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In der Schmerzspirale 1 Wenn der Körper die Seele krankmacht

Ein Viertel aller Schmerzerkrankungen führt zu einer affektiven Störung wie der Depression. Es sind weniger die akuten, wenn auch sehr heftigen Schmerzzustände, sondern alle diejenigen Schmerzerkrankungen, die lange chronisch verlaufen.

Von: Sabine März-Lerch

Stand: 27.05.2019

Eine junge Frau sitzt verzweifelt vor einer weißen Wand und stützt ihren Kopf mit den Armen. | Bild: picture-alliance/dpa

Der Schutz vor einer Depression beim akuten Schmerz besteht offenbar darin, dass sich die Betroffenen in einem aktiven Prozess befinden, in dem sich sehr viel tut.

"Wenn sie also z.B. zum Röntgen geschickt werden, physikalische Anwendungen verordnet bekommen, Termine besprechen und einhalten müssen. Diese Aktivität bindet sozusagen negative Energie. Und so behalten wir offenbar unseren doch angeborenen Optimismus."

Prof. Reinhart Schüppel

Es ist also der Charakter des Schmerzes, der das Risiko für eine beginnende Depression birgt. Dauerschmerzen nämlich, die sich nicht verändern, die sich nicht gegen Abend und mit der Einnahme von Medikamenten signifikant bessern, bringen zunehmend negative Gedanken.

"Jeder, der mal länger als drei, vier Tage Schmerzen hatte, kann das nur bestätigen: Wenn einem etwas weh tut, ist das ganze Leben plötzlich anders. Das kann man mal eine Woche oder 14 Tage mitmachen, aber nach Monaten wird das schon schwierig."

Prof. Reinhart Schüppel

Gibt es Schmerzerkrankungen, die das Risiko für eine Depression erhöhen?

"Wir beobachten, dass Menschen mit unspezifischen Schmerzen, also z.B. einem nicht in der Bandscheibe lokalisierten Rückenschmerz oder einem ständigen dumpfen Kopfschmerz, häufiger in einer Depression landen."

Prof. Reinhart Schüppel

Unspezifische Schmerzen machen mürbe, belasten langfristig. Anders ist das, wenn ein Betroffener weiß, dass sich zum Beispiel ein eingeklemmter Nerv wieder mit Medikamenten beruhigen lässt. Schmerzen, die auf einen nicht mehr rückgängig machbaren Verschleiß von Gelenken zurückgehen, begünstigen ebenfalls eine Depression. Leidet die Beweglichkeit, dann ist es nicht nur der Schmerz, der deprimiert, sondern die zunehmende Immobilität.

"Schmerz kann nicht nur über die negative Wahrnehmung Schwierigkeiten machen, sondern auch durch die damit verbundenen Einschränkungen: Ein Bereich nach dem anderen im gewohnten Leben fällt weg, eine Treppe nach der anderen kann nicht mehr bewältigt werden. Und das ist der Grund warum manchmal eine künstliche Hüfte das Leben von 'pechschwarz' in 'golden' verwandelt: Weil hier ein Mensch, der eigentlich aktiv ist und sich immer weiter eingeschränkt hat, sich wieder bewegen kann."

Prof. Reinhart Schüppel


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