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Lebt der Patient noch oder nicht? Wie der Hirntod festgestellt wird

Wenn ein Patient im tiefen Koma auf der Intensivstation behandelt wird, ist in aller Regel auch eine künstliche Beatmung erforderlich. Denn meist ist sein eigener Atemantrieb nicht mehr ausreichend, um genügend Sauerstoff in die Lunge und damit in den Körper zu transportieren. Außerdem kann er oft nicht mehr husten und schlucken, so dass ohne eine künstliche Beatmung Speichel in seine Lunge laufen und zu schweren Entzündungen führen würde.

Author: Moritz Pompl

Published at: 5-9-2018

Elektro-Enzephalogramm (EEG)  | Bild: picture-alliance/dpa

Genau über erhaltene Restfunktionen wie zum Beispiel Atemantrieb oder Hustenreflex müssen Ärzte wie Dr. Stefanie Förderreuther bei der neurologischen Untersuchung des Patienten urteilen. Immer wieder werden die Gehirnfunktionen der  Patienten überprüft, denn nur so kann man sagen, inwieweit sich der Zustand eines Patienten bessert oder verschlechtert. Im Rahmen der neurologischen Untersuchung werden unter anderem verschiedene Reflexe der sogenannten Hirnnerven, die zum Beispiel für die Pupillen zuständig sind, geprüft. Die Pupillen ziehen sich im Normalfall zusammen, wenn man mit einer hellen Lampe in die Augen der Patienten leuchtet. Funktioniert dieser Pupillenreflex nicht mehr, ist das einer von vielen Hinweisen, dass der Druck im Schädelinneren kritisch erhöht ist und sich ein Ausfall der Hirnfunktionen entwickeln könnte.

"Patienten bei denen die Hirnnervenreflexe nicht mehr funktionieren, haben mittelweite bis sehr weite, lichtstarre Pupillen. Die Beleuchtung mit starken Lichtquellen führt nicht mehr dazu, dass sich die Pupille zusammenzieht. Die Patienten blinzeln auch nicht mehr, wenn man die Hornhaut des Auges berührt. Wir testen auch reflektorische Augenbewegungen. Die Augenmuskeln sind nämlich mit unserem Gleichgewichtszentrum verschaltet und zeigen normalerweise bestimmte Bewegungen, wenn der Kopf bewegt wird. Wir prüfen, ob die Patienten auf einen Schmerzreiz reagieren, ob der Würgereflex und der Hustenreflex vorhanden sind. Und dann testen wir letztlich auch, ob der Atemantrieb erloschen ist."

PD Dr. Stefanie Förderreuther, Neurologischer Konsiliardienst, Klinik LMU München

Gibt es Einflussfaktoren, die einen Hirntod vortäuschen?

Die Diagnose "Hirntod" ist damit allerdings noch lange nicht gestellt. Zunächst einmal müssen die Voraussetzungen stimmen. Das heißt, Stefanie Förderreuther muss für ihre Beurteilung wissen: Gibt es irgendwelche Einflussfaktoren, die den neurologischen Untersuchungsbefund verschleiern und die Symptome eines Hirntodes vortäuschen könnten? Das kann etwa durch Medikamente passieren, die der Patient zur Behandlung des Hirndrucks bekommen hat, oder durch Besonderheiten im Stoffwechsel des Patienten, wie ein stark erhöhter Blutzucker.

Diagnose vom zweiten Arzt

Außerdem muss für die Diagnose "Hirntod" stets ein zweiter Arzt prüfen, ob die Voraussetzungen für eine sichere Beurteilung der Hirnfunktionen erfüllt sind, den Patienten untersuchen und unabhängig zum selben Ergebnis kommen. Beide Ärzte dürfen nichts mit einer möglichen, späteren Organspende zu tun haben. Sie müssen eine jahrelange Berufserfahrung auf der Intensivstation mitbringen und speziell ausgebildet sein. Einer der beiden Untersucher muss Facharzt für Neurologie, oder Neurochirurgie sein, bei Kindern wird ein Pädiater oder Neuropädiater gefordert.

