Bayern 2

     

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Die Zukunft eines Mythos Wald im Wandel

Der Wald kann fast alles: Er reinigt die Luft, speichert Wasser und Kohlendioxid, schützt vor Erosion, liefert Holz, ist Lebensraum. Doch für Hase, Fuchs und Wild wird's immer enger. Der Druck auf die Natur, auf die Rückzugsgebiete der Tiere wächst. Verantwortlich dafür: Wir Menschen, die wir Erholung suchen.

Von: Chris Baumann

Stand: 16.03.2022 | Archiv

Der Wald. Geheimnisvolles Wesen. Manchmal dunkel und gefährlich, oft besänftigend. Immer schon da. Selbstverständlich und doch ein Mythos. Projektionsfläche für vieles, was größer ist, älter und mächtiger als wir. Der Wald soll's retten, soll uns retten. Vor uns selbst und unseren Fußabdrücken, die immer zerstörerischer werden. Sein Ausatmen ist unser Einatmen und umgekehrt. Deswegen soll der Wald wachsen. Denn er nimmt das CO2 auf, von dem unsere Luft voll ist. Übervoll. Überall. Aufforstung gilt als Gebot der Stunde, weg von der Monokultur.

Problem Freizeitgesellschaft

Axel Doering, ehemaliger Förster und ehrenamtlicher Vorsitzende der Bund Naturschutz Kreisgruppe Garmisch-Partenkirchen

In den letzten Jahrhunderten hat sich der Wald verändert. Lange war er Bauernwald und Waldweide, Holzlieferant ist er immer noch, aber vermehrt sieht er sich mit erholungssuchenden Menschenmassen konfrontiert. Axel Doering, ehemaliger Förster und ehrenamtlicher Vorsitzender der Bund Naturschutz Kreisgruppe Garmisch-Partenkirchen, warnt vor dem Freizeitpark Natur, in dem sich immer mehr Joggerinnen und Mountainbiker tummeln.

"Jetzt haben wir das E-Bike mit hervorragenden LED-Lampen, das E-Bike kommt unglaublich weit. Das ist so die kapillare Erschließung der Alpen, weil da gibt es eigentlich überhaupt keine Grenzen mehr und mit diesen guten Lampen gibt es auch keine zeitliche Einschränkung mehr. Das heißt, wir haben eigentlich einen 24- Stunden-Betrieb auf der ganzen Fläche."

Axel Doering, ehemaliger Förster und ehrenamtlicher Vorsitzender der Bund Naturschutz Kreisgruppe Garmisch-Partenkirchen

Revierjagdmeister Martin Wallis bei der Waldschutzfütterung oberhalb von Unterammergau

Das Wild im Wald findet dadurch keine Ruhephasen mehr, um sein Fressen wiederzukäuen. Früher, da ist das Rotwild im Winter bis nach München, Wasserburg, in die Isarauen oder die Lechtalauen gezogen und hat dort genug natürliche Vegetation gefunden. Durch Zersiedelung, Bahntrassen, Autobahnen und Bundesstraßen ist das nun nicht mehr möglich. Das Wild ist quasi am Berg gefangen, doch hoch oben im tiefen Schnee findet es nichts zu fressen. Damit Rehe und Rotwild, sehr zum berechtigten Ärger der Waldbauern, nicht den Wald verbeißen und schädigen, sind Wildfütterungen notwendig, wie beispielsweise im Wildschutzgebiet in Unterammergau auf 1000 Meter Höhe. 

"Mich kennt das Wild, ich bin jeden Tag zur selben Uhrzeit hier oben, mach jeden Tag meine selben Handlungen, die selben Abläufe und sie wissen, dass der Bulldog und ich, dass wir denen nichts Böses tun, sie kennen die gesamten Abläufe und lassen sich nicht stören."

Martin Wallis, Revierjagdmeister

Völlig klar, dass in den Wildschutzgebieten wie dem Naturpark Ammergauer Alpen niemand etwas verloren hat. Doch die Menschen der Freizeitgesellschaft wollen sich erholen und entspannen, ihre Gesundheit erhalten. Das können sie zwar überall auf der Welt, allerdings, ob Malediven oder Karibik, mit einem enormen CO2-Fussabdruck. Immer mehr denken deshalb um und machen Urlaub in der Heimat. Da lockt der Wald, denn in ihm wollen wir uns erden und gleichzeitig den Blick schweifen lassen zu den Wipfeln.

