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Frank Wedekind Bürgerschreck auf Bewährungsprobe

Frank Wedekinds Sehnsucht, als Dramatiker zu reüssieren, blieb lange Zeit unerfüllt. Seine Bühnenstücke, in denen er die verklemmte Sexualmoral seiner Zeit anprangerte, erregten oft öffentliche Empörung und wurden zensiert. Anlässlich seines 100. Todestages am 9. März, hat sich Katinka Strassberger auf die Spur des rebellischen Künstlers begeben.

Von: Katinka Strassberger

Stand: 03.03.2018 | Archiv

"Eine Männertragödie" – so nannte Frank Wedekinds Enkel Anatol Regnier die Biografie, die er über seinen berühmten Großvater geschrieben hat. Es ist die Chronik eines bewegten Künstlerlebens, das geprägt war von trotzigem Aufbegehren gegen heuchlerische Moral im wilhelminischen Kaiserreich und von verzweifeltem Ringen um öffentliche Anerkennung. Frank Wedekinds Sehnsucht, als Dramatiker zu reüssieren, blieb viele Jahre unerfüllt. Seine Bühnenstücke, in denen er die verklemmte Sexualmoral seiner Zeit anprangerte, galten als unverschämt provokativ und unsittlich. Nur wenige Theater wagten es, sie zu inszenieren, denn stets war mit öffentlicher Empörung und Interventionen der Zensurbehörde zu rechnen.

"Ist die Sexualität ein Segen oder ein Fluch?"

Die doppelbödige Art und Weise, wie Frank Wedekind - nicht zuletzt auch mit den Mitteln der Satire - die gesellschaftlichen Tabus der Kaiserzeit traktierte, wirkte irritierend. Aus seiner kritischen Haltung im Hinblick auf die verklemmte und heuchlerische Sexualmoral der damaligen Zeit machte er keinen Hehl.

Anatol Regnier (Wedekindenkel und -Biograf) auf der Bühne des BR-Funkhauses (2016)

"Wedekinds Fragestellung war nach der Bedeutung der Sexualität, wie man die überhaupt verstehen kann, ist die ein Segen oder ist es ein Fluch? Ist es eine Geißel der Menschheit, weil man nicht davon los kommt, oder ist es die höchste Erfüllung, oder ist es beides? Das war ja sein Thema."

(Anatol Regnier im Interview mit Katinka Strassberger, München, 01.02.2018)

Um 1900 galt es allerdings als unsittlich, öffentlich darüber zu sprechen. Schon gar nicht auf einer Theaterbühne!

Festungshaft wegen Majestätsbeleidigung

Frank und Tilly Wedekind (um 1912)

Aufgrund der Schwierigkeiten sah sich Frank Wedekind in zunehmendem Maße dazu gezwungen, seinen Lebensunterhalt als Werbetexter und schließlich als Satiriker zu bestreiten. Schon bald gehörte er zu den meistpublizierten Autoren des legendären Wochenblatts "Simplicissimus". Eine bissige Persiflage zur Palästina-Reise von Wilhelm II. brachte ihm 1899 eine Anzeige wegen Majestätsbeleidigung und mehrere Monate Festungshaft ein. Mit der Interpretation eigener Lieder und Texte auf Münchens Kleinkunstbühnen, insbesondere als Mitglied der Kabarett-Gruppe "11 Scharfrichter", wurde er berühmt.

"Frühlings Erwachen"

"Frühlingserwachen" von Frank Wedekind, inszeniert von Claus Peymann (Berlin, 2008)

Erfolg als Dramatiker hatte er jedoch erst 1906 – durch Max Reinhardts Berliner Inszenierung von "Frühlings Erwachen". Es ist vor allem dieses Stück – mehr noch als seine "Lulu" –, das Frank Wedekinds Nachruhm als Theater-Autor bestimmt. Das einst skandalträchtige Drama um die Wirrungen sexueller Selbstbestimmung von Jugendlichen gilt heute als Klassiker, fand Eingang ins Repertoire zahlreicher Theater und saogar in die Lehrpläne von Schulen. – Was die Frage aufwirft: Welchen Erkenntnisgewinn kann uns Frank Wedekinds Gedankenwelt in Zeiten von Youporn und – zumindest offiziell für erreicht erklärter – Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau heute noch liefern?

Seit der Uraufführung von "Frühlings Erwachen" hat sich viel verändert. Die Zensoren von einst sind Geschichte und die Tabus, gegen die sich Frank Wedekind auflehnte, sind es auch.

"Wir leben in einer scheinbar aufgeklärten Gesellschaft, die Jugendlichen von heute wissen scheinbar schon alles über Sexualität, und Wedekind beschreibt ja eine Gesellschaft, in der die Erwachsenen-Generation sehr viel verklemmter und unfreier mit Themen wie Sexualität umgeht und die Jugendlichen genau darunter leiden, dass sie nicht aufgeklärt sind. Ich sage aber deshalb 'scheinbar', weil: der Zugang zur eigenen Sexualität ist heute genauso problematisch wie damals."

(Jan Friedrich, Autor und Regisseur)

Im Grunde, meint Jan Friedrich, sei sexuelle Fremdbestimmung ja auch heute ein Problem, nur eben anders maskiert.

"Es gibt neue Einflüsse wie z. B. Pornografie, die man in sehr jungem Alter konsumiert, die bereits Stereotype im Kopf manifestieren, oder sehr starke Bilder von Geschlechterrollen manifestieren und dadurch auch einen eigenen Zugang zu Sexualität versperren, bevor man überhaupt erste eigene sexuelle Erfahrungen machen kann, hat man schon unendlich viele Bilder im Kopf, wie das Ganze auszusehen hat, und dadurch ist man seiner eigenen Sexualität genauso entfremdet wie damals die Jugendlichen durch Mechanismen wie die große Verdrängung von allem Sexuellen."

(Jan Friedrich, Autor und Regisseur)

Veranstaltungshinweis:

FRÜHLINGS ERWACHEN
Eine Kindertragödie von Frank Wedekind


Schauburg München
Franz-Joseph-Straße 47
80801 München

Inszenierung: Jan Friedrich
Termine: 01./02./03.03.2018 + 25.04.2018

https://www.schauburg.net/de/fruehlings-erwachen

Buchtipps:

"Ein winzig Bild vom großen Leben"
Zur Kulturgeschichte von Münchnens erstem Kabarett Die Elf Scharfrichter (1901–1904)

  • Autorin: Judith Kemp
  • Taschenbuch: 408 Seiten
  • Verlag: Buch&Media - Alitera Verlag; Auflage: 1 (11. Oktober 2017)
  • ISBN-10: 386906921X
  • ISBN-13: 978-3869069210


"Frank Wedekind. Eine Männertragödie"

  • Autor: Anatol Regnier
  • Gebundene Ausgabe: 464 Seiten
  • Verlag: Albrecht Knaus Verlag; Auflage: 1. Aufl. (22. September 2008)
  • ISBN-10: 3813502554
  • ISBN-13: 978-3813502558

CD-Tipp:

"Greife wacker nach der Sünde: Lieder und Gedichte"

  • Interpreten: Anatol und Carola Regnier
  • Audio CD
  • Verlag: AirPlay-Entertainment (1. Januar 2005)
  • ISBN-10: 393516842X
  • ISBN-13: 978-3935168427

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