt kalt in den weißblauen Breiten: Weiß waren im Winter die Felder und blau die Finger und Zehen. Und das nicht nur während der sogenannten "Kleinen Eiszeit" im 16. und 17. Jahrhundert oder im Horrorjahr 1816 ("Achtzehnhundertunderfroren"), als aufgrund eines indonesischen Vulkanausbruchs in Bayern der Sommer ausfiel.

Der Ausbruch des Vulkans Tambora und das "Jahr ohne Sommer"

Zeitgenössische Darstellung des Ausbruchs des Vulkans Tambora auf den Molukkeninseln mit Segelschiffen im Vordergrund

1816 wird als das "Jahr ohne Sommer" bezeichnet. In Deutschland wurde es als das Elendsjahr "Achtzehnhundertunderfroren" berüchtigt. Als Hauptursache wird heute der Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im April 1815 angesehen, der von Vulkanologen als deutlich stärker eingestuft wird als der Ausbruch des Vesuv im Jahr 79 n. Chr. und jener des Krakatau 1883.

Die durch den Vulkanausbruch in die Atmosphäre geschleuderten Ascheteilchen bewirkten eine anhaltende Verdunkelung, daher wurde es in weiten Teilen der Erde extrem kalt, mit Frost und Schnee mitten im Sommer.

In Mitteleuropa kam es in der Folge zu schweren Unwettern. Zahlreiche Flüsse traten über die Ufer.

Die niedrigen Temperaturen und anhaltenden Regenfälle in Teilen Europas führten zu katastrophalen Missernten. Hungersnöte brachen aus. In der Zentralschweiz war die Hungersnot besonders groß, nach Beschreibungen des Frühmessers Augustin Schibig verzehrten die Leute "die unnatürlichsten, oft ekelhaftesten Sachen, um ihren Heißhunger zu stillen". In Ybrig, in Rothenthurm in der Altmatt und in den Berggegenden "haben die Kinder oft im Gras geweidet wie die Schafe, auch Wiesenblumen waren begehrt".

"Bayerisch-Sibirien"

Erwähnt seien auch die legendären Kriegswinter von 1939 bis 1942 sowie der Februar 1956, als die Messstation Waldsassen in Bayerisch-Sibirien 36,3 Grad Minus meldete. Frieren gehörte in den zentralheizungslosen Zeiten im Winter zum Alltag. Wer nicht erfrieren wollte, ließ sich ein dickes Fell wachsen und suchte die Nähe zum Vieh im Stall oder zum Kachel- bzw. Kanonenofen im Wirtshaus. Ein Gutes hatte die Kälte allerdings schon auch: Das Bier wurde nicht sauer!

Kamin und Kuhstall

Schlafen im Kuhstall (ca. 1902)

Was die innerhäusliche Wärmeerzeugung anbelangt: Es gab die überwölbte Feuerstelle, sprich den Kamin, es gab aber auch und vor allem den Kuhstall, in welchem 3 bis 500 Kilogramm schwere lebendige Öfen standen und wiederkäuten.

Auch wenn die Methan-Freigabe dieser Öfen nicht der Nase schmeichelte, sie rauchten nicht und lieferten Wärme gratis.

Ein Strohbett im Kuhstall galt dem Gesinde lange Zeit als der Himmel auf Erden.

Der Kachelofen

Nürnberger Kachelofen, um1540 hergestellt, in der Veste Coburg

Am Kachelofen saß am Abend währenddessen die Elite: Der Herr Graf, der Bischof, der Patrizier, der Großbauer. Je prächtiger sich ein alter Kachelofen ausnahm, desto seltener stand er in einer Bauernstube.

Was in Ritterburgen bereits ab dem 13. Jahrhundert Standard war, erfreute mitunter erst im 18. Jahrhundert den Landmann.

Im Wirtshaus verrichtete der Kachelofen freilich viel früher schon seine Gemütlichkeit erzeugenden Dienste, weshalb sie, der Ofen und das Wirtshaus, viele Gemütlichkeit suchende Männer seit uralten Zeiten magisch anziehen.

Der Kanonenofen

Historischer Kanonenofen

Zu den friedlichsten Feuerwaffen überhaupt zählt darüber hinaus der Kanonenofen.

Gußeiserne Kastenöfen gab es schon im Mittelalter, doch erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlaubte es die industrielle Gießtechnik, Öfen in allen Formen und in großer Stückzahl herzustellen.

Namensgebend für den Kanonenofen war seine ursprünglich zylindrische Form, die freilich reichlich variiert wurde, so dass manche dieser Feuerstätten eher an überdimensionale Zuckerdosen oder Urnen erinnerten.

Kompaktheit und Heizkraft machten sie zu idealen Mitbewohnern in den kleinen Etagenwohnungen der Großstädte.

Das Gebirge aus Daunendecken

Schlafzimmer auf einem Bauernhof in Berchtesgaden

Da der Kanonenofen freilich dazu tendierte, im Laufe der Nacht zu erlöschen, war es dringend ratsam, sich in den kälteren Jahreszeiten rechtzeitig unter einem riesigen Daunendeckengebirge eine warme Höhle zu schaffen.

Nur so konnte man sich in thermostatlosen Zeiten den Frost vom Leibe halten und weitgehend angstfrei in die Unermesslichkeiten der Träume tauchen.

War besagtes Daunendeckengebirge weißblau kariert, konnte man davon ausgehen, dass darunter ein Bayer, eine Bayerin von warmen Genussmitteln träumte. Der Vermehrung der Bettwanze begegnete man mit Gelassenheit.

Wie hieß es im alten China: Auch hundert Wanzen können keine Bettdecke hochheben!


11