Die Rückkehr zum Pferd

Ausbilder Franz Sikora beim Holzrückekurs auf dem staatlichen Haupt- und Landgestüt Schwaiganger

Längst weiß man, dass moderne Harvester, diese gewaltigen Holzerntemaschinen, die Waldböden verdichten, sie undurchlässig machen für Wasser, Luft, Klein- und Kleinstlebewesen. Deshalb besinnt man sich wieder auf die herkömmliche Wirtschaftsweise: Das Holzrücken mit Pferden. Am Staatlichen Haupt- und Landgestüt Schwaiganger im Landkreis Garmisch-Partenkirchen kann man sich in einem viertägigen Kurs die Grundlagen aneignen - in Theorie und Praxis.

"Dann werden aufm Platz draußen Kegel aufgstellt und dann derfern die mit dem Baumstamm und mitm Pferd,  damit ma überhaupt a bissl a Gefühl amoi hat und dann geht ma am zwoaten Tag naus und tuat so in leichten Gelände. Do derfan die Schüler selber raus fahren und lerna."

Franz Sikora, Ausbilder

Victoria Buchecker zieht beim Holzrückekurs den Baumstamm mit Pferd aus dem Wald

Nach den vier Tagen Kurs erhalten die Teilnehmer dann ein Zertifikat. Aber es ist wie beim Führerschein und dem Auto fahren: Das Können kommt erst mit der Praxis und die holt sich Frau oder Mann im eigenen Wald. Denn in Bayern gehören gut 55 Prozent des Waldes Privatleuten, 12 Prozent Körperschaften, in denen sich Waldbesitzer zusammengeschlossen haben, und der Rest von knapp einem Drittel ist in Staatsbesitz. Überall freier Zutritt für Erholungssuchende, so ist's in der Bayerischen Verfassung verankert. Wer im Wald spazieren geht, sieht oft grünen Moosboden, der auf der Schattenseite der Bäume ein Stück den Stamm hinaufwächst. Alles in Ordnung, denkt sich da der Laie, aber weit gefehlt. Denn viel Moos ist die Folge einer Waldbewirtschaftung mit viel Nadelholz, wo sich schlechte Humusformen und damit kranke Böden entwickeln. Einen gesunden Waldboden kann man richtiggehend hören, wenn man darüber geht. Er lebt im wahrsten Sinne des Wortes. Leider sind bereits 80 bis 90 Prozent der Waldböden in Bayern abgestorben. Alle Probleme des Waldes begännen mit der Bodengüte, wie zum Beispiel der zu hohe Stickstoffgehalt. 

"Die Einträge an Stickstoff, die wir seit 1950 bekommen haben, sind viel zu hoch. Die entscheidende Frage ist, was passiert mit dem Stickstoff im Wald? Gesunde lebendige Böden mit guten Humusformen können diesen Stickstoff auch so abbauen und umwandeln, dass er nicht groß als Nitrat in das Trinkwasser reingeht."

Ludwig Pertl, ehemaliger Förster aus Kaufering

Länglicher Testkasten beim "Life FutureForest" Projekt gefüllt mit verschiedenen Laub- und Nadelarten. Hier wird deren Zersetzung beobachtet.

Eine wirkliche Zukunft hat der Wald nur als sogenannter Dauerwald. Das sind Wälder, in denen nicht großflächig abgeholzt und dann wieder aufgeforstet wird. Einem Dauerwald werden immer wieder nur einzelne Bäume entnommen. Das Biosystem als solches mit möglichst verschiedenen Baum- und Straucharten bleibt bestehen als dauerhaftes Ökosystem.  

