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Annette Kolb und Bayern Eine schwierige Liebe

Aus Anlass von Annette Kolbs 50. Todestag am 3. Dezember 2017 erzählt Armin Strohmeyr die Geschichte dieser schwierigen Liebe und lässt die Dichterin auch im Originalton zu Wort kommen.

Von: Armin Strohmeyr

Stand: 02.12.2017 | Archiv

Annette Kolb | Bild: Süddeutsche Zeitung Photo

Für die Schriftstellerin Annette Kolb (1870–1967) war die Bindung an München und Bayern mehr als nur eine Frage der Geburt. Sowohl die Wittelsbacher Monarchie als auch die Republik Kurt Eisners oder auch der 1946 diskutierte Alleingang Bayerns außerhalb eines föderalen deutschen Staates waren für sie beinahe erreichte Utopien einer Gesellschaftsform, in der Friedensliebe, Toleranz, Kunstsinnigkeit und Freiheit gleichermaßen verwirklichbar schienen. Dabei betrachtete sie Bayern nicht nur von innen heraus, sondern auch aus ihrer Sicht der Halbfranzösin (der Vater war Bayer, die Mutter Französin), der weitgereisten Kosmopolitin und der Exilantin.

Hermann Kesten

"... ihre Koketterien, ihre lächelnde Grazie, die leichte Hand und der scharfe Blick, das urbane Betragen und das unerschrockene Wort, eine dezente Kühnheit, das Air der großen Dame und die verschwiegene Melancholie, die holden kleinen Ungeschicklichkeiten der Sprache, die boshaften Gallizismen, der unverlierbar frische Hauch der vornehmen Dilettantin und der Kunstverstand der echten Dichterin, das alles ergibt eine reizende Mischung von deutscher Grazie und französischem Esprit, den Glanz europäischer Humanität."

(Hermann Kesten, Schriftsteller (1900-1996))

Sie hegte eine große Sympathie für die bayerische Republik unter Kurt Eisner

Annette Kolb am Klavier (1930)

In ihrer Ansicht von der bayerischen Liberalitas wurde sie bitter enttäuscht, als sie im Ersten Weltkrieg vom bayerischen Geheimdienst überwacht wurde und bereits ein Prozeß wegen Landesverrats gegen sie vorbereitet wurde. Nach dem Krieg hegte sie eine große Sympathie für die bayerische Republik unter Kurt Eisner. In den 20er Jahren lebte sie außerhalb Bayerns in Badenweiler und verachtete die Kleinheit und Kleinlichkeit der Vaterstadt München. 1933 zog sie nach Paris, 1941 ging sie ins Exil nach New York. Als 1946 ein souveräner Alleingang Bayerns außerhalb eines föderalen Deutschlands diskutiert wurde, befürwortete sie dies und sah darin eine Möglichkeit für den Aufbau eines friedlichen Staatenbundes zwischen den Machtblöcken von Ost und West.

Annette Kolb wurde in Bayern nie mehr so recht heimisch

Annette Kolb erhält vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Alfons Goppel den Stern zum Bundesverdienstkreuz. (1967)

1961 endlich nach München zurückgekehrt, wurde sie in Bayern nie mehr so recht heimisch, reiste häufig in ihre Wahlheimat Paris und ließ sich doch voller Stolz von der bayerischen Staatsregierung hofieren, wobei man nicht müde wurde, sie nicht nur als Dichterin und Pazifistin zu loben, sondern auch als patriotische Bayerin – was letztlich eine etwas einseitige und verkürzte Vereinnahmung war.

Am 2. Februar 1965 sandte der damalige bayrische Ministerpräsident Alfons Goppel der Schriftstellerin Annette Kolb den folgenden Glückwunschbrief zum Geburtstag:

"Sehr verehrte gnädige Frau!
Ihr 90. Geburtstag ist für alle der Literatur zugewandten Deutschen ein Freudentag, besonders aber für uns Bayern, da Sie als gebürtige Münchnerin und Ihrer bayerisch-französischen Abstammung nach zu den unseren gehören. Bayern rechnet es sich daher zur Ehre an, daß dem deutschen Volke in Ihrem Namen ein Leitstern erschienen ist auf dem gemeinsamen Wege der Freundschaft mit der französischen Nation."

