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Die "Kreativ-Bürger" Oberfranken stemmen sich gegen demografischen Wandel

Leerstehende Häuser, schließende Schulen – manchen bayerischen Regionen macht der demografische Wandel zu schaffen. Sich dagegen zu stemmen ist nicht einfach. In Oberfranken versuchen es die Menschen trotzdem – mit Erfolg.

Von: Carlo Schindhelm

Stand: 08.02.2019 | Archiv

In der oberfränkischen Region Kronach glauben die Menschen fest daran, dass die eigene Heimat eigentlich viel zu bieten hat. Mit Erfolg suchen sie nach neuen Lösungen im Kampf gegen die Landflucht – und sind auf ihre Art Pioniere. Denn von den Kommunen ist angesichts leerer Kassen meist nicht viel zu erwarten. Aus der Not heraus entsteht ein bürgerschaftliches Engagement, das über einen Dorfladen zur Sicherung der Nahversorgung für ältere Menschen weit hinaus geht.

Region lebenswerter und attraktiver machen

Vor 15 Jahren begann etwa der Kronacher Unternehmer Rainer Kober, nach Strategien gegen den Bevölkerungsschwund zu suchen. Als Vorsitzender des Vereins "Kronach Creativ" motivierte er bald auch andere. Inzwischen gibt es den Verein seit über 20 Jahren und immer wieder stoßen die "kreativen Bürger" neue Projekte an, um die Region lebenswerter und attraktiver zu machen.

Bevölkerungsschwund im Landkreis Kronach

Rainer Kober ist erfolgreicher Unternehmer für technisches Porzellan. Für sein gesellschaftliches Engagement erhielt er 2011 das Bundesverdienstkreuz. Nach dem Mauerfall bemerkte er, wie es in seiner Heimat abwärts ging. Die staatliche Förderung im Grenzgebiet zur ehemaligen DDR fiel weg. Unternehmen zogen weiter in die neuen Bundesländer. Lebten 1987 noch rund 75.000 Menschen im Landkreis Kronach, waren es 2014 schon 7.000 weniger. Und den Prognosen zu Folge sollen  bis 2035 nur noch gut 59.000 Menschen im Landkreis leben.

"Der Eindruck in der Bevölkerung: Hier geht nichts. Hier ist man verlassen. Uns hilft keiner – es hat sowieso keinen Sinn. Und diese depressive Haltung ist natürlich alles andere als Initiative erzeugend. Und das war mir sehr schnell bewusst geworden. Das müssen wir drehen."

Rainer Kober, Unternehmer

Eigeninitiative durch Perspektive

Aber wie lässt sich der Negativtrend umkehren? Einen politisch vorgegebenen Handlungsleitfaden gab es nicht. Rainer Kober konzentrierte sich mit seiner knappen Zeit als Unternehmer darauf, das bürgerschaftliche Engagement zu aktivieren. Mut machen, Perspektiven aufzeigen.

"Unser Slogan war eben Eigeninitiative durch Perspektive. Wenn man also Menschen eine Perspektive aufzeigt – und darauf haben wir uns konzentriert, das zu erarbeiten und wirklich zu demonstrieren – dann werden Menschen auch aktiv, auch durchaus zum eigenen Nutzen. Das ist ganz in Ordnung, aber eben auch zum Nutzen der Region."

Rainer Kober, Unternehmer

Wie lässt sich eine Region lebenswerter machen, damit die Menschen bleiben und andere vielleicht sogar herziehen? Wie das funktionieren kann, zeigen Beispiele aus dem Frankenwald.  

Das Projekt Kommunalmarketing in Stockheim

Margarita Volk-Lovrinovic und Gemeinderätin Silvia Weissbach im Stockheimer Rathaus

Dort, im Stockheimer Rathaus, ist Margarita Volk-Lovrinovic fast schon Dauergast. Sie leitet das Projekt Kommunalmarketing, das aus dem Verein Kronach Creativ entstanden ist. Sie trifft immer wieder engagierte Stockheimer Bürger, wie Silvia Weissbach. Die ist eine typische Rückkehrerin. Nach der Schule verließ sie zunächst ihre Heimat. Lebte viele Jahre in Heidelberg. Verheiratet und als Mutter von vier Kindern kehrte sie nach Stockheim zurück. Dort genoss sie die Unterstützung ihrer Eltern bei der Kinderbetreuung.

