Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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5. Juli 1854 Der "Schachtürke" verbrennt

Der berüchtigte "Schachtürke" wurde als Schachautomat vorgeführt. Er spielte genial und besiegte sogar Napoleon - bis sein Geheimnis aufflog. Am 5. Juli 1854 ist er in einem Museum in Philadelphia verbrannt.

Stand: 05.07.2013 | Archiv

05 Juli

Freitag, 05. Juli 2013

Autor(in): Herbert Becker

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Thomas Morawetz

Meine Güte, wenn man das immer hört! Da sollen über Jahre hinweg Fußballspiele - Qualifikationsspiele zur Europa- und zur Weltmeisterschaft, Champions-League-Begegnungen und sonst was - getürkt worden sein! Und dann auch noch das, was auf dem Spielfeld los ist: Blutgrätschen, Schwalben und Schiedsrichterbeschimpfungen. Da fängt man doch an, sich nach einem Sport zu sehnen, bei dem all das nicht vorkommt, bei dem "Doping" und "Hooligans" einfach nur Fremdwörter sind. Aber gibt es einen solchen Sport überhaupt noch? Ja! Doch! Klar! Einen einzigen: Das Schach. Bei dem zählt allein der Geist. Gut, gelegentliche psychologische Hinterfotzigkeiten sind auch da nicht zu leugnen, aber im Großen und Ganzen spielt sich das, worauf es ankommt, auf einem Brett ab, das für Spieler wie Kiebitze gleichermaßen überschaubar ist und auf dem aber auch wirklich gar nichts getürkt werden kann!

Alles getürkt

Entschuldigung. Wenn hier zum wiederholten Male die Redewendung "etwas türken" verwendet wird, so darf das auf keinen Fall als fremdenfeindlich aufgefasst werden. Es ist nur so, dass dieser Ausdruck - auch wenn es ganz unglaublich klingt - ausgerechnet dem Bereich des Schachspiels entstammen soll.

Das kam folgendermaßen: Im 18. Jahrhundert baute der im Dienste von Kaiserin Maria Theresia stehende Hofkammerrat Wolfgang von Kempelen einen Schachautomaten - einen angeblichen Schachautomaten besser gesagt. Es handelte sich um einen Kasten, einer kleinen Kommode ähnlich, an dem eine lebensgroße, in orientalische Gewänder gekleidete Figur saß, und auf dessen oberer Fläche ein Schachbrett eingearbeitet war. Die Figur - augenscheinlich ein Türke - konnte den Kopf bewegen und mit der Linken die Schachfiguren führen. Und nicht nur führen! Der Türke spielte richtig gut! Die meisten seiner Herausforderer schlug er nach Strich und Faden. Das zog, wenn sein Erfinder mit ihm auftrat, viele Zuschauer an. Von Kempelen ließ sie sogar ins Innere der Maschine schauen, wo ein Räderwerk mit Walzen und Gestängen zu sehen war.

Was offenbar niemand merkte: die Mechanik war so raffiniert konstruiert, dass Platz für einen relativ kleinen Menschen blieb. Als erste soll von Kempelen seine eigene Tochter eingesetzt haben. Für den zweiten Besitzer, Johann Nepomuk Mälzel, zwängte sich unter anderem der Schachmeister Johann Baptist Allgaier in den Apparat - und schlug von dort aus unter anderen Napoleon Bonaparte. Wer immer in dem Kasten saß, musste ein erstklassiger Schachspieler sein und Nerven wie Drahtseile haben. Dennoch blieb er - oder sie - im Dunkeln. Irgendwann aber kam das Geheimnis dann doch ans Licht, woraufhin das Wort "türken" als Synonym für "tricksen" oder "manipulieren" in die deutsche Sprache eingegangen sein soll.

Ausgeflüstert

Der Schachtürke, der Jahrzehnte lang Aufsehen erregt hatte - in ganz Europa, und nach dem Tod von Kempelens auch in den USA - landete schließlich in Peale´s Museum in Philadelphia. Als am 5. Juli 1854 Teile dieses Museum einem Brand zum Opfer fielen, wurde auch der Türke ein Raub der Flammen. Sein letzter Besitzer, ein Arzt, soll trotz des Feuergeprassels genau gehört haben, wie er immer wieder "Schach", "Schach" flüsterte...

Na ja, gut, diese letzte Geschichte hört sich toll an - aber die ist nun auch mit einiger Sicherheit getürkt.


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