(Alfons Goppel)

Sie bevorzugte es, als "gnädiges Fräulein" angesprochen zu werden

Annette Kolbs Grab auf dem Alten Bogenhausener Friedhof in München

Was der bayerische Ministerpräsident nicht wußte: Zum einen wurde Annette Kolb nicht 90, sondern 95 Jahre alt; dies bekannte sie der staunenden Öffentlichkeit an jenem Februartag 1965. Sie hatte zu Beginn der 20er Jahre auf das Geburtsdatum in ihrem Paß Tinte gekleckst und sich daraufhin auf dem Amt jünger ausgegeben.

Der zweite, wirklich unverzeihliche Faux pas des Ministerpräsidenten Goppel: er sprach Annette Kolb mit "gnädige Frau" an; dabei wußte alle Welt, daß sie Wert darauf legte, als "gnädiges Fräulein" tituliert zu werden. Aber abseits dieser Äußerlichkeiten fällt an Goppels Brief doch auf, in welcher Weise die greise Dichterin von ihrer Umwelt einseitig vereinnahmt wurde: sie galt als bayrisches Original.

Von ihr hatte sich in den 50er und 60er Jahren das Bild festgesetzt, sie sei eine schrullige und liebenswürdige Alte, die riesige Hüte trägt, ein Schafsgesicht besitzt, die sonntags nach der Messe zum Weißwurstessen in den Franziskanerkeller geht und mit Prinzen und Baronessen verkehrt. Wenngleich Goppel dies in seinem Brief so nicht ausdrücklich schreibt: der Hinweis, Annette Kolb gehöre "zu den unseren", schiebt sie doch – bewußt oder unbewußt – in die Ecke des Heimatlichen, Folkloristischen, Vaterländischen. Gerecht wird er der komplexen und paradoxen Persönlichkeit der Jubilarin damit nicht. Und er legt sie auf ein Bayernbild fest, das sie in so einfacher, fest umrissender Form nie erfüllte und auch nie erfüllen wollte.

Buchtipps:

Annette Kolb: Dichterin zwischen den Völkern

  • Autor: Armin Strohmeyr
  • Taschenbuch: 368 Seiten
  • Verlag: Piper Taschenbuch (2. Oktober 2017)
  • ISBN-10: 3492312179
  • ISBN-13: 978-3492312172

"'D’Leut ärgern' wählte sich Annette Kolb (1870‒1967) schon als junges Mädchen zum Motto, doch nicht aus Bosheit, sondern weil sie ihre Meinung offen vertreten wollte. Sie war scharfsinnig und naiv, sie war Pazifistin und ging keiner Fehde aus dem Weg, sie trug als Deutsch-Französin zwei Vaterländer in ihrem Herzen und hatte Europa im Kopf. Ihre Bücher vermitteln eine große Leichtigkeit, dabei fiel ihr das Schreiben zeitlebens schwer. Diese Biografie erzählt die aufregende Geschichte ihres Lebens, die exemplarisch ist für ein von Anerkennung und Verfolgung gleichermaßen bestimmtes Schriftstellerdasein im 20. Jahrhundert."


Werke (Bibliothek der Wüstenrot Stiftung. Autorinnen des 20. Jahrhunderts)

  • Autoren: Annette Kolb; Albert von Schirnding
  • Herausgeber: Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung; Wüstenrot Stiftung; Günter und Hiltrud Häntzschel
  • Gebundene Ausgabe: 2264 Seiten
  • Verlag: Wallstein; Auflage: 1 (22. November 2017)
  • ISBN-10: 3835331108
  • ISBN-13: 978-3835331105

Werke:

  • 1899: Kurze Aufsätze, ihr erstes Buch
  • 1906: L'Ame aux deux patries, gesammelte Feuilletonartikel
  • 1913: Das Exemplar, Roman
  • 1917: Briefe einer Deutsch-Französin
  • 1921: Zarastro. Westliche Tage, Erinnerungen an 1917/18
  • 1924: Wera Njedin, Erzählungen und Skizzen
  • 1925: Spitzbögen, Novelle
  • 1928: Daphne Herbst, Roman
  • 1929: Versuch über Briand, Porträt des Staatsmannes
  • 1932: Beschwerdebuch, Essays
  • 1934: Die Schaukel, Roman
  • 1937: Mozart. Sein Leben., Biografie
  • 1941: Schubert. Sein Leben., Biografie
  • 1947: König Ludwig II. von Bayern und Richard Wagner, Skizzierung
  • 1951: Präludium zu einem "Traumbuch", in "Die neue Rundschau, Jg. 62, 1951, H. 1(3)
  • 1954: Blätter in den Wind, Essays
  • 1960: Memento, Erinnerungen an die Emigration
  • 1964: Zeitbilder. Erinnerungen 1906-1964

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