In der Schule als Elternbeirätin begann das Engagement von Silvia Weissbach. Als ein Schulneubau anstand, saß sie zunächst als Zuhörerin im Gemeinderat. Inzwischen ist die 62-Jährige selbst Gemeinderätin. Auch andere wollen etwas in ihrer Heimat verändern. Mit ihnen hat Margarita Volk-Lovrinovic lange Interviews geführt und die Ergebnisse protokolliert.

"Mir geht es auch darum – was glauben sie, wie könnte man vor Ort den Menschen für die Ziele der Gemeinde motivieren und aktivieren und, dass die Menschen vor Ort Eigeninitiative entwickeln und im Sinne der Gemeindeentwicklung sich hier vor Ort engagieren? Da kann man niemanden dazu bewegen, der kein Interesse an den Dingen hat. Aber man kann durch nachbarschaftliche, durch familiäre Beziehungen die Leute einbinden und sie dafür begeistern."

Margarita Volk-Lovrinovic

Aus den Interviews mit solchen Bürgern hat sie eine Art Fahrplan entwickelt, mit Entwicklungszielen und Handlungsleitfäden. Bei deren Umsetzung wird die Gemeinde Stockheim vom Projekt "Kommunalmarketing" unterstützt. Inzwischen werden von den Projektverantwortlichen drei weitere Gemeinden gesucht, die sich auf diesen Prozess einlassen möchten. Kommunen können sich aktuell darauf bewerben. Läuft alles nach Plan, werden noch heuer weitere Interviews mit Bürgern geführt.

Finanziert wird das Projekt "Kommunalmarketing" zu einem Großteil vom Freistaat und von der Oberfrankenstiftung. Genug Fördergeld ist vorhanden, sagt Rainer Kober. Aber es fließt eben nicht von alleine.

"Leider ist eine ziemliche Bürokratie damit verbunden. Ich habe zum Beispiel für unser Projekt Kommunal-Marketing meinen Sommerurlaub vollkommen geopfert, weil ich diesen Antrag geschrieben habe. Aber ich wollte das eben. Urlaub hin, Urlaub her – das war mir wichtiger."

Rainer Kober, Unternehmer

Die Arnikastadt Teuschnitz

Ein Vorbild für das Projekt Kommunalmarketing ist die Arnikastadt Teuschnitz im Landkreis Kronach. Die Gemeinde hat bereits große Anstrengungen unternommen: Eine Perspektive für die Zukunft entwickelt, sich ein Leitbild gegeben. Der Ortskern ist geprägt von Sandsteinhäusern und einer Kirche, die alle anderen Häuser überragt. Noch hat Teuschnitz einen gesunden Ortskern, Leerstände gibt es nur wenige. Etwas abseits stehen zwei große Flachdachgebäude: Die Grundschule und die ehemalige Hauptschule. Früher besuchten einmal 650 Schüler das Schulzentrum in Teuschnitz, sagt Oliver Plewa.

"Jetzt haben wir noch knapp 90 Schüler hier vor Ort und ein Gebäudeteil stand komplett leer. Es war sozusagen Glück im Unglück, aber wir konnten den Gebäudeteil jetzt einfach für die Zwecke einer Arnikaakademie nutzen."

Oliver Plewa, Netzwerkmanager in Teuschnitz

Statt Hauptschülern kommen jetzt Erwachsene und lernen die Verarbeitung und Anwendung von Kräutern und Heilpflanzen. Vor der Arnikaakademie ist auf der Fläche des ehemaligen Schulhofes ein Kräuterschaugarten entstanden. Ehrenamtliche haben 3.500 Stauden und Kräuter gepflanzt. Die erste Ernte lagert sorgsam verwahrt in einem Regal.

Oliver Plewa ist als sogenannter Netzwerkmanager fest angestellt, koordiniert das Arnika-Projekt und wird aus Fördermitteln der EU und des Freistaats Bayern bezahlt. Am Anfang des Projektes stand wie so oft noch nicht einmal eine Idee, eigentlich nur eine Ahnung oder zumindest der Wille zu einer Veränderung. Die Bürger hatten sich zusammen gesetzt und gemeinsam gehirnt: Wie soll es weitergehen? Industrie und Gewerbe gibt es nicht viel in und um Teuschnitz herum. Dafür aber Natur.