Der Wichtigste Im Wald – Der Regenwurm

Der Regenwurm ist das Lebewesen, das den Weg für einen gesunden Wald ebnet. Er frisst sich regelrecht durch den Boden und bildet so neuen mineralreichen Humus. Um einen tief wurzelnden, älteren Ahorn leben etwa fast doppelt so viele Regenwürmer wie bei einer gleich alten flachwurzelnden Fichte. Nach bisherigen Erkenntnissen ist der Lieblingsbau des Regenwurms die Hainbuche. Forschungen dazu finden in der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf statt. So werden verschiedene Nadeln und Blätter in Kästen gelegt und beobachtet, wie schnell die im Boden verschwinden. Am längsten dauert das aufgrund des schlechten Bodens im Fichtenwald. Der Regenwurm zieht also die Blätter in die Erde, verbindet alles mit seinem Schleim und lässt so gesunde, mineralreiche Ton-Humus-Komplexe entstehen. Ein halbes Kilo schafft so ein Regenwurm, entsprechend dem 200- bis 250fachen seines Körpergewichts. Der Wurm fungiert quasi als eine Art Boden-Regenerationsmaschine. Manchmal sogar bis in eine Tiefe von drei Metern.

Ein Hoch der Agroforstwirtschaft

Problem Klimagas CO2. Deshalb müsse möglichst flächendeckend aufgeforstet werden, sagen viele Expertinnen und Experten. Doch wenn es im Hochgebirge keine Almen mehr gäbe und keine Wiesen, keine Felder und Wegraine im Flachland, bliebe nicht nur eine jahrtausendealte, seit der Steinzeit gewachsene Kulturlandschaft auf der Strecke, sondern auch viele Tier- und Pflanzenarten. Wald ist kein Allheilmittel - zumindest hierzulande nicht. Ganz anders sieht es da aus, wo der Wald erst in jüngerer Zeit verschwunden ist, weil der Mensch Raubbau getrieben hat.

Thomas Bleul, Chef der bayerischen Spanner Re2 GmbH

Zum Beispiel in der Region Ruwenzori in Uganda. Aber die bewirtschafteten und aufgeforsteten Flächen sehen dort auch anders aus als bei uns. Thomas Bleul ist Chef der bayerischen Spanner Re2 GmbH, die mit einem gemeinnützigen Verein moderne Holzkraftwerke auf der ganzen Welt baut.

"In den Feldern gibt's eine klassische Drei-Ebenen-Nutzung. Es stehen also vereinzelt Bäume drin, im Abstand von 15 bis 20 Meter.  Unter diesen Bäumen wächst zum Beispiel Mais und unter dem Mais findet man auch noch Zucchini, auch der Kaffeebaum wird genutzt, also oben drüber wieder Wald, unten der Kaffeebaum und unter dem Kaffeebaum wird zum Beispiel die Erdnuss angepflanzt."

Thomas Bleul, Chef der bayerischen Spanner Re2 GmbH

Die drei Vegetationsebenen nach der Aufforstung in Uganda in der Agroforstbewirtschaftung

Das nennt man Agroforstwirtschaft und vor der Flurbereinigungs-Rationalisierungs-Wut hat es das auch bei uns in Bayern gegeben: Felder zwischen denen Baum- oder Strauchstreifen stehen und damit das Wegspülen wichtiger Nährstoffe im Ackerboden verhindern. Streuobstwiesen, Wiesen mit Bäumen, die Schutz geboten haben für Mensch und Tier; sogar Getreide wurde unter Bäumen angebaut. In Hutewäldern weideten Rinder und Schweine, die durch die Eichelmast ein herausragendes Fleisch lieferten. Es ist noch gar nicht so lange her, da war unsere Form der bäuerlichen Land- und Forstwirtschaft ein integriertes System. Aus wirtschaftlichen Gründen erfolgte in weiten Teilen eine strikte Trennung: Nur Mais, nur Getreide, nur Wiesen, nur Wald - und da wiederum nur Fichten. Für die technisch-industrielle Bewirtschaftung vielleicht gut, aber so kann sich kein ineinandergreifendes System mehr bilden, kein lebendiges gemeinsames Ökosystem. Denn die Natur ist Wald und Feld, eng verzahnt. Der Blick zurück schadet nie. Denn manchmal gilt sogar: Die Zukunft liegt in der Vergangenheit.


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