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400 Jahre analog – und jetzt? Die Würzburger Universitätsbibliothek

Vor 400 Jahren wurde die Würzburger Universitätsbibliothek gegründet. Was im Dreißigjährigen Krieg als Professorenbibliothek begann, hat sich zu einem logistischen Großunternehmen entwickelt. Die nächste große Herausforderung ist die Digitalisierung.

Von: Jochen Wobser

Stand: 04.06.2019 | Archiv

Die Würzburger Universitätsbibliothek feiert 2019 ihr 400-jähriges Bestehen. Sie ist die älteste kontinuierlich an einem Ort bestehende Uni-Bibliothek in Bayern und gehört zu den ältesten Hochschulbibliotheken in Mitteleuropa.

Die alte Uni in der Domerschulstraße in Würzburg

In der Domerschulstraße in Würzburg ist die Juristische Fakultät mit ihrer Teilbibliothek untergebracht, eine von 17 im gesamten Stadtgebiet. Hier in der Alten Universität hat alles begonnen.

"Das ist die Keimzelle der Universität, aber eben auch der Universitätsbibliothek. Hier war der erste Standort seit 1619, in diesem Geviert, das ist ja ein ganz großer Bau. Das war damals das größte Universitätsgebäude in Europa. Hier sind wir unmittelbar in der Keimzelle dieser UB."

Hans-Günter Schmidt, Bibliotheksdirektor

Kein formeller Gründungsakt

Die alte Uni in der Domerschulstraße in Würzburg

Bibliotheksdirektor Hans-Günter Schmidt hat aus der Zeit der kurzlebigen Erstgründung der Universität von 1402 zwar Bücher im Bestand, aber keinen Beleg für eine organisierte Bibliothek. Auch bei der Neugründung der Universität im Jahr 1582 gab es nur wenige Bücher in den einzelnen Kollegien. 1617 übernahm dann Johann Gottfried von Aschhausen das Regiment im Hochstift Würzburg. Der Fürstbischof veranlasste, die "Alma Julia Herbipolensis", so nannte man die Uni damals, mit einer zentralen Büchersammlung auszustatten. Aber die Geburtsstunde der UB vollzog sich im Stillen, ohne formellen Gründungsakt.

"Das ist ein bisschen würzburgisch, also schleichend kommt es. Man inszeniert es nicht, das ist dann irgendwie mal da. Aber es gibt keinen Festakt, es gibt keinen richtigen Gründungsakt, es gibt keine Gründungsurkunde, sondern in Rechnungsbüchern kommen auf einmal Posten für die 'Newe Bibliotheca' vor."

Hans-Günter Schmidt, Bibliotheksdirektor

Die Rechnungen geben Einblick in die Einrichtung der neuen Bibliothek: 13 Bücherkästen, drei lange Tafeln, sechs große Pulte, zwölf "gelehnerte" Stühle, eine 15 Schuh große Stiege und zwei kleinere Leitern. Für Bücher wurden 9.552 Gulden aufgewendet.

27 Fässer voller Bücher – für eine reine Professorenbibliothek

Im November 1619 kam die erste Fuhre an, insgesamt 27 Fässer voller Bücher: Nachlassbibliotheken von Gelehrten aus Eichstätt und Augsburg. Geschichte, Theologie und Kirchenrecht. 5.000 Bände als Grundbestand. Im Nordflügel der Alten Universität wurden zwei Zimmer zur Bibliothek umfunktioniert. Studenten mussten draußen bleiben.

"Das war eine Professorenbibliothek und die Professoren hatten auch den Schlüssel zu dieser Bibliothek. Und die Studierenden haben mitgeschrieben in der Vorlesung, daher kommt tatsächlich der Name der Lehrveranstaltung 'Vor-Lesung'. Die Studierenden haben sich so ihre eigenen Bücher geschrieben und gleich noch den Kommentar dazu gekriegt vom Professor. Und das haben sie gepaukt."