"Damals ist das Landschaftsschutzgebiet etwas belächelt worden. Jetzt nimmt man es eigentlich erst wieder wahr. Machen wir halt ein Fest draus. Das haben wir dann Arnikafest genannt. Weil wir schon ein Wiesenfest in Teuschnitz hatten und da haben wir dann das erste mal gemerkt, dass sich wieder ganz viele Menschen für Natur und Gesundheit interessieren."

Gabriele Weber, Bürgermeisterin von Teuschnitz

Die Bürger gaben sich das Leitbild Natur und Gesundheit. Begonnen hatte es mit viel ehrenamtlichem Engagement. Inzwischen kümmert sich Oliver Plewa um die Koordination und wenn es gut läuft, wird sich seine Stelle wohl einmal selbst tragen, auch ohne Fördermittel.

Ein Projekt - viele Profiteure

Auslage in der Metzgerei Wagner in Teuschnitz - mit "Köstlichkeiten aus der Arnikastadt Teuschnitz"

Die Menschen in Teuschnitz profitieren von der Arnikaakademie auf mehreren Ebenen: Es kommen mehr Besucher in den Ort und zahlen für Verpflegung und Unterkunft. Zwölf Dozenten engagieren sich bei dem umfangreichen Programm der Akademie mit Seminaren, Kochkursen und Kräuterführungen. Auch eine ortsansässige Metzgerei hat sich von der Begeisterung für heimische Kräuter anstecken lassen. In der Ladentheke liegen Biofleisch vom Weiderind, Biofleisch im Glas und Bärwurz-Würste. In einem Regal in der Metzgerei stehen außerdem Honig, Öle und verschiedene Kräutersalze. Daneben hängt ein Schild: "Köstlichkeiten aus der Arnikastadt Teuschnitz".

Metzger Helmut Wagner stand bereits vor der Entscheidung, seinen Laden zuzusperren, sagt er offen. Mit der herkömmlichen Arbeitsweise sah er für seinen Handwerksbetrieb kaum noch eine Zukunft. Dann setzte er auf Biofleisch und andere Produkte aus der Region.

"Wir haben mittlerweile Kundschaft aus dem ganzen Landkreis, die auch extra wegen unserem Fleisch kommt und dann natürlich auch solche Sachen mitnimmt. Das zieht mittlerweile Kreise bis Bamberg und so weiter – noch vereinzelt. Aber es wächst. Das ist natürlich auch ein gutes Gefühl. Wir sind wieder auf dem aufsteigenden Ast."

Helmut Wagner, Metzger

Viele wandern zu, aber zu viele sterben

Auch künftig werden Regionen wie Kronach, Kulmbach, Hof und Wunsiedel mit dem Bevölkerungsrückgang zu kämpfen haben. Aber nicht weil die Region nicht lebenswert wäre und die Menschen wegziehen, betont Frank Ebert vom Demografie-Kompetenzzentrum.

"Also wir sind eine Zuwanderungsregion, das muss man mittlerweile echt festhalten. Bei uns ziehen mehr Leute nach Oberfranken, als dass Leute wegziehen. Aber, und das ist einfach nicht wegzudiskutieren – wir haben einen Sterbeüberschuss und daran können wir auch nichts ändern."

Frank Ebert, Demografie-Kompetenzzentrum Oberfranken

Wissen sammeln – und weiter vermitteln

Die Gemeinden müssen sich daher auch in den nächsten Jahren auf Probleme einstellen: Leerstehende Häuser, Probleme bei der Nahversorgung und beim öffentlichen Nahverkehr. Doch die Oberfranken sind erfinderisch und sind inzwischen darin geübt, zusammen zu stehen und gemeinsam Projekte auf den Weg zu bringen. Über die Jahre hat sich so viel Wissen angesammelt.

Eines Tages könnte das Wissen um den Umgang mit demografischen Herausforderungen nicht nur gesammelt, sondern auch weiter vermittelt werden, überlegt der Unternehmer Rainer Kober. Er kann sich vorstellen, dass die Oberfranken auch andere Regionen in Bayern und Deutschland von ihrem Wissen profitieren lassen in Form einer "Oberfränkischen Akademie". Das könnte ein nächstes Projekt sein.


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