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Ursprünge der Rassentheorie Prof. Kärin Nickelsen, LMU: "Perverse Ausprägung dieser Idee"

Mit der Ausweitung des Erlasses über Vererbungslehre und Rassenkunde vor 85 Jahren, spielten diese Themen in deutschen Schulen eine massive Rolle im Lehrplan. Damit sollte bei Schülern und Schülerinnen früh eine nationalsozialistische und rassistische Gesinnung entwickelt werden, erklärt Kärin Nickelsen, Professorin an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Stand: 15.01.2020 | Archiv

Der so genannte "Ahnenpass", ein vom Reichsverband der Standesbeamten Deutschlands herausgegebenes Dokument, in dem während des III. Reiches der von den Nationalsozialisten geforderte "Arier-Nachweis" geführt werden musste. In dem Text zum Dokument wird der "Rassegrundsatz" erläutert. Der Abstammungsnachweis, für den standesamtliche Urkunden und Kirchenbuch-Eintragungen mehrere Generationen zurück beschafft werden mussten, diente nach Ansicht der nationalsozialistischen Ideologen der "Reinhaltung der deutschen Rasse". Damit war er auch ein Element der Verfolgung und Vernichtung der Juden bis 1945. | Bild: picture alliance/dpa-Zentralbild

Woher kommt diese Idee, Menschen in verschiedene Rassen einzuteilen?

Da muss man festhalten, dass der Begriff Rasse zunächst ein sehr stark biologischer Begriff ist. Die Idee davon, verschiedene Menschensorten einzuteilen, ist natürlich sehr alt. Es gibt die Vorstellung von Völkern: das ist ein geographischer Begriff oder auch ein Begriff, der an eine bestimmte Herrscherperson gebunden ist. Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts wurde dieser Begriff dann biologisch gedacht. Eine Rasse ist etwas, dem man nicht beitreten kann. Man kann eine Rassenzugehörigkeit nicht wie eine Staatsangehörigkeit annehmen, sondern als Rasse wird man geboren. Man hat sie, oder man hat sie nicht. Eine deutsche Rasse, wie es jetzt hier in diesem Erlass formuliert wird, fügt diese beiden Dinge zusammen.

Und war von Anfang an so eine Gewichtung da, welche Rasse besser sei als die andere?

Es gab von Anfang an eine Gewichtung dabei, auch eine Gewichtung von verschiedenen Völkern. Aber wie gesagt, Volkszugehörigkeit konnte man verändern, Rassenzugehörigkeit nicht. Und hier gab es spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine klare Vorstellung davon, dass Rassen mit weißer Hautfarbe die besten sind.

"Die Wissenschaftler haben dazu beigetragen, dass wir die Vorstellung haben, dass Rassen, also bestimmte Menschensorten, biologische Einheiten sind."

Prof. Kärin Nickelsen, LMU

Jetzt ging es im Nationalsozialismus nicht nur darum, die arische Rasse, also die angeblich beste, nach außen hin zu schützen, sondern auch darum, sie "rein zu halten", von Krankheiten zum Beispiel. War das eine neue Idee?

Da Rasse biologisch gedacht wird, gibt es auch eine bestimmte körperliche und auch physische Norm. Und wenn wir diese Rasse normgerecht und gesund halten wollen, dann brauchen wir möglicherweise auch bestimmte medizinische Maßnahmen, um sie zu heilen.

Und wie wurde daraus dann auch eine Wissenschaft? Was hat man da erforscht?

Patienten der Diakonissenanstalt Bruckberg wurden in der NS-Zeit in staatl. Heilanstalten und von dort aus in Tötungsanstalten transportiert.

Bei den Nationalsozialisten ist es eine perverse Ausprägung dieser Idee, eine Rasse rein zu halten. Und dort geht es ja insbesondere um die Abgrenzung von der jüdischen Rasse. Dass man Menschenrassen hat, die auf eine ganz bestimmte Art und Weise gesund gehalten werden sollen, das gibt es in ganz unterschiedlichen Ländern. Es ist weit verbreitet in Europa. Es wurde besonders weit getrieben in den USA in den 1920er Jahren. Die Gesundheit bestand darin, dass man versucht hat, auf der einen Seite die Menschen besonders zur Fortpflanzung anzuregen, die gewünschte Eigenschaften haben, die die Rasse besonders auszeichnen. Und dass man auf der anderen Seite die Menschen, die Eigenschaften haben, die unerwünscht sind, eben von der Fortpflanzung ausschließt oder im schlimmsten Fall auch sterilisiert oder umbringt.

"Eine Rasse ist etwas, dem man nicht beitreten kann. Man kann eine Rassenzugehörigkeit nicht wie eine Staatsangehörigkeit annehmen, sondern als Rasse wird man geboren."

Prof. Kärin Nickelsen, LMU

Das klingt alles nachvollziehbar, so, wie Sie es erklären, aber auch total krank.

Ja. Wir haben im 19. Jahrhundert eine Überlagerung der Vorstellung von Volk als einer natürlichen Einheit mit der Entwicklung in der Wissenschaft, die die Evolutionstheorie beispielsweise sehr stark diskutiert und auch die Vererbungslehre. Darwin selbst hat in seinem ersten Buch 1959 noch gar nicht über Menschen und Menschenarten geschrieben. Aber es gab eine klare Vorstellung mit der Evolutionstheorie, dass biologische Arten sich verändern und sogar mit einem bestimmten Fortschritt nach oben hin entwickeln. Dass mit dieser Entwicklung auch verbunden ist, dass bestimmte Eigenschaften fortgesetzt werden und andere Eigenschaften wegfallen, ist etwas, dem sich dann die Vererbungslehre widmete. Und diese Wissenschaft gibt es heute immer noch. Die Verbindung von solchen Inhalten, die wir heute als völlig unschuldig betrachten, mit Inhalten der Zeit, die wir heute nicht mehr verbinden würden mit biologischen Betrachtungsweisen, ist etwas, was wir zunächst einmal hinnehmen müssen und dann versuchen in ihrer Entwicklung zu beschreiben. Ohne zunächst einmal in der Zeit zu werten.


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