Hans-Günter Schmidt, Bibliotheksdirektor

Zentralbau der UB am Hubland

Der Zentralbau der Unibibliothek in Würzburg

Der Zentralbau der UB steht am Würzburger Hubland, einer Anhöhe am Stadtrand. Wer das 1981 bezogene Betongebäude mit dem schiefergedeckten Pagodendach betritt, kommt in eine hohe Eingangshalle. Sabrina Aggou steuert die Treppe neben der Leihstelle an. Die Jura-Referendarin hat Prüfungen fürs zweite Staatsexamen vor sich und hofft, dass ihr Stammplatz frei ist: im ersten Stock, direkt am Fenster.

"Man hat den Ausblick auf die Stadt und die Festung und ist eben nicht in so einem großen Lesesaal, sondern quasi in einem Flügel und da ist es recht ruhig. Und da sitze ich jeden Tag."

Sabrina Aggou, Jura-Referendarin

Zu Beginn ihres Studiums hatte sie beides gezielt ausprobiert: In der Teilbibliothek lernen, unten in der Altstadt – oder doch lieber oben am Hubland, im Zentralbau? Der Zentralbau hat gewonnen. Sabrina Aggou schätzt die Vielfalt hier.

Eine Bibliothek für alle: 26.000 aktive Entleiher

Rund 26.000 aktive Entleiher gibt es derzeit und die UB ist eine Bibliothek für alle: Heimatforscher, bibliophile Rentner, Schüler und natürlich Studenten. Im Februar und Juli, wenn die Prüfungen anstehen, wird es übervoll. Da hocken Benutzer auf Treppen, Heizungen und Fensterbänken.

Erster Einschnitt: Dreißigjähriger Krieg

Das Rundbuch Julius Echter

Im Herbst 1631, als der Dreißigjährige Krieg nach Würzburg kam, war die Universität verlassen. Professoren und Studenten waren beim Herannahen der schwedischen Truppen aus der Stadt geflüchtet. Am 18. Oktober fiel die Festung Marienberg. Die Schweden plünderten die fürstbischöfliche Bibliothek Julius Echters, kurz darauf die Universitätsbibliothek unten in der Stadt.

"Das ist die erste große Zäsur, auch wenn damals nicht alles als Beutegut abtransportiert worden ist. Aber tatsächlich ist sehr viel weggekommen und die Sachen sind heute eben in Uppsala, in Oxford, in Cambridge. Und was da so mit 5.000, 7.000 Bänden begonnen hat, hat dann auf einmal nur noch 2.000 Bände."

Hans-Günter Schmidt, Bibliotheksdirektor

Bestand explodiert zu Beginn des 19. Jahrhunderts

Eine regelrechte Flut an Neuzugängen fiel der Würzburger Universitätsbibliothek am Beginn des 19. Jahrhunderts zu. Die Verstaatlichung der kirchlichen Besitztümer brachte tausende Bücher aus den säkularisierten Klöstern und Stiften. Der Bestand explodierte von 10.000 auf 40.000 Bände.

"Da bekommt die Bibliothek einen echten staatlichen Sammelauftrag und einen Kulturauftrag. Sie wird Erbin einer Jahrtausende alten Buchkultur. Und das ist natürlich dann schon auch für eine Institution logischerweise nicht ohne Konsequenzen: Die muss sich organisieren, die braucht andere Kataloge und die braucht dann zum Beispiel auch Ausleihregeln. Diese Sachen werden damals zum ersten Mal entworfen."

Hans-Günter Schmidt, Bibliotheksdirektor

In einem Gewölbesaal der Alten Universität fand der neue Stellenwert der UB eine räumliche Entsprechung: ein eigenes Domizil, keinen Steinwurf vom ersten provisorischen Standort entfernt. Heute steht der Saal leer und wird sporadisch für Empfänge genutzt. Früher standen Barockschränke voller Bücher vor den Sandsteinsäulen. Und über Bücher und Benutzer, zu denen nun auch Studenten zählten, wachte ein herrischer Geist: Anton Ruland, der erste hauptberufliche Universitätsbibliothekar Deutschlands.