Technische Geräte nur im Ausnahmefall

Für die Diagnose "irreversibler Hirnfunktionsausfall" reicht in der Regel die klinische Untersuchung am Patientenbett aus. In manchen Fällen kommen aber auch technische Geräte zum Einsatz, um die Diagnose zu festigen – zum Beispiel, wenn bei dem ursprünglichen Unfall oder Auslöser vor allem der Hirnstamm geschädigt wurde. Dann müssen die Ärzte den Ausfall des Großhirns mit Hilfe von Apparaten nachweisen: Es kann ein Elektro-Enzephalogramm (EEG) abgeleitet werden, das bei einem Lebenden die Hirnströme darstellt, bei einem Toten aber keine Kurven mehr zeigt. Oder es kann eine Durchblutungsuntersuchung des Gehirns durchgeführt werden – im Fall eines Hirntods würde keine Durchblutung mehr nachgewiesen.

Nachweis der Irreversibilität

Aber auch nach der klinischen Untersuchung und Bewertung ist die Diagnose noch nicht gestellt. Im letzten Schritt muss schließlich der Nachweis erbracht werden, dass die klinischen Symptome des Ausfalls der Hirnfunktionen irreversibel, also dauerhaft sind. Beim Nachweis der Irreversibilität müssen die Untersucher das Alter des Patienten und den Ort der Schädigung im Gehirn berücksichtigen.

"Für die abschließende Diagnose ist entscheidend, nachzuweisen, dass sich der Patient nicht mehr erholen kann. Dazu gibt es wiederum spezifische Vorgaben, wie zu verfahren ist. Die richten sich danach, welches Alter der Patient hat und welche Art der Hirnschädigung vorliegt."

PD Dr. Stefanie Förderreuther, Neurologischer Konsiliardienst, Klinik LMU München

Für die Diagnose „irreversibler Hirnfunktionsausfall“ reicht in der Regel, wenn beide Untersucher den Patienten klinisch untersuchen und bei einer zweiten zeitlich versetzten Untersuchung wiederum keine Hirnfunktionen mehr nachweisen können.  Die zweite Untersuchung erfolgt je nach Art der Hirnschädigung zwölf bis 72 Stunden nach der ersten - auch sie muss unabhängig von zwei Spezialisten durchgeführt werden. Alternativ kann auch in Ergänzung der klinischen Untersuchung zur Verkürzung der 12-72 stündigen Beobachtungszeit zusätzlich ein apparatives Verfahren angewendet werden.

In manchen Fällen müssen technische Geräte für die abschließende Diagnose zum Einsatz kommen – zum Beispiel, wenn bei dem ursprünglichen Unfall oder Auslöser vor allem der Hirnstamm geschädigt wurde. Dann müssen die Ärzte den Ausfall des Großhirns mit Hilfe von Apparaten nachweisen: Es kann ein Elektro-Enzephalogramm (EEG, Hirnstromkurve) abgeleitet werden, das bei einem Lebenden die Hirnströme darstellt, bei einem Toten aber keine Ausschläge mehr zeigt. Oder es kann eine Durchblutungsuntersuchung des Gehirns durchgeführt werden – im Fall des eingetretenen Hirntods würde keine Durchblutung mehr nachgewiesen.

Sollten irgendwelche Zweifel bestehen oder sich die beiden Spezialisten bei ihrer Beurteilung gar uneins sein, dann ist der Tod nicht festgestellt, und der Patient wird weiter behandelt. Bisher ist kein einziger Fall bekannt, in dem ein nach den vorgeschrieben Richtlinien als hirntot diagnostizierter Patient sich auch nur teilweise wieder erholt hätte – der Hirntod-Nachweis ist ebenso sicher wie offensichtliche Todeszeichen, die mancher aus dem „Tatort“ kennt, etwa Totenflecken oder die Leichenstarre.

Der Körper kann noch Reflexe zeigen

Solange die Intensivbehandlung erfolgt  und die Ärzte Kreislauf und Atmung künstlich aufrecht erhalten, sieht ein hirntoter Mensch so aus, als würde er noch leben: Sein Brustkorb hebt und senkt sich aufgrund der künstlichen Beatmung, die Haut ist rosig und warm, die Nieren scheiden noch Urin aus, und selbst Wunden können noch heilen. Darüber hinaus kann der Körper bei erhaltener Funktion des Rückenmarks mit Reflexen reagieren – obwohl die Gehirnfunktionen erloschen sind.

