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König Ludwigs Gebiss Eine kleine Geschichte der Zahnheilkunde

Es nagt der Zahn der Zeit an uns – und unseren Zähnen. Das Bayerische Feuilleton unternimmt eine Tour de force durch die Geschichte der Dentologie, mit royalem Zuschnitt und dem Schwerpunkt auf bayerischen Befindlichkeiten. Ein zahnloses Feuilleton mit Biss von Ulrich Zwack.

Von: Ulrich Zwack

Stand: 28.08.2021 | Archiv

Der Bericht über die Obduktion der Leiche Ludwig II. beschreibt den körperlichen Zustand des Märchenkönigs zum Zeitpunkt seines Todes bis ins kleinste Detail. Nur über die mögliche Todesursache schweigt er sich vornehm aus. Das ist ziemlich merkwürdig und bietet bekanntlich bis zum heutigen Tag Anlass zu allerlei Spekulationen und Verschwörungstheorien.

Dass sich das Gebiss Seiner Majestät für einen noch nicht einmal ganz 41-Jährigen in einem erschreckend traurigen Zustand befand, steht dagegen zweifelsfrei fest. Die ersten Zähne verlor Ludwig schon in jungen Jahren.

"In (den vergangenen) neun Jahren war viel verschwunden von jener Jünglingsschönheit, die damals von ihm ausgestrahlt hatte.

Er war zu dick geworden, die fahle Gesichtsfarbe war nicht hübsch, das Fehlen mehrerer Zähne entstellte ihn beim Sprechen und machte das Verstehen der hastig herausgesprudelten Worte noch schwieriger."

(Felix Dahn über König Ludwig II.)

Jahrzehntelang kämpfte Ludwig II. mit Zahnschmerzen

König Ludwig II. von Bayern, unser "Kini", war eine echte Naschkatze. Pralinés, Konfekt und anderen Süßigkeiten konnte er ebenso wenig widerstehen wie säurehaltigen Weinen, insbesondere Champagner.

Von Zahnhygiene hielt er jedoch gar nichts. Entsprechend verheerend war der Zustand seines Gebisses. Jahrzehntelang plagten ihn furchtbare Zahnschmerzen, er roch sehr unangenehm aus dem Mund und als er – erst 41 Jahre alt – starb, besaß er im Oberkiefer keinen einzigen Zahn mehr und im Unterkiefer nur mehr ein paar wackelige, schwarze Stummel.

"Ab Mitte 20 war es dann so, dass er schon beide Schneidezähne verlor, also die oberen beiden Schneidezähne. Das muss für den König, der sehr auf Ästhetik und einen guten Auftritt bedacht war, ein sehr großer Schock gewesen sein. (...)

Er muss wohl nicht sehr gern zum Zahnarzt gegangen sein. So ist es wirklich festzustellen, dass er leider nach und nach durch Parodontose und durch Karies Zähne verlor und dann erst, als es fast schon zu spät war, einer richtigen zahnmedizinischen Extraktionsbehandlung zustimmte."

(Julian Traut, Historiker, München)

Drogen gegen den Dauerschmerz?

Gewiss hat Ludwig seine Zahnschmerzen auch unter Zuhilfenahme der damals gebräuchlichen und zugänglichen Schmerzmittel zu betäuben versucht. Manche Quellen sprechen von Morphium, Laudanum, Kampfer und dergleichen. Die Frage, ob und in welchem Umfang der jahrelange Gebrauch solcher Substanzen seinen Geistes- und Gemütszustand nachhaltig beeinflusst hat, eröffnet ein weites Feld für Spekulationen.

Einige Zahnärzte experimentierten damals auch mit dem Einsatz von Opium oder Kokain zur Lokalanästhesie. Dies war jedoch nicht jedermanns Sache, denn man ging dabei nicht sonderlich sanft vor. So heißt es in einer medizinischen Studie aus New York über eine Kieferinjektion mit Kokain:

"Nach drei Minuten setzte Taubheit und ein Prickeln der Haut ein. Nach sechs Minuten war die linke Hälfte der Unterlippe gefühllos. Eine vollständig durch die Lippe gezogene Stecknadel verursachte keinerlei Empfinden. Starke Schläge gegen die Zähne mit einem Messerrücken verursachten (ebenfalls) kein Empfinden."

(Medizinische Studie, New York)

Auch dem französischen Sonnenkönig fehlten alle Zähne

Mit seinen Zahnproblemen befand sich der Wittelsbacher freilich in allerbester Gesellschaft: Ludwig XIV. von Frankreich, dem "Sonnenkönig", fehlten sämtliche Beißer, Friedrich dem Großen von Preußen im Alter die Vorderzähne.

George Washington litt unter notorisch schlechtsitzenden Zahnprothesen. Queen Victoria verfügte nicht über die nötige Geduld, sich dritte Zähne anpassen zu lassen.

Und der "Märchenkönig"? Hasste Zahnärzte ganz generell. Preußische ließ er erst gar nicht an sich heran. Dabei machte die Zahnheilkunde just zu seiner Zeit – und nicht zuletzt in Preußen – gewaltige Fortschritte.


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