Hunderttausende Bücher verbrannten im Zweiten Weltkrieg

Am 16. März 1945 fielen Brandbomben der britischen Streitkräfte auf Würzburg. Mit verheerenden Folgen für die Stadt, für ihre Bewohner und auch für die Universitätsbibliothek. Immer wieder hatte der damalige Bibliotheksdirektor Hans Brein in den Kriegsjahren zuvor bei der hiesigen NS-Führung angemahnt, die Bestände auszulagern. Vergeblich.

"Die Universität sollte trotz Kriegszeiten möglichst unauffällig weiterlaufen. Es ist sehr spät ausgelagert worden, tatsächlich erst ab 1944, da sind ja schon die ersten Bomben geflogen. Und alles, was ausgelagert wurde, waren 120 Kisten und der Rest, da ist man auf die glorreiche Idee verfallen, in der Neubaukirche verschiedene Bögen abzumauern vom Gewölbe und hat gedacht: Naja, die wird’s schon aushalten. Das Ding war komplett kaputt."

Hans-Günter Schmidt, Bibliotheksdirektor

Nach der Schwedenkatastrophe im Dreißigjährigen Krieg der zweite tiefe Einschnitt. Hunderttausende Bücher verbrannten: 80 Prozent des Bestands, alle Kataloge, sämtliche Dissertationen. Ein knappes Jahr nach der Zerstörung schrieb der Bibliotheksmitarbeiter Heinrich Endres in einem Brief: "Was die UB betrifft, sind wir hier in einer katastrophalen Lage, die jeder Beschreibung spottet. Die UB besitzt nicht einmal eine Schreibmaschine. Zunächst müssen die primitivsten Existenzfragen, die Raumfrage, gelöst sein. Die Stadt hat geradezu nichts für die Universität."

"Wie ein Hamster fängt der Bibliothekar wieder an. Man holt zum Beispiel die 120 ausgelagerten Kisten zurück. Man versucht, aus privater Initiative wieder Bücher zu bekommen. Man ist gierig nach den Büchern, man ist auch gierig nach den Autoren, die verboten waren im Nationalsozialismus. Man reist ins Saarland, wo man an französische Bücher kommt. Aber nichtsdestotrotz: Die Bibliothek ist in der Nachkriegszeit sicherlich die armseligste in ganz Deutschland, die am schlechtesten aufgestellte."

Hans-Günter Schmidt, Bibliotheksdirektor

Einzigartige analoge Schätze – immer mehr digitalisiert

Das Kiliansevangeliar

Für die rund 120 Mitarbeiter ist das Jubiläumsjahr heuer die große Chance, ihr Haus der breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Denn trotz der zwei Millionen Besuche im Jahr wissen selbst viele Einheimische nicht, welche einzigartigen Schätze die Würzburger Universitätsbibliothek in ihren Magazinen hat: vom legendären Handschriften-Evangeliar des Frankenapostels Sankt Kilian bis zum unterfränkischen Regionalkrimi – 3,5 Millionen analoge Medien hält die UB bereit, immer mehr ist auch digital verfügbar.

Das Digitalisierungszentrum der UB

Die Voraussetzungen, dass die Buchschätze der UB digital verfügbar sind, werden im Digitalisierungszentrum der UB geschaffen. Die Räume erinnern an ein Fotostudio. Die Wände sind mit dunklen Vorhängen verhängt.

"Wir sind hier komplett abgeschottet vom Tageslicht. Damit hier auch wirklich keine Reflexionen auf die Maschine fallen, ist hier alles schwarz."

Marco Dittrich, Medientechnologe

Mit weißen Handschuhen bettet Medientechnologe Marco Dittrich ein 500 Jahre altes Buch aufgeschlagen auf die Maschine – eine schulterhohe Stahlkonstruktion, umgeben von Fotolampen und einer Kamera. Ein Luftstrom saugt die zu digitalisierende Buchseite an.