"Die Tätigkeit von Rückenmark und peripheren Nerven kann erhalten sein, weil die Schädigung ja das Gehirn betroffen hat. Es können Reflex-artige Bewegungen auftreten, die natürlich verunsichern und jemanden, der mit der Materie nicht vertraut ist, zweifeln lassen. Das seltene Lazarus-Phänomen ist einer der Reflexe, die da immer wieder genannt werden. Der Name Lazarus Reflex beschreibt eine komplexe Bewegung, bei der der Patient auf einen Schmerzreiz am Brustbein mit einer Beugebewegung der Arme reagiert, sodass der Eindruck entsteht, er wolle die Hand des Untersuchers wegschieben. Gleichzeitig dreht sich der Kopf ein wenig zur Seite. Es vermittelt leider immer wieder den Eindruck einer gerichteten Reaktion – wie bei einem lebenden Menschen. Dabei geht der Reflex gesichert vom Rückenmark aus. Die untersuchenden Ärzte müssen deswegen auch die Fachkompetenz haben zu differenzieren: Was ist Hirntätigkeit und was nicht."

PD Dr. Stefanie Förderreuther, Neurologischer Konsiliardienst, Klinik LMU München

Komplexe Bewegungsmuster, die allein vom Rückenmark ausgehen, sind schon lange bekannt. Erste Beschreibungen dazu findet man in Berichten über Menschen, die enthauptet oder erhängt wurden. Da das Rückenmark weitgehend unter der Kontrolle des Gehirns steht, können sich bestimmte Reflexe besonders dann zeigen, wenn die Gehirnfunktionen erloschen sind. So makaber es klingen mag, faktisch kommt der dauerhafte Ausfall der Hirnfunktionen einer inneren Enthauptung gleich. Dass sich Patienten auch nach so einer „inneren Enthauptung“ nicht mehr erholen, hat der US-Neurologe Alan Shewmon verfolgt: Er hat Fälle von Patienten gesammelt, bei denen der Hirntod festgestellt worden war. Die Angehörigen der Patienten hatten nach dem Hirntod darauf bestanden, die Pflege der Toten zu Hause fortzusetzen und sie dort intensivmedizinisch weiter zu betreuen, teils über Monate oder Jahre. Keiner dieser Patienten hat sich je wieder erholt. In Einzelfällen erfolgte später eine Obduktion. Sie zeigte, dass im Schädelinneren keine Nervenzellen mehr zu finden waren, sondern nur noch verkalktes Bindegewebe – also nichts, was annähernd noch einem Gehirn glich. Es hatte sich komplett zersetzt, obwohl der restliche Körper gleichzeitig künstlich weiter funktionierte.

Die Angehörigen können der Diagnose beiwohnen

Um leichter Abschied nehmen und die Diagnose „Hirntod“ besser begreifen zu können, bietet Stefanie Förderreuther den Angehörigen an, bei der Untersuchung dabei zu sein. Auch die verschiedenen peripheren Reflexe, die der Patient möglicherweise noch zeigt, kann sie dann erklären.

"Für die Angehörigen ist das oft eine große Hilfe, die Tests selber mit beobachtet zu haben. Sie können dann viel leichter nachvollziehen, warum wir vom eingetretenen Tod sprechen. Außerdem haben die Angehörigen dann auch die Gewissheit, dass sie den Patienten bis zum Tod begleitet und ihm beigestanden haben. Wenn wir den Tod festgestellt haben, dann ist klar, dass es keinen Weg zurück gibt. Das ist ein wesentlicher, ganz entscheidender Unterschied zu einer prognostischen Einschätzung. Ohne die genaue Untersuchung bleibt für den einen oder anderen vielleicht eine gewisse Unsicherheit: Könnte sich der Arzt nicht doch täuschen? Hat mein Mann, meine Schwester, meine Mutter nicht vielleicht doch noch eine Chance? Die meisten Menschen können sehr gut nachvollziehen, dass man ohne Gehirn nicht mehr als eine körperlich-geistige Einheit existiert und damit als menschliches Individuum verstorben ist. Wenn Sie so einen Patienten mal gesehen haben, die starren Augen mit diesen weiten Pupillen, die durch einen hindurchgucken, dann hat das nichts mehr mit dem persönlichen Blick zu tun, den man von einem vertrauten Menschen kennt."

PD Dr. Stefanie Förderreuther, Neurologischer Konsiliardienst, Klinik LMU München


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