"Der Vorteil ist hier, immer wenn ich saugen kann, also wenn es die Vorlage hergibt, ist die absolut plan liegend und ich brauche keine Glasscheibe oder Halterung von außen, die ich dann anschließend wieder wegretuschieren muss."

Marco Dittrich, Medientechnologe

An einem Computer löst Mitarbeiterin Vanessa Klein die hochauflösende Kamera aus.

"Da gehen jetzt dann die Lichter einmal an, damit wir eben dieses Tageslicht abbilden können. Und das ist das Schöne daran, wir haben hier eine Initiale, die ist mit Gold gemacht worden, und man sieht wirklich die Struktur, also dass halt das Gold nicht einfach nur drauf gemacht wurde, sondern dass da drin auch wirklich gemalt worden ist in dem Gold nochmal. Das ist absoluter Wahnsinn. Also man staunt, wie viel Sorgfalt da reingelegt wurde in so ein Buch und auch, dass da wirklich Wert darauf gelegt worden ist, dass es langlebig war."

Vanessa Klein, UB-Mitarbeitern

Kein eigener Etat für das Zukunftsprojekt Digitalisierung

Die Digitalisierung überführt die Idee der Langlebigkeit in eine weltweit vernetzte Zukunft. Die digitalisierten Bücher werden in Bibliotheksportale eingepflegt und sind online einsehbar, für jeden, immer und überall. Dafür bekommt die UB viel Lob, auch aus der Politik – Geld allerdings nicht. Katharina Boll-Becht, die das Digitalisierungszentrum leitet, hat null Euro eigenen Etat zur Verfügung und muss ein Drittmittel-Projekt nach dem anderen an Land ziehen. Das lässt wenig Freiraum.

"Wenn Anfragen kommen: Warum digitalisiert ihr das nicht, warum habt ihr das nicht online? Wäre doch ein tolles Stück. Da sagen wir: Ja, wissen wir auch, aber das ist einfach eine Kostenfrage. Die Politik sollte uns da eher auf dem Schirm haben. Sie vergessen uns einfach schlichtweg."

Katharina Boll-Becht, Leiterin des Digitalisierungszentrums

400 Jahre nach der Gründung steht die Würzburger Universitätsbibliothek vor großen Herausforderungen – nicht nur, aber vor allem auch finanziell. Zusätzliches Personal müsste her, für Digitalisierung und für den Erhalt des analogen Bestands. Neue Magazine fehlen, der Zentralbau hat Sanierungsbedarf. Aber während die Studierendenzahl in Würzburg auf 28.000 gestiegen ist, stagniert der Etat der UB seit mehr als zehn Jahren. Und so gibt Direktor Hans-Günter Schmidt im Jubiläumsjahr notgedrungen den Mahner, der beharrlich auf die schlechte Finanzlage aufmerksam macht.

"Das Problem in unserer jetzigen Zeit ist eben: Wir haben das Analoge immer noch und dazu kommt eine technische Infrastruktur fürs Digitale. Und in einer Zeit, wo eben die Preise nicht stagnieren, heißt das: Die Schere geht immer weiter auf. Und die Frage ist, wie lange das noch gut geht und ob Bibliotheken noch so im Fokus der Politik stehen. Ich würde mir wünschen, dass das deutlicher passiert."

Hans-Günter Schmidt, Bibliotheksdirektor

Ausstellung zum Jubiläum

Eine Ausstellung vom 3. Mai bis 31. Juli 2019 zeigt Exponate aus 400 Jahren, darunter auch bibliophile Kostbarkeiten aus der "Schatzkammer", die normalerweise für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind: prunkvolle Evangeliare, mittelalterliche Buchmalerei, Matrikel und Handschriften aus der Erstgründungszeit der Universität im Jahr